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26.06.2014 | Media Relations | Schwerpunkt | Online-Artikel

Der Profi ahnt, was seine Zuhörer denken

5:30 Min. Lesedauer

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Eine gute Rede braucht eine Dramaturgie. Wie ein Speaker die Spannung bis zum letzten Satz hält, erklärt Springer-Autor Michael Rossié im dritten Teil der Serie "Frei Sprechen".

7. Abholen: Bei den ersten Versuchen kümmert sich ein Speaker nicht viel um die Gedanken seines Publikums. Schließlich ist er voll und ganz mit sich beschäftigt. Ob die Lust haben, etwas anderes erwartet haben oder ihn sich größer vorgestellt haben, muss ihm egal sein. Seine Rede braucht seine ganze Konzentration und Nebenkriegsschauplätze stören. Wenn es den Leuten nicht gefallen hat, brauchen Sie ihn ja nicht mehr zu buchen.

Der geübte Speaker ist froh, dass er nicht weiß, was seine Zuhörer denken. Schließlich kann er nichts dafür, dass bei seinem Vortrag Anwesenheitspflicht besteht, der Veranstalter völlig überhöhte Preise verlangt hat oder die Klimaanlage nicht funktioniert. Solche Themen lenken nur ab. Keine schlafenden Hunde wecken, möglicherweise fällt noch jemandem auf, dass er das Thema leicht verändert hat, um sein neues Buch besser promoten zu können.

Der Profi ahnt, was seine Zuhörer denken, und sagt es ihnen gleich zu Anfang. Trifft er damit den Nagel auf den Kopf, hat er sein Publikum schon halb in der Hand. Er weiß, was in Menschen vorgeht, die sich zu diesem Thema genau an diesem Ort versammeln, um ihn zu sehen. Und wenn er jetzt den Hellseher spielt, ist ihm die erste Überraschung schon gelungen.

8. Sprichwörter und Zitate

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Teil 2: Der Könner saugt alles auf

Jemand, der als Speaker wenig Erfahrung hat, der beginnt mit einem Sprichwort. Es gibt eine Fülle von Literatur, die ihm alles nach Themengebieten sortiert. So hat er gleich Anregungen für den Rest der Rede. Auch Zitate eigenen sich, besonders von Shaw, Lincoln und Churchill. Am besten leitet er ein mit „Ein kluger Mann hat einmal gesagt...“ schaut zur Decke und konzentriert sich, wie das Sprichwort genau heißt, damit er nichts durcheinander bringt.

Der Redner Mit Erfahrung wandelt die Sprichwörter ab, dann klingen sie frischer und geben keine Lebenshilfe, sondern erzählen von seiner Kreativität. Außerdem kann es witzig sein, wenn es heißt „Viele Bäche verderben die Schlei“ oder „Was Hänschen nicht lernt, braucht Hans nicht zu vergessen.“ Aber er passt auf, dass es nicht zu gewollt ist. Auch Hobbydichter können durchfallen.

Der Top-Speaker weiß, dass die Redezeit immer zu kurz ist und Zitate anderer Menschen nur vom König ablenken. Ein guter eigener Spruch, ein guter Satz eines Teilnehmers, ein Appell oder ein kleine Szene in Dialogform sind direkte Einstiege, die dafür sorgen, dass die Teilnehmer die Handys ausschalten, um nur ja nichts zu verpassen.

9. Der Gimmick

Der Anfänger kauft für den Beginn seines Vortrages einen richtig guten Zaubertrick. Der wird wochenlang geübt. Das beeindruckt die Zuschauer. Es geht gleich los, so ist ihm die Aufmerksamkeit von Anfang an sicher. Wahlweise sind auch Tischfeuerwerke, Tiere und ein Rondo eines Kammerorchesters zu empfehlen. Es muss nur ungewöhnlich und noch nicht von den Kollegen missbraucht worden sein.

Der Routinier verlässt sich mehr auf sich selbst und lässt die Spielchen sein. Mal ein kleiner Taschenspielertrick, mal ein hübscher Youtube-Film, und mal ein kleiner Sketch mit einer hübschen Assistentin zu Anfang. Aber er lässt sich die Wirkung der eigenen Person nicht durch irgendwelche Mäzchen stören. Er macht etwas Überraschendes, aber der Aufwand ist gering. Redner, die mit LKWs voller Equipment hinter der Bühne vorfahren, sind verdächtig.

Der Profi verlässt sich auf sich und seine Einfälle. Requisiten sind ihm lästig. Die müssen gewartet und getragen werden. Schließlich soll niemand die Mühe bewundern, mit der er alles geschleppt hat, sondern er will selbst bewundert werden: Für seinen Charme, seine Einfälle, seine originellen Wortspiele. Er fängt mit etwas an, mit dem niemand gerechnet hat.

10. Das Ende

Der Anfänger muss sich um das Ende keine Gedanken machen. Er ist ohnehin heilfroh, dass es jetzt vorbei ist. Er überlegt kurz, ob er alles gesagt hat („Ich glaubeeeee (gedehnt), das wär’s dann jetzt!“), liest eine bekannte Seminargeschichte vom Sultan im fernen Arabien vor und teilt dann übergangslos die Bewertungsbögen aus.

Ein Redner, der das schon oft gemacht hat, überzieht hemmungslos, denn er weiß, dass ein Schluss schwer zu finden ist. Außerdem bedeutet Redezeit Macht. Wenn ein Drittel der Zuschauer im Gehen begriffen ist, kommt er langsam zum Ende und ruft den strömenden Massen seine Internetadresse zu, weist auf den Korb für die Visitenkarten hin, gibt die Daten für die nächsten Auftritte an, nennt die Telefonnummer seines Agenten und bietet ein dreiminütiges kostenloses Telefoncoaching an, allerdings nur Mittwochs zwischen 8 und 8.30 Uhr.

Der Könner beginnt mit dem Ende seiner Rede schon lange vor dem Ende. Er findet den Bogen zu seiner Botschaft, beantwortet letzte Zuschauerfragen und erklärt ganz in Ruhe, wie man ihn erreichen kann. Seine Internetadresse ist einfach und enthält keine Abkürzungen.

Dann kommt der letzte Gedanke, die letzte Geschichte. Der gute Speaker fasst zusammen, gibt Tipps wie es weitergehen könnte oder weist auf Bücher hin. Hier kommt nichts Neues mehr, sondern das Gesagte wird noch einmal besser verknüpft. Ein Dank wäre hier sehr ungewöhnlich, würde also besser bemerkt und käme wirkungsvoller an.

Dann kommt breit und langsam, wichtig und einfach, klar und deutlich ein knackiger letzter Satz, den man sich gut überlegt hat. Nicht zu lang, leicht zu behalten und möglicherweise witzig. Er muss sitzen wie der Paukenschlag am Schluss der Sinfonie. Je nach Thema laut und voller Begeisterung oder leise mit feiner Ironie. Immer langsamer, mit einer Pause davor und danach. Schließlich sollte jeder erkennen, dass jetzt Schluss ist. Er schaut alle an, steht fest auf beiden Beinen. Möglicherweise lächelt er dabei gewinnend. Und wenn es schön war, sagt er „Dankeschön!“ Der Profi endet genau 30 Sekunden nach dem vorher vereinbarten Zeitpunkt.

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