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20.07.2015 | Medien | Schwerpunkt | Online-Artikel

Die Causa Griechenland – auch ein Versagen der Medien?

4:30 Min. Lesedauer

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Das Ringen um Griechenland und dessen Mitgliedschaft in der Euro-Zone brachte die EU zeitweise an den Rand ihrer bis dahin größten Krise. Auch die Medien stehen im Zuge der Causa Griechenland in der Kritik und sind daran nicht ganz unschuldig. Ein Kommentar.

Eine Studie von Infratest Dimap im Auftrag des Medienmagazins Zapp brachte es an den Tag: Nur noch zwischen zwei und fünf Prozent der Bundesbürger haben „sehr großes Vertrauen“ in Journalisten. Eher misstrauisch („weniger“ oder „gar kein Vertrauen“) sind – je nach Thema der Berichterstattung – etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Bürger. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Einzelne dank der digitalen Revolution so viel, so vielfältig und so günstig Zugang zu Nachrichten hat wie nie zuvor in der Geschichte, nimmt das Vertrauen in die angebotenen Informationen somit annähernd reziprok zur gelieferten Informationsmenge ab.

Vertrauensverlust der Medien

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Besonders fatal: Jeder Versuch der Medien, auf die teils berechtigte, teils unberechtigte Kritik einzugehen, scheint diesen erodierenden Vertrauensverlust nur noch weiter zu verstärken. Dies hat einiges damit zu tun, in welcher Art Medien über Krisen berichten: Rund 70 Jahre galt in der Bundesrepublik das Paradigma von den Medien als vierter Gewalt, deren Aufgabe es nicht nur war, die Bürger zu informieren, sondern auch gesellschaftliche Probleme öffentlich zu machen und so zu deren Behebung beizutragen. Im Gegenzug genossen Medien in Deutschland zahlreiche Vorteile: So gilt für gedruckte Periodika seit jeher ein reduzierter Mehrwertsteuersatz und auch von der Zahlung des Mindestlohnes für Zeitungszusteller hat der Gesetzgeber deutsche Verlage für eine Übergangsfrist befreit. Ganz aktuell wird über weitere Steuervorteile oder Fördermittel für angeschlagene Verlage diskutiert – auch unter Verweis auf ihre gesellschaftliche Bedeutung.

Medien in der Glaubwürdigkeitskrise

Doch gerade die Funktion als vierte Gewalt wird für die Medien – neben der wirtschaftlichen Herausforderung durch den immer härteren digitalen Wettbewerb – nun zum großen Problem. Schuld ist das Phänomen der “Spontanen Merkmalsübertragung”. Dieser Begriff aus der Wahrnehmungspsychologie beschreibt,  dass negative Nachrichten immer auch auf den Überbringer derselben zurückfallen. Wo aber Medien Tagespolitik vor allem als das Versagen von Akteuren darstellen und Autoritäten generell infrage stellen, verlieren sie so mit der Zeit auch ihre eigene Autorität und Glaubwürdigkeit. Wer über Betrug und Täuschung berichtet, wird auch selbst zunehmend als Betrüger und Täuscher wahrgenommen. In der griechischen Mythologie kommt diese Rolle der Seherin Kassandra zu, die die Trojer zwar vor der Niederlage im Trojanischen Krieges warnte, aber dazu verdammt war, dass ihr niemand glauben wollte und sie dem tragischen Finale so macht - und tatenlos zusehen musste.

Emotionale Berichterstattung

Ein weiteres Dilemma: Die Griechenland-Berichterstattung wurde sehr schnell emotional – beispielsweise dort, wo sie die komplexen und medial schwer zu vermittelnden Inhalte der einzelnen Sparprogramme ersatzweise auf einfache Chiffren und Dualismen wie den Gegensatz zwischen dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble und seinen kurzzeitigen griechischen Gegenüber Yanis Varoufakis zu reduzieren versuchte. Nicht minder emotional waren die Überschriften in den Boulevardmedien („Pleite-Griechen“). Ähnlich eskalierend fiel die Bilder- und Karikaturensprache der Gegenseite aus, die Schäuble wahlweise als Gevatter Tod oder IS-Henker zeigte. Auf einem der Höhepunkte der Krise machte der Spiegel mit einem satirisch gemeinten Titelblatt auf, das einen deutschen Touristen und einen Griechen beim gemeinsamen Sirtaki-Tanz zeigte – und erntete damit Häme und Kritik in den Sozialen Medien. Beim Deutschen Presserat gingen zahlreiche Beschwerden über Griechenland-Berichte der BILD-Zeitung ein.

Vom Kopf- zum Bauchthema

Die öffentliche Diskussion über die Rettung Griechenlands wandelte sich so vom Kopf- zum Bauchthema. Die vielen Facetten der Griechenland-Debatte verkürzten und verfälschten sich auf ein simples Pro oder Contra zur Austeritätspolitik. Der nicht nur in der Außenwahrnehmung quälend langsame Verlauf der Verhandlungen zwischen Brüssel und Athen erinnerte gleichzeitig an eine andere griechische Sagengestalt – den König Sisyphos, welcher von den Göttern dazu verurteilt war, in alle Ewigkeit einen Stein einen Berg hinauf zu rollen ohne jemals auf der Bergspitze anzukommen. Der scheinbar endlose Prozess der Griechenland-Rettung ließ beim Medienkonsumenten Frustration und Fatalismus aufkommen und verstärkte so noch einmal die emotionale Grundhaltung. Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Griechenland-Berichterstattung ziehen? Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht gleich mehrere.

  • Erstens: Eine aus kurzsichtigen Motiven angestoßene emotionale und simplifizierende Berichterstattung verhindert einen sachlichen öffentlichen Diskurs. Eine Entemotionalisierung des Themas Griechenland ist augenscheinlich kaum möglich.

  • Zweitens: Ein kritisch-skeptischer bis negativer Grundton, der Verbindendes in politischen Auseinandersetzungen zu wenig betont, trägt zur Lagerbildung bei und schlägt mittelfristig auch auf die Reputation der Medien selbst zurück.

  • Drittens: Eine distanzierte Berichterstattung, die politische Prozesse nüchtern und unaufgeregt wiedergibt, wird ihren Themen zwar eher gerecht – bringt aber auch bei Online-Medien wenig „Klicks“ und ist damit aus verlegerischer Sicht unwirtschaftlich. Der leise Mahner geht im Geschrei  der digitalen Welt unbemerkt unter.

Noch haben die Medien keine Antwort auf diese Herausforderungen gefunden.

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