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27.02.2015 | Automobil + Motoren | Nachricht | Online-Artikel

Allradvorteile im Wintertest nahe am Polarkreis

verfasst von: Michael Reichenbach

7 Min. Lesedauer

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Dem Allrad wird seit Urzeiten vorgeworfen, er würde zu viel Kraftstoff verbrauchen. Auch sein Alltagsnutzen wurde in Frage gestellt. GKN tritt nun bei einem Wintertest den Gegenbeweis im schwedischen Arjeplog an. Mit der neuen Disconnect-Allradtechnik hat ein Pkw nur noch drei Prozent Mehrverbrauch als einer mit reinem Frontantrieb.

Um Allradsysteme zu testen, geht man aufs Eis. Nur auf einem zugefrorenen See bei Reibwerten von Null zeigen sich die Unterschiede verschiedener Allradsysteme am besten. Der britische Zulieferer GKN veranstaltete Mitte Februar 2015 für sieben europäische Journalisten in Arjeplog einen Wintertest, um neues Techniken vorzustellen. Unsere Redaktion war exklusiv dabei und konnte die Vorteile des neuen Disconnect-Allradsystems, nur 56 km vom Polarkreis entfernt, in Nordschweden ausgiebig erfahren. Dafür standen acht Fahrzeuge, vom Elektrosportwagen BMW i8 über den Geländewagen Jeep Renegrade bis zum Hybrid-SUV Mitsubishi Outlander, zur Verfügung.

Eigenverantwortung stärken

Nur dann können CO2-Emissions- und Leichtbauthemen in einer Entwicklung voll berücksichtigt werden, wenn ein Zulieferer früh vom OEM mit ins Boot geholt wird und möglichst große Umfänge selbst entwickeln darf. Auch Geräusch- und NVH-Fragen sowie Reibungsaspekte lassen sich dann besser und ganzheitlich optimieren. So sagt Rob Rickell, Technikchef des Konzerns GKN, zur Eigenverantwortung: "Wir sind sehr stolz, was wir mit unserem neuen Disconnect-Allradsystem an Verbesserungen erreicht haben. Entscheidend für ein gutes Ergebnis ist, dass wir die Gesamtsystem-Verantwortung für einen Triebstrang haben". Das war aktuell sowohl bei FiatChrysler mit dem Jeep Renegade als auch bei Jaguar Land Rover mit dem Evoque der Fall gewesen. Sogar die Steuerungssoftware durfte GKN selbst schreiben. Auch die Integration der Längswelle und der Gelenkwellen in den Antriebsstrang ist bei einem solchen Entwicklungsprojekt ganz anders möglich. Wenn der OEM Teile von mehreren Zulieferern zusammenbaut, ist eine Gesamtbetrachtung und somit -verbesserung nicht gegeben.

Als erster auf dem Markt

GKN ist als erster auf dem Markt und der Straße mit einem Entkopplungssystem für den Allradantrieb. Dabei handelt es sich um den Jeep Renegade und den vom Antrieb her identischen Fiat 500X. Neu ist das Ein- und Ausschalten des Allradantriebs (AWD) mit der Disconnect-Funktion an Anfang und Ende der Kardanwelle. Eine solche Schaltung über Lamellenkupplungen haben die meisten Wettbewerber wie BorgWarner mit der Haldex-Kupplung, AmericanAxle, Dana oder Audi mit dem Quattro-System noch nicht in Serie. Dies sind - noch - alles permanente Allradsysteme mit dem Nachteil, dass sie fortwährend die rotierenden Komponenten beschleunigen und abbremsen müssen. Und diese Massenträgheitseffekte sowie Planschverluste verschlechtern den Wirkungsgrad. Kraftstoffverbrauch und damit CO2-Emissionen können mit dem GKN-System um zwei bis fünf Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Systemen reduziert werden.

20 Prozent Mehrverbrauch sind passé

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Alte Allradantriebe waren früher sehr schwer, schlecht konstruiert und hatten 20 bis 30 Prozent Mehrverbrauch - heute sind es gerade mal drei Prozent mehr, wie Rob Genway-Haden, Vice President von GKN Driveline, feststellt. Grund für die Reduktion ist, dass die Kardanwelle an beiden Enden entkoppelt wird. Denn es kommen 80 Prozent der Verluste in einem AWD-System von der Reibung. Und Genway-Haden fügt hinzu: "Im direkten Vergleich bevorzugt so gut wie jeder Endkunde AWD gegenüber dem Frontantrieb, wenn er direkt den Wagen wechselt. Er möchte unsere letzte Generation neuester Technik intelligenter Allradsysteme nicht mehr missen". Die drei Prozent Mehrverbrauch sind gut investiert, fährt man mit einem AWD-Fahrzeug doch jederzeit stabiler und sicherer. Durchrutschende Räder beim Start an der Ampel gehören der Vergangenheit an. Und der Allrad packt nur dann sanft und unauffällig zu, wenn die Sensorik ihm dies nahelegt. Sonst fährt man spritsparend im reinen Frontantriebsmodus.

Auch Querverteilung möglich

Bei Evoque und Mini Twinster kann GKN durch die intelligente Steuerung der Doppelkupplung, die an der Hinterachse angebracht ist, eine Torque-Vectoring-Funktion realisieren, womit das Drehmoment variabel auf die linke und rechte Seite verteilt werden kann. Fahrdynamik, Stabilität und Kurvenverhalten werden verbessert. Mit der Disconnect- und der Torque-Vectoring-Technik, sagte Rickell in Nordschweden, sind wir gegenüber anderen schon dieses und nächstes Jahr mit vielen Modellen auf dem Markt, während jene erst später starten. Dabei steige die Nachfrage nach einer Allradfunktion für Fahrzeugmodelle, die in der Basis Frontantrieb besitzen, stetig an. Und die OEMs sähen, dass dieses effiziente Allradsystem Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge in eine noch attraktivere Position bringt, gerade im preissensiblen Kleinwagensegment (B und C). Stolz ist Rickell, dass der CO2-Ausstoß mit der Disconnect-Technik auf unter 130 g/km gesenkt werden kann - früher eine unmögliche Sache für Allradfahrzeuge. Er möchte die AWD-Akzeptanz weiter steigern: Allrad soll nicht mehr als Gimmick behandelt werden, es soll zum Sicherheitsgewinn werden.

Mehr zum Wintertest in Schweden lesen Sie auf Seite 2.

Auch im realen Betrieb sparsam

Betrachtet man die Testzyklen, so geht der Allrad beim bisherigen NEFZ als Mischung ins Ergebnis ein. GKN hat aber bei seinen neuen Systemen auch schon nach dem zukünftigen Standard WLTP getestet, wo nicht nur auf dem Rollenprüfstand, sondern auch im realen Betrieb gute Messwerte mit eingeschalteter Allradfunktion erzielt werden könnten. Dies ist umso wichtiger, wenn man AWD mit anderen Maßnahmen, CO2 zu reduzieren, vergleicht: Stopp-Start bringt hier im Realbetrieb oft deutlich weniger für den Endkunden.

Allrad und Leichtbau

Der Allrad speckt ab. Bei einem B- und C-Segment-Auto wie Fiat 500X und Jeep Renegade sind die Bauteile klein und leicht geworden. Manche sind erstaunt, dass sie noch die großen Leistungen sicher übertragen. Aber mit analytischen Vorversuchen zur Festigkeit, geschmiedeten Stählen, absolut genau berechneten Zahnkorrekturen für die Hypoid-Zahnräder mit kleinstem Durchmesser sowie strukturoptimiertem, dünnwandigen Aluminium-Druckguss für die Gehäuse machte GKN Driveline einen leichten Allradantrieb möglich.

Handlingskurse auf dem Eis

Die Firma Kolmis ist Dienstleister und präpariert seit zwei Jahrzehnten die Bahnen für alle Autotester der Welt auf dem See bei Arjeplog. Dazu zählen für GKN auf dem Eis ein Handlingskurs, eine Kreisplatte und eine Hochgeschwindigkeits-Gerade als drei Teststrecken. Letzte beide weisen auch Teilstücke mit poliertem, glattem Eis auf, während die Bahnen sonst mit aufgerautem Eis daherkamen. Für die sieben Journalisten aus Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien standen zum Testen acht Fahrzeuge mit unterschiedlichen Allradsystemen oder Drehmomentmanagementsystemen zur Verfügung: BMW i8, BMW M3, BMW X6, Jeep Renegade, Mini Countryman, Mitsubishi Outlander, Peugeot 3008 und Range Rover Evoque.

Supersportwagen mit Allradsystem

Vor allem beim BMW i8 proklamiert GKN seine Technikführerschaft. Der BMW i8 sei der erste Hybrid-Supersportwagen mit einem Allradsystem, das bei allen Fahrgeschwindigkeiten bis 250 km/h verfügbar ist. Die eAxle von GKN besitzt ein Zweiganggetriebe und verfügt über eine kupplungslose Schaltung. GKN übernahm die komplette Software-Entwicklung und -Integration, steuert auch den Antriebsstrang währen der Schaltphasen. Der BMW ließ sich auf allen drei Teststrecken hervorragend bewegen, hat in allen Phasen Grip und ist auch bei Kreisfahrt gut zu beherrschen.

Geländewagen mit Disconnect

Daneben beeindruckte vor allem der Geländewagen Jeep Renegade auf den Teststrecken des zugefrorenen Sees. Auch hier beansprucht GKN die Technikführerschaft für sich. Denn obwohl der Geländewagen volle Offroad-Eigenschaften für das Gelände besitzt und 70-Prozent-Steigungen erklettern kann, ist er dank Wegschalten des Disconnect-Allradantriebs - dann nur noch als Fronttriebler laufend - ein spritsparendes Auto für den Alltag auch in der Stadt. Trotz hohen Schwerpunkts und größerem Gewicht zeigte der Offroader seine Qualitäten auf den Eisbahnen in beeindruckender Art und Weise. Nur wenn die Sensoren, die unter anderem Außentemperatur, Lenkradwinkel, ABS-Signal und Gierrate auswerten, melden, dass mehr Traktion erforderlich ist, setzt das Drehmoment auch an den Hinterrädern an und sorgt für mehr Grip und Bewegung nach vorne. Mit diesem Fahrzeug ist es Jeep und GKN gelungen, Fahrspaß und niedrigen Verbrauch wie bei keinem anderen in Einklang zu bringen.

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