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25.09.2013 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Teil 1: 50 Jahre Porsche 911 - Die Perfektionierung des Fahrwerks

7:30 Min. Lesedauer

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Der Porsche 911 feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Seit 1963 steht der Sportwagen aus Zuffenhausen für Rennsporterfolge und Fahrspaß kombiniert mit hoher Alltagstauglichkeit. Über sieben Generationen und fünf Jahrzehnte hinweg ist der Sportwagen stetig technisch verbessert und mit jeder Modellreihe weiter entwickelt worden. Um mit dem 911er bei Sportlichkeit und Sicherheit stets an der Spitze zu bleiben, waren immer neue Fahrwerkstechnologien nötig. So spiegelt der Werdegang des Porsche 911 auch die Meilensteine in der Fahrwerksentwicklung der letzten 50 Jahre wider.

In einem dreiteiligen Beitrag beleuchten die Autoren Harrer, Görich, Reuter und Wahl von Porsche die Fahrwerksentwicklung des Porsche 911 über sieben Generationen hinweg. Betrachtet wird die Entwicklung der Achsen, Lenkung und der Fahrdynamik. Der erste Teil umfasst die Entwicklung wichtiger Konzeptmerkmale und die erste Generation, den Ur-911. Der zweite Teil behandelt die zweite Generation, die G-Serie, bis zur vierten Generation, den Typ 993. Der dritte Teil reicht von der fünften Generation, dem Typ 996, bis zur aktuellen siebten Generation, dem Typ 991.

Teil 1: Wichtige Konzeptmerkmale und der Ur-911

Die Entwicklung wichtiger Konzeptmerkmale

Obwohl der erste Porsche 911 eine vollständige Neuentwicklung war, basiert er auf einer konsequenten Weiterentwicklung der Porsche-Typenreihe 356. Ein effizienter Sportwagen mit geringem Gewicht, Boxermotor mit hoher Leistung kombiniert mit einem kompakten Getriebe und Achsantrieb, positioniert am Fahrzeugheck. Dieses Grundprinzip ermöglicht dem Porsche 911 bis heute ein beeindruckendes Traktionsvermögen sowie ein sehr gutes Fahrverhalten. Die Konstrukteure der ersten Generation gaben dem 911 deutlich mehr Innen- und Gepäckraum bei einem Radstand, welcher um 111 Millimeter länger war als beim Typ 356.

Der Ur-911 (Typ 901; 1963 bis 1973) startete mit einem Fahrzeuggewicht (DIN-leer) von 1085 Kilogramm. Das Thema Leichtbau hatte und hat bei Porsche einen sehr hohen Stellenwert. Leichtbau ist auch heute die intelligenteste und effiziente Art und Weise, die Fahrleistungen eines Sportwagens zu optimieren. Trotzdem stieg das Fahrzeuggewicht des Porsche 911 über die Jahre unaufhaltsam an. Gesetzliche Vorschriften bezüglich Abgas, Verbrauch und Fahrzeugsicherheit als auch die gestiegenen Komfortansprüche der Kunden wie zum Beispiel Geräuschreduzierung und Klimatisierung sind dafür verantwortlich. Bis zur 6. Generation (Typ 997) konnte die steigende Gewichtsspirale trotz vieler innovativer Leichtbaumaßnahmen nicht umgekehrt werden. Einzelne 911er Modelle wiesen ein maximales Leergewicht von bis zu 1500 Kilogramm auf. Der aktuelle 911 (Typ 991) brachte jedoch die Trendwende. Bei allen aktuellen Modellen konnten das Fahrzeuggewicht gegenüber dem Vorgänger nennenswert reduziert werden. Der leichteste 991 hat heute ein Fahrzeuggewicht von 1375 Kilogramm.

In den letzten fünf Jahrzehnten wurde viel Entwicklungsarbeit geleistet, um das Fahrverhalten des Porsche 911 zu perfektionieren. Der wachsende Radstand im Porsche 911 lieferte hierzu einen entscheidenden Beitrag. Der Radstand eines Fahrzeuges beeinflusst das Geradeauslaufverhalten, die Gierempfindlichkeit bei Lenkeingaben und das Eigenlenkverhalten aufgrund der Veränderung der Gewichtsverteilung. Der Ur-Typ 901 hatte einen Radstand von 2211 Millimeter. Da ein größerer Radstand den Geradeauslauf des Fahrzeuges verbessert und beim 901 Optimierungsbedarf bestand, wurde der Radstand durch Verlängern der Hinterachsschräglenker um 57 mm auf 2268 mm vergrößert. Beim Nachfolgemodell (G-Modell) wuchs der Radstand bei ähnlicher Bodengruppe durch Modifikationen an der Hinterachse und den Radhäusern auf 2272 Millimeter. Die Karosserie des Typ 996 (5. Generation, 1997) war bedingt durch die Umstellung auf die wassergekühlten Boxermotoren eine vollständige Neuentwicklung. Zur weiteren Verbesserung der Richtungsstabilität bei immer höher steigenden Fahrgeschwindigkeiten wurde der Radstand beim 996 auf 2350 Millimeter angehoben. Der Radstand des heutigen Modells (991) wurde nochmals erhöht auf 2450 Millimeter.

Der Ur-Typ 901 erreichte bereits 1964 eine maximale Geschwindigkeit von 210 km/h. Über alle Generationen hinweg konnte die Spitzengeschwindigkeit der Basis- und S-Modelle weiter gesteigert werden. Mit den 997 Modellen wurde erstmals die Marke von 300 km/h überschritten. Die aktuelle 911 Generation erreicht mit dem serienmäßigen S-Modell eine Spitzengeschwindigkeit von 304 km/h.

Die aerodynamische Güte ist ebenfalls ein wichtiges Konzeptmerkmal eines Sportwagens und äußert sich im dimensionslosen Widerstandsbeiwert cw und den Auftriebsbeiwerten an der Vorder- und Hinterachse. Fahrleistung und Verbrauch stehen zum Luftwiderstand in enger Verbindung. Für das Fahrverhalten eines Fahrzeuges bei höheren Geschwindigkeiten spielen jedoch die Auftriebsbeiwerte die entscheidende Rolle. Die Auftriebsbeiwerte beeinflussen bei Fahrgeschwindigkeiten größer 100 km/h das Lenk- und Spurwechselverhalten, das Lastwechselverhalten und das Lenkmoment. Grundsätzlich werden niedrige Auftriebsbeiwerte angestrebt, wobei die aerodynamische Balance der beiden Auftriebsbeiwerte zueinander ebenfalls berücksichtigt werden muss. Zu Beginn der Porsche 911 Entwicklung waren die Auswirkungen der Aerodynamik auf das Fahrverhalten aus dem Rennsport bekannt, jedoch die physikalischen Grundzusammenhänge noch nicht vollständig erforscht [1]. Der 911 Ur-Typ startete mit einem cav-Wert von 0,19 und einem cah-Wert von 0,275 (Bild 1).

Gezielte Aerodynamikmaßnahmen zur Optimierung des Fahrverhaltens wurden erstmals im Modelljahr 1973 umgesetzt. Die S-Modelle erhielten eine Spoiler-Frontschürze zur Reduktion des Auftriebsbeiwertes an der Vorderachse (cav 0,12). Ein Spoiler am Heck (Bürzel) kam erstmals beim Carrera RS 2.7 zum Einsatz, welcher den Auftriebsbeiwert der Hinterachse auf cah 0,09 verringerte. Die kontinuierliche Aerodynamik-Optimierung des Porsche 911 über sieben Generationen führt zu den heutigen Werten von cah 0,01 und cav 0,03. Ein wichtiger Meilenstein hierbei war der erste bewegliche Heckspoiler im Modell 964. Seit diesem Modell (1988) sind alle 911er mit dieser aktiven Aerodynamikmaßnahme ausgestattet.

Entwicklung Achsen, Lenkung und Fahrdynamik

Die erste Generation – 911

Traditionell und basierend auf den Erfahrungen von VW Typ 1 und Porsche 356 startet die erste Generation des Porsche 911 seine unvergleichbare Karriere mit drehstabgefederten Achsen. Mit einer Dämpferbeinachse vorn und Schräglenkern hinten. Die Drehstabfedern sind an der Vorderachse (Bild 2) in den Dreieckslenker integriert. Dies ist zum einen überaus Package-effizient und bietet zum anderen eine einfache Möglichkeit zur radindividuellen Höheneinstellung für die Ausbalancierung der Rad-lasten. An der Hinterachse (Bild 3) erfolgt die Anbindung des Schräglenkers an die Drehstabfeder über ein Federblatt. Die Aufnahme und Abstützung der Drehstabfedern wurde über ein Querrohr realisiert. Dieses Bauteil liefert eine sehr steife Struktur im Hinterwagen, die gleichzeitig zur Anbindung des zweiten Schräglenkerlagers dient. Die Hinterachse ist damit überaus vorteilhaft hinsichtlich Steifigkeit und Abstützbasis in den Hinterwagen des 911 integriert.

Besonders zukunftsorientiert ist die Verwendung einer Zahnstangenlenkung, die erstmals 1960 im Formel 1-Wagen von Porsche eingesetzt wurde. Durch mittigen Abtrieb und zweifach geknickte Lenkspindel ergibt sich zum Einen eine Sicherheits-lenkung und zum anderen kann die Lenkung bei Links- und Rechtslenker-Fahrzeugen als Gleichteil verbaut werden. Die manuelle Lenkung mit einer konstanten Lenkübersetzung von 17,87 wird bis zum Ende der Produktion des 911 Carrera 3.2 im Jahre 1989 beibehalten. Die direkte Rückmeldung über den Fahrbahnzustand dieser Lenkung ist nicht nur für Sportfahrer lange Zeit ein Benchmark bei Sportwagen. Die Lenkung wird beschrieben als leichtgängig, direkt, relativ unelastisch und lebendig [2]. Eigenschaften, die auch heute noch erstrebenswert sind.

Die Weiterentwicklung des Fahrwerks ist in den Anfangsjahren geprägt durch die Umsetzung von Einstellmöglichkeiten für Sturz-Vorspur und Nachlaufwinkel zur Beherrschung der Fertigungstoleranzen [3].

Diese Fahrwerkskonstruktion des Basis 911 ist so zufriedenstellend, dass sie in den ersten 25 Jahren nicht grundsätzlich verändert wird. Einzig die ursprünglich in Stahlbauweise hergestellten Schräglenker der Hinterachse werden 1968 für eine Radstandvergrößerung um 57 Millimeter verlängert und 1974 durch Aluminium-Guss-Lenker abgelöst.

Bedingt durch das Heckmotorkonzept zeigte der Porsche 911 anfänglich eine Übersteuertendenz (Bild 4), die es durch gezielte Maßnahmen bei der Fahrwerksabstimmung zu beherrschen galt. Rundum gleich bereift mit Reifen der Dimension 165 HR 15 auf 4,5 Zoll Felgen und ohne elektromechanische Fahrwerksysteme war dies in den 60er-Jahren eine Herausforderung an die Fahrdynamikabstimmer. Optimiert wurden die Fahreigenschaften vornehmlich über Feder- und Stabilisatorraten, aber auch Parameter wie Gewichtsverteilung und Fahrzeugträgheitsmoment wurden zur Feinabstimmung genutzt. Dies gipfelte in den Anfangsjahren im Einsatz von jeweils 11 Kilogramm schweren Bleigewichten in den beiden Enden der vorderen Stoßstangen [3]. Das Ergebnis war ein in engen Kurven stark untersteuerndes Verhalten, das sich mit zunehmendem Bahnradius und höheren Geschwindigkeiten in Richtung Übersteuern veränderte (Bild 4).

Mit Einführung des G-Modells (1973) kam man von den Bleigewichten wieder ab. So montierte man die Starterbatterie sehr weit vorne links im Kofferraum und glich das Gewicht auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Falt-Ersatzreifen aus [3].

Literaturhinweise:

[1] Aichele, T.; Porsche 911, Forever young, Motorbuch Verlag Stuttgart, 1994

[2] Burst, H.: Lenken, Lenkung, unsere Lenkung, Christophorus, März 1970

[3] Frère, P.: Die Porsche 911 Story, Motorbuch Verlag Stuttgart, 2002

Teil 1: Wichtige Konzeptmerkmale und der Ur-911
Teil 3: Von der fünften Generation bis zum aktuellen Porsche 911 (Typ 991)

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Quelle:
Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik

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