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12.03.2015 | Fahrzeugtechnik | Interview | Online-Artikel

"Elektromobilität muss für den Kunden als Gesamtangebot attraktiv werden"

verfasst von: Wolfgang Siebenpfeiffer

8:30 Min. Lesedauer

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Neben der Elektrifizierung des Antriebs sind wegen CO2-Verordnungen weitere Optimierungen am Verbrennungsmotor notwendig. Auch alternative Materialen und Materialmixe sowie die Connectivity von Fahrzeugen rücken in den Fokus. ATZ/MTZ ließ sich von Ulrich Hackenberg den Standpunkt von Audi erläutern.

Wie muss eine innovative Ausstattungs- und Modellpolitik aussehen, damit alle Audi-Modelle das Topresultat "5 Sterne" im Euro NCAP erhalten, wo aktuell der Audi TT nur 4 Sterne erhielt?

Hackenberg_Euro NCAP bemängelte, dass aufgrund der eingeschränkten Platzverhältnisse im Fond bestimmte Kindersitze nur eingeschränkt nutzbar sind oder schwer einzubauen waren. Die Platzverhältnisse entsprechen dem Sportwagen-Charakter des TT, bei dem die hinteren Sitze nicht vollwertig für Erwachsene ausgelegt sind und die Zugänglichkeit einen Kompromiss mit dem Design eingeht. Aber auch in der Klasse der Sportwagen bewegt sich der Audi TT auf einem sehr guten Niveau. Abzüge gab es auch für das fehlende automatische Notbremssystem, das nicht angeboten wird, weil die Kundennachfrage dafür zu gering ist. Von dieser Ausnahme abgesehen, besitzt der TT aber zahlreich aktive Sicherheitsfeatures, etwa den serienmäßigen Bremsassistent Folgekollision, der das Auto nach einer Kollision automatisch abbremst und so die Folgen einer möglichen Zweitkollision mindert. Weitere aktive Sicherheitssysteme, die nicht in die Wertung von Euro NCAP einflossen, sind beispielsweise Audi Side Assist (Spurwechselassistent), kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung oder Audi-Matrix-LED-Scheinwerfer.

Die Gesetzgebung sieht zukünftig höherlastige Testzyklen vor. Ist das das Ende des extremen Downsizing? Kommen wir wieder zu größeren Hubräumen?

Es gibt ja nicht die Weltmeisterschaft im Downsizing. Wir nennen das inzwischen Rightsizing, das heißt für den spezifischen Anwendungsfall gibt es eine optimale Hubraumgröße. Irgendwo kommt man beim Downsizing an die Grenzen, weil beispielsweise die relative Fläche der Zylinderwände ein Optimum zum Hubraumverhältnis hat und da kann man nicht unendlich kleiner werden. Beim Diesel sieht man das sehr gut. Da macht es irgendwann Sinn beim Downsizing vom geometrischen zum konzeptionellen zu gehen - also beispielsweise von vier auf drei Zylinder. Die Anzahl der Zylinder geht natürlich in das Schwingungsbild mit ein und damit wird es dann irgendwann wieder aufwändig. Wenn ich mit vielen oder sehr schweren Ausgleichswellen fahren muss, dann habe ich in jeder Verzahnung ungefähr ein Prozent Verlust, was natürlich in den Gesamtverlust-Wirkungsgrad eingeht sowie Kosten und Geräusche verursacht. Deshalb sind Konzepte wichtig, mit denen Ausgleichswellen vermieden werden können. Das Schwingungsverhalten bei Dreizylindern bekommt man bei kleineren Hubräumen auch ohne Ausgleichswellen in den Griff, wohingegen diese bei Zweizylindern auf jeden Fall notwendig sind. Man muss sich anschauen, ob der Gesamtdrehzahlbereich des Motors genutzt werden muss, oder ob nicht in Verbindung mit elektrischen Konzepten - also mit Hybriden - Drehzahlbereiche ausgespart werden können, die von den Schwingungseigenschaften her eher negativ sind, wie etwa das Anfahren bei niedrigen Drehzahlen. In Verbindung mit elektrifizierten Antrieben, ist also weiteres Downsizing noch möglich, auch weil so kostengünstige Motoren entwickelt werden können, da man nicht mehr das gesamte Kennfeld berücksichtigen muss.

Die immer strengeren Emissionsnormen und die ambitionierten CO2-Ziele erfordern Weiterentwicklungen an Motor und Subsystemen, die ihr Potenzial erst durch eine Anpassung der Verbrennung entfalten. Was sind die nächsten entscheidenden Schritte von Audi bei der Entwicklung von Brennverfahren und vorgelagerter Gemischbildung auf diesel- und ottomotorischer Seite?

Ein wesentlicher Schritt zur Erfüllung der zukünftigen sich weltweit verschärfenden Emissionsgrenzwerte ist die kontinuierliche Verbesserung der Gemischbildung. Bereits in der Vergangenheit haben wir bei unseren TFSI-Motoren den Einspritzdruck mit jeder neuen Generation weiter erhöht. Diese Entwicklung wird auch in Zukunft weiter gehen. Zusätzlich erfolgt eine Vielzahl von Detailoptimierungen an den Einspritzventilen. Damit wird die Gemischaufbereitung kontinuierlich verbessert und als Folge werden die bei der Verbrennung entstehenden Schadstoffkomponenten weiter reduziert. Auch die Verbesserung der Applikation, insbesondere das Zusammenspiel von Direkteinspritzung und Saugrohreinspritzung bei unserem dualen Einspritzsystem liefert hier einen zusätzlichen wichtigen Beitrag. Letztlich gibt es natürlich auch bei den Abgasnachbehandlungssystemen immer noch Weiterentwicklungen, auch wenn wir hier in den letzten Jahrzehnten bereits ein sehr hohes Niveau erreicht haben.

Bei den ottomotorischen Brennverfahren werden wir bereits in diesem Jahr einen neuen Ansatz zeigen, der einen deutlichen Schritt in Richtung Wirkungsgradverbesserung ermöglicht. Zusätzlich werden wir weitere Variabilitäten in unsere Motoren bringen, so dass wir die Motoren noch gezielter in ihrem gesamten Betriebsbereich optimieren können.

Ein Automobilhersteller ist beim Thema Connectivity einerseits abhängig von den Innovationen sowie den Möglichkeiten der Consumer-Elektronik(CE)-Industrie und muss andererseits diese für das Automobil spezifizieren. Auf handfeste, teilweise sicherheitsrelevante Probleme macht der ZVEI mit führenden Halbleiterherstellern in Form eines Positionspapiers Ende 2014 aufmerksam, mit dem der Verband auf die Autohersteller zugeht und Lösungen zur automobilgerechten CE-Integration vorschlägt. Der Audi-Halbleiterexperte Hellenthal winkt ab und verweist auf Audi-eigene Entwicklungen, die bis auf Halbleiterebene reichen. Baut Audi nun eigene Halbleiter?

Nein, aber Audi arbeitet ganz eng mit Halbleiterentwicklern zusammen. Unser wichtigster Halbleiterhersteller sind Qualcom und Nvidia in den USA. Diese Hersteller haben wie wir Entwicklungszyklen bis zur Serienreife von rund drei Jahren, wobei sie jedes Jahr mindestens eine neue Halbleitergeneration herausbringen, also auch kaskadenhaft arbeiten. Wir steigen dort schon sehr früh in der Entwicklungsphase - in etwa 1 bis 2 Jahre vor der Serienreife - mit ein und können uns dann schon mit einbringen und auch damit arbeiten. Wir wissen also rechtzeitig was kommt. Das ist das, was mein Kollege damit ansprechen will, nämlich dass wir uns diesen Produktzyklen anpassen können. Das bedeutet natürlich, dass wir innerhalb der Modelle in unseren Fahrzeuge schon Technologiewechsel vornehmen, beispielweise bei Speicherkapazitäten. Das geht nur deshalb, weil unsere Steuergeräte einen modularen Aufbau haben, der es ermöglicht, die Halbleiter auszutauschen. Wir können somit ohne die Gesamtarchitektur zu verändern den neuen Halbleiter einsetzen, welcher dann zur Architektur passt. Die nächsten Generationen, die wir kennen, sind auch seitens Nvidia und Qualcom so gesetzt, dass sie auf einander aufbauen und unsere Architektur berücksichtigen.

Durch Materialsubstitution an der richtigen Stelle lässt sich Gewicht einsparen, doch ist CFK für die Serie zu teuer. Auf der Werkstoffseite ist Aluminium längst etabliert. Welches sind neben der Funktionsintegration aktuell die nächsten Schritte bei Audi für den Leichtbau?

Das ist sicherlich das Thema Multimaterialtechnologie. Dort heißt das Grundprinzip: das richtige Material an der richtigen Stelle. Überall da, wo es Sinn macht, sollten die hochwertigsten Materialien zum Einsatz kommen, natürlich in Hinblick auf Gewicht und Eigenschaften optimiert. Es geht aber nicht darum zu sagen, ich habe den Space Frame zu 100 Prozent aus Aluminium. Dort wo Stahl sinnvoll ist, setzen wir diesen auch ein, in Zukunft etwa im Zellbereich oder im Bereich der Längsträger. Wir sprechen hier von partiell warmumgeformtem Stahl mit hohen Festigkeiten. Für andere Strukturbereiche verwenden wir Aluminium, Magnesium und Carbon. Die eigentliche Kunst besteht darin, die Verbindungstechnik und die Prozesstechnik in der Fertigung zu beherrschen. Abgesehen davon, dass verstärkt mit Nietverbindungen gearbeitet wird, ist es wichtig, dass diese Materialien mit ihren unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten sowie die eingesetzten Kleber in den Prozessbädern, wo es um Korrosionsschutz und lackieren geht, prozesstemperaturfähig sind. Das ist nicht trivial, sondern sehr anspruchsvoll.

Elektromobilität kommt besonders in Deutschland nicht in Fahrt. Jahrelang wurde das emotionale Produkt Auto im Falle des Elektroautos für rational erklärt und zuweilen abgewehrt. Das führt nun zu einem sehr erklärungswürdigen Produkt, einem umgebauten Audi, dem man die tollen Innovationen nicht ansieht. Ist es nun an der Zeit mit einem unverwechselbaren Elektroauto für den neuen Antrieb zu werben, natürlich ungeachtet der wichtigen Plug-in-Technik, die mehr Breitenwirkung verspricht?

Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, ein spezifisches Design zu entwickeln, um eine Breitenwirkung zu erzielen. Warum wird ein A3 in großen Volumina verkauft? Weil er perfekt auf den Kunden angepasst ist und alle seine Anforderungen erfüllt. Warum sollte dieser A3-Kunde nicht auch mit einem elektrischen oder hybriden Antrieb bedient werden? Die Eigenschaften, die er sucht, wird er genauso gut in einem elektrischen Fahrzeug finden. Wenn wir aus dieser Einführungsphase herauskommen, wird ein elektrisch betriebenes Fahrzeug ganz normal sein. Der Kunde sucht sich dann das was er braucht. Und das ist heute beispielsweise der A3. Deshalb ist der A3 zu 100 Prozent richtig. Da, wo es für den Kunden wirtschaftlich ist, kauft er elektrisch betriebene Fahrzeuge. In Norwegen oder Holland beispielsweise, ist E-Mobilität incentiviert, also für Kunden ein Business Case. Wir müssen dahin kommen, dass es für den Kunden vom Gesamtangebot her attraktiv wird - dazu gehören auch die Reichweite sowie der Zugang zu Ladestationen im Stadtbereich und am Arbeitsplatz. Die Autos haben wir, sie sind technologisch weltweit führend. Was uns sicherlich noch fehlt, ist die Gesamtattraktivität. Und die Kosten müssen natürlich weiter gesenkt werden.

Beim neuen TT sorgt eine radselektive Momentensteuerung durch ein Einbremsen der kurveninneren Räder gerade bei teilabgeschaltetem ESP für ein deutliches Plus an gut beherrschbarer Agilität im Kurvenverhalten. Ist Torque Vectoring kein Thema für Audi?

In dieser Fahrzeugklasse ist kein Torque Vectoring notwendig, da die Art der Kraftverteilung über die Lamellenkupplung und den elektronischen Bremseneingriff bei einem Fahrzeug wie dem Audi TT vollkommen ausreichen. Torque Vectoring ist ein Thema für schwerere Fahrzeuge, um dort gezielt ohne Bremseingriff die Kräfte besser zu verteilen.

Wird durch das automatisierte Fahren die passive Sicherheit verzichtbar und bringt das wieder Einsparpotenziale beim Gewicht? Wie sieht der Übergangszeitraum aus?

Nein, pilotiertes Fahren ersetzt nicht die Aufwendungen für passive Sicherheit. Bis sich in der Übergangszeit die Unfälle reduzieren, wird es noch lange dauern. Niemand ist bis dahin davor gefeit, mit höheren Geschwindigkeiten in Unfälle verwickelt zu werden. Darüber hinaus existieren weltweit vielfältige Vorschriften bez. Insassen- und Fußgängerschutz. Da ist es für einen Hersteller für Audi selbstverständlich auf hohem Niveau zu sein. Gute Sicherheit ist nur im Zusammenspiel von aktiver und passiver Sicherheit zu garantieren. Konstruktive und elektronische Maßnahmen fließen hier zusammen.

Herr Professor Hackenberg, wir danken für das Gespräch.

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