Published in:
01-06-2012 | Editorial
Editorial
Author:
Dr. Ruth Ayaß
Published in:
Österreichische Zeitschrift für Soziologie
|
Issue 2/2012
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Auszug
Die visuelle Soziologie hat bislang ein wechselhaftes Schicksal erfahren. Das in der ersten Auflage des „Wörterbuchs der Soziologie“ enthaltene Lemma zu visueller Soziologie von Berghaus (
1989) verschwand 2002 bei der überarbeiteten zweiten Neuauflage des Lexikons ersatzlos; es wird erst in der dritten Auflage einen im Umfang allerdings ziemlich lädierten Wiedereinzug halten können (Ayaß
2012, in Druck). Das Entfallen des Lexikoneintrags weist darauf hin, dass die visuelle Soziologie in der deutschsprachigen Soziologie zu diesem Zeitpunkt keine besonders solide Verankerung hatte. Diesen Eindruck konnten auch die zunächst vereinzelt aufscheinenden empirischen und theoretischen Beiträge zur soziologischen Analyse stehender und bewegter Bilder nur bedingt ändern (etwa Bohnsack
2003 mit der dokumentarischen Methode und Müller-Doohms bildhermeneutische Verfahren
1993). In den USA konnten sich zwar visuelle Verfahren früher als in der deutschsprachigen Soziologie entwickeln (z. B. Harper
1982,
1988), aber auch dort waren visuelle Ansätze lange Zeit in der Defensive. Dabei hatte die amerikanische Soziologie zu Beginn anscheinend keine Schwierigkeiten mit Bildern: Wie Stasz (
1979) anhand der Jahrgänge 1896 bis 1916 des „American Journal of Sociology“ zeigt, spielten in den ersten zwanzig Erscheinungsjahren dieser Zeitschrift Fotografien eine ganz erhebliche Rolle. In zahlreichen Beiträgen wurden Fotografien als Beleg oder zur Illustration eingesetzt. In insgesamt 31 Aufsätzen wurden 244 Fotografien verwendet, die Fälle nicht mitgerechnet, in denen Fotografien ein mechanisches Detail veranschaulichten oder Portraits von Soziologen, meist in Nachrufen, zeigten. Essays mit Fotografien wurden oft sogar an einer „lead position“ platziert (Stasz
1979, S. 120). …