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2014 | Buch

Soziologie der Online-Kommunikation

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Über dieses Buch

​Von einem kommunikationssoziologisch fundierten und medientheoretisch differenzierten Medienbegriff ausgehend wird eine Systematik der Online-Kommunikation entwickelt und begründet. In diesem Zusammenhang werden Medien als institutionalisierte und technisch basierte Zeichensysteme zur organisierten Kommunikation und das Internet als technische Plattform oder Mediennetz verstanden. Es werden Kriterien entwickelt sowie unterschiedliche Systematisierungsansätze diskutiert, um einzelne Internetdienste als Modi der Online-Kommunikation bzw. Handlungsrahmen computervermittelter Kommunikation zu beschreiben.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Für die Publizistik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft stellen „Internet“ und Online-Kommunikation eine Herausforderung dar: Bislang hatte man es mit (vermeintlich) distinkten Medien wie Presse (Tageszeitung, Zeitschrift), Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen), Film oder Buch zu tun; völlig getrennt davon und meist gar nicht im Fokus dieser Disziplinen lag der Telekommunikationssektor. Doch mit dem Aufkommen des Internet setzte nicht nur eine Debatte darüber ein, ob und in welchem Maße es zur Verdrängung (Substitution) nicht medial vermittelter interpersonaler Kommunikation und publizistischer Medien kommen könnte. Es stellte sich auch die Frage nach der Konvergenz der Kommunikationsmedien, denn „im Internet“ fanden nun interpersonale und publizistische, private, organisationsinterne und öffentliche Kommunikation statt. Damit stellte sich die Frage der Konvergenz der Medien bzw. der Multimedialität der Netzkommunikation. Was jedoch fehlte, war eine theoretisch fundierte Systematisierung der neuen Kommunikationsformen, die sich nicht allein an technischen Diensten und Protokolltypen orientierte, sondern kommunikationssoziologisch und medientheoretisch begründet ist.
Klaus Beck
2. Online-Kommunikation
Zusammenfassung
Im alltäglichen Sprachgebrauch wie in den publizistischen Medien, aber auch in Teilen der Fachliteratur wird „das Internet“ als Medium, mitunter trotz seiner über 40-jährigen Geschichte als „neues“ Medium, bezeichnet. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht wirft dies die Frage nach dem zugrunde liegenden Medienbegriff auf. Eine rein technische Mediendefinition greift aus sozial- wie aus kulturwissenschaftlicher Sicht zweifellos zu kurz. Um die Funktionalität von Kommunikationsmedien angemessen analysieren zu können, ist es vielmehr notwendig, verschiedene Dimensionen eines Mediums zu berücksichtigen. Legt man die theoretischen Überlegungen von Harry Pross und von Ulrich Saxer zugrunde, dann sind Kommunikationsmedien im engeren Sinne Mittel zum Zweck der Kommunikation (symbolischen Interaktion) zwischen Menschen auf einer technischen Grundlage. Der Gebrauch von Medientechniken und die Verwendung von Zeichen folgen gesellschaftlich konventionalisierten Regeln und Erwartungsstrukturen, die sozial ausgehandelt wurden und nun als Institutionen die soziale Kommunikationspraxis rahmen. Technisch basierte Kommunikation erfordert gerade in modernen und ausdifferenzierten Gesellschaften einen erheblichen Organisationsaufwand, denn die Überbrückung raumzeitlicher Distanzen wirft neben Koordinations- und Kooperationsfragen, die metakommunikativ gelöst werden können, auch ökonomische und rechtliche Fragen auf. Dabei geht es um die Bewirtschaftung knapper Ressourcen (Frequenzen, Kanäle, Übertragungskapazitäten), den Interessenausgleich von Anspruchsgruppen und nicht zuletzt die Finanzierung des notwendigen Aufwands. Zusammenfassend kann man Medien als technisch basierte Zeichensysteme, die im sozialen Zusammenleben von Menschen zum Zwecke der Verständigung in institutionalisierter und organisierter Form verwendet werden, verstehen (vgl. Beck, Kommunikationswissenschaft, 2007, S. 81–85).
Klaus Beck
3. Interpersonale Online-Kommunikation
Zusammenfassung
Die älteste und bis heute am häufigsten genutzte Form interpersonaler Online-Kommunikation ist Electronic Mail (elektronische Post, elektronische Briefe), ein Modus der schriftlichen Textkommunikation, bei dem meist kürzere Nachrichten zwischen zwei (oder mehreren) Teilnehmern über digitale Datennetze ausgetauscht werden. Die ersten E-Mails wurden bereits im Vorläufer des heutigen Internet, dem ARPANET, ausgetauscht; in Deutschland gibt es E-Mail seit 1984, also weitaus länger als das WWW und die auf dieser Basis geschaffenen nutzerfreundlichen Webmailsysteme.
Klaus Beck
4. Online-Kommunikation in Gruppen
Zusammenfassung
Jenseits des privaten Chat-Dialogs dienen der seit 1988 betriebene Dienst Internet Relay Chat (IRC) sowie die mittlerweile weiter verbreiteten Formen des WWW-basierten Webchats vor allem der Kommunikation in öffentlich zugänglichen oder geschlossenen Gruppen, dem sog. Poly- oder Multilog. Die Kommunikation verläuft hier synchron und textbasiert durch die Eingabe von kurzen Äußerungen mittels der alphanumerischen Computertastatur in das „Chatfenster“ der Clientsoftware bzw. der Browser-Applikation. Innerhalb eines Chats können mehrere zeitlich und thematisch unabhängige Konversationsstränge stattfinden, an denen sich nicht immer alle eingeloggten Chatter beteiligen. Der Verlauf der Kommunikation wird eine zeitlang gespeichert, so dass er für hinzukommende Kommunikanten nachvollziehbar ist. Viele Chatkanäle und Webchats sind thematisch und zielgruppenbezogen strukturiert, allerdings beschränkt sich die Kommunikation meist nicht allein auf sachbezogene Informationsprozesse. Chats dienen in hohem Maße der Pflege, mitunter auch dem Knüpfen neuer Sozialkontakte und der Gefühlskommunikation, zumal sie zeitlich und räumlich nahezu unbegrenzt zugänglich sind. Chatangebote können für geschlossene Gruppen, ggf. auch kommerziell gegen Abonnement- oder Mitgliedsgebühren betrieben werden; sie können aber auch anlassbezogen stattfinden – etwa als Begleitung oder Nachbereitung von Fernseh- und Hörfunksendungen (oft als „Expertenchat“) oder als Chat-„Events“ mit Politikern oder Prominenten; sie können moderiert oder unmoderiert sein (vgl. zu den Grundlagen auch Beck, Computervermittelte Kommunikation im Internet, 2006, S. 118–123). Chatten kann aus ganz unterschiedlichen Motiven erfolgen – zur Unterhaltung im Wortsinne, zur Information über Probleme, zur Diskussion und Meinungsbildung, aber auch zur Handlungskoordination in Spieleumgebungen. Die Kommunikation im Chat erweist sich insofern wiederum als hybrid, denn sie reicht vom privaten Dialog bis hin zur Themen- oder Organisationsöffentlichkeit.
Klaus Beck
5. Öffentliche Online-Kommunikation
Zusammenfassung
Einige Modi der Online-Kommunikation eröffnen über die interpersonale Dialog- und Polylog-Kommunikation hinaus die Herstellung von organisations- und themenbezogenen Öffentlichkeiten und – vor allem im WorldWideWeb – auch die öffentliche Kommunikation mit Reichweiten, die sich mit vielen publizistischen Medien vergleichen lassen. Zumindest in Deutschland sind es die webbasierten Onlineangebote der klassischen Medienunternehmen, also von Presseverlagen und Rundfunkveranstaltern, die vorrangig – und bislang noch überwiegend entgeltfrei, zunehmend aber als „Paid content“ – genutzt werden. Ein tendenziell zunehmender Teil der öffentlichen Kommunikation (Publizistik) findet damit in Gestalt von Online-Kommunikation statt, allerdings ohne dass damit eine eigenständige Netzöffentlichkeit begründet wäre. Eine solche, gerade in der Anfangszeit des Internets und dann erneut im Rahmen des Web 2.0-Hypes emphatisch diskutierte und propagierte Öffentlichkeit neuen Typs, die Züge einer politisch unkontrollierten (und unkontrollierbaren) und ökonomisch unabhängigen Gegenöffentlichkeit trägt, lässt sich empirisch allenfalls in Ansätzen und themenspezifischen Feldern nachweisen (vgl. Beck, Computervermittelte Kommunikation im Internet, 2006, S. 204–229). Bereits die Onlinemedien der gruppenbezogenen Themen- oder Versammlungsöffentlichkeiten machen zwar deutlich, dass die Online-Kommunikation auch Laien und ressourcenschwachen Akteuren sehr stark erleichtert hat, ihre Themen und Meinungen zu publizieren: technische, wirtschaftliche und professionelle Barrieren existieren im Vergleich zu den publizistischen Presse- und Rundfunkmedien kaum noch. Allerdings kann man von einem Publizitätsparadox sprechen, denn je einfacher es ist, etwas (bzw. alles Mögliche) unselektiert zu publizieren, umso größer ist das Gesamtangebot des Publizierten. Da aber Rezeptionszeit und Aufmerksamkeit knappe Güter bleiben, sinkt – gerade durch die Umgehung bzw. den Wegfall professioneller Gatekeeper und professioneller Standards – die Chance gesellschaftlicher Wahrnehmung und gelingender Kommunikation. Zudem stellt sich die Frage der Glaubwürdigkeit im Netz (vgl. Rössler und Wirth, Glaubwürdigkeit im Internet. Fragestellungen, Modelle, empirische Befunde, 1999) dann noch stärker, wenn professionelle journalistische Standards – zum Teil gezielt – ignoriert werden.
Klaus Beck
6. Fazit
Zusammenfassung
Legt man einen kommunikationstheoretisch fundierten Medienbegriff zugrunde, erweist sich die Rede vom „Internet als Medium“ als zu undifferenziert: Das Internet ist eine technische Plattform (Medium erster Ordnung), dass eine Reihe verschiedener Modi computervermittelter Kommunikation und Medien zweiter Ordnung ermöglicht. Eine Zuordnung einzelner technischer Dienste bzw. Protokolle anhand der Kriterien Zeit (synchron vs. asynchron) und soziale Konfiguration (onte-to one etc.) hält einer kritischen Prüfung nicht stand, weil die Organisations- und Institutionsdimensionen von Medien nicht durch die Technologie determiniert werden. Medienwahl und prozedurale Regeln des Mediengebrauchs werden durch die Nutzer kommunikativ ausgehandelt und verfestigen sich zu Handlungsrahmen im Sinne Goffmans. Die Übergänge zwischen dialogischer und polylogischer interpersonaler Kommunikation können dabei fließend sein, so dass eine Typologisierung in Medien interpersonaler Online-Kommunikation (vor allem. E-Mail, Instant Messaging), der Gruppenkommunikation (Chat, Mailinglist, Newsgroup, Blog und „soziales Netzwerk“) nur einen ersten Überblick erlaubt. Näher betrachtet erweisen sich auch die einzelnen Internetdienste als hybride Medien. Durch die wachsende technische Integration verschiedener Kommunikationsmodi und Dienste auf Weboberflächen können die Nutzer Medienbrüche einfacher und vermutlich auch unbewusster vollziehen. Online-Kommunikation ist dabei vielfältig mit nicht medienvermittelten Formen interpersonaler Kommunikation und Beziehungen sowie mit öffentlicher Kommunikation in den publizistischen Medien Presse und Rundfunk vernetzt. Sie stellt keine isolierte Sphäre dar, sondern ist Teil gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse. Das gilt auch für die öffentliche Online-Kommunikation, die keine abgegrenzte und eigenständige „Netzöffentlichkeit“ hervorbringt.
Klaus Beck
Backmatter
Metadaten
Titel
Soziologie der Online-Kommunikation
verfasst von
Klaus Beck
Copyright-Jahr
2014
Electronic ISBN
978-3-658-04418-3
Print ISBN
978-3-658-04417-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-04418-3