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Published in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) 1/2023

Open Access 20-03-2023 | Editorial

Zur Aktualität soziotechnischer Arbeits- und Systemgestaltungsansätze in Zeiten von Digitalisierung und KI

Authors: Erich Latniak, Anita Tisch, Simone Kauffeld

Published in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) | Issue 1/2023

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1 Soziotechnische Konzepte als modernes ‚ceterum censeo‘ der Arbeits- und Systemgestaltung?

Die integrierte Gestaltung von Arbeit, Organisation und Technik, wie sie in soziotechnischen Arbeits- und Systemgestaltungs(STS-)ansätzen seit den 1950er-Jahren entwickelt worden ist, kann in ihrer potenziellen Bedeutung für die aktuellen Digitalisierungsprozesse kaum hoch genug veranschlagt werden – dies ist in der wissenschaftlichen Diskussion herrschende Meinung (vgl. Parker und Grothe 2020, 2022). So wurde etwa jüngst für die zweite Auflage der KI-Normungsroadmap des DIN/DKE (DIN/DKE 2022) ein eigenes Kapitel zu soziotechnischen Systemen eingefügt. Im Kontext der Forschungsförderung wird ebenfalls wiederholt auf die Bedeutung und integrierte Berücksichtigung organisatorischer, qualifikatorischer und technischer Aspekte für Gelingen, ökonomischen Erfolg und bessere Arbeitsbedingungen in Digitalisierungsprozessen hingewiesen.
Irritierend ist allerdings, dass gleichzeitig Zweifel formuliert werden, ob die jüngsten Digitalisierungsinitiativen tatsächlich einen substanziellen Beitrag zur ökonomischen Weiterentwicklung geleistet haben, und dass dabei auf die Vernachlässigung organisatorischer Aspekte verwiesen wird. Kürzlich kritisierte der Vorstandsvorsitzende des VDMA-Fachverbands Software und Digitalisierung, Michael Finkler (lt. Marx 2022), dass es nach 10 Jahren „Industrie 4.0“ keinen Produktivitätsfortschritt gebe und das Produktivitätsniveau in der Industrie auf dem Stand von 2011 sei; „statt zu organisieren und zu standardisieren sei ‚die Verschwendung digitalisiert‘ worden“ (a. a. O.). Dass eine integrierte Entwicklung von Organisation und Technik für den ökonomischen Erfolg solcher Bemühungen notwendig sei, wurde damals auch in den Umsetzungsempfehlungen zu ‚Industrie 4.0‘ (Forschungsunion & ACATECH 2013) formuliert; dort findet sich (auf S. 57) der Hinweis: „Gefragt ist in diesem Zusammenhang eine sozio-technische Gestaltungsperspektive, in der Arbeitsorganisation, Weiterbildungsaktivitäten sowie Technik- und Software-Architekturen in enger wechselseitiger Abstimmung, ‚aus einem Guss‘ mit dem Fokus darauf entwickelt werden, intelligente, kooperative, selbstorganisierte Interaktionen zwischen den Beschäftigten und/oder den technischen Operationssystemen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu ermöglichen“. Das ist im genannten Dokument allerdings ein Punkt unter vielen, und man sollte solche Empfehlungen nicht als Beschreibungen betrieblicher Digitalisierungspraxis fehldeuten. Leider gibt es keine aktuellen empirischen Überblicksdaten zu den Vorgehensweisen bei betrieblichen Digitalisierungsprozessen und deren Effekten. Die Frage bleibt deshalb unbeantwortet, inwieweit die konkreten Pilotprojekte auf eine integrierte Gestaltung ausgerichtet waren oder spezifisch soziotechnisch ausgerichtete Maßnahmen oder Tools im „Industrie 4.0“-Kontext genutzt wurden. Die Vermutung liegt nahe, dass integrierte Vorgehensweisen gegenüber der Entwicklung der technischen Funktionalität eher nachrangig blieben.
Erstaunlich ist, dass einerseits integrativen, soziotechnischen Lösungsansätzen so viel politischer und wissenschaftlicher Kredit im Kontext von Digitalisierungsprozessen gegeben wird und sie quasi selbstverständlich vorausgesetzt werden, aber sich andererseits nur wenig davon in betrieblichen Alltagssituationen niederzuschlagen scheint: So entsteht der Eindruck, dass integrierte, soziotechnische Gestaltungsansätze in politisch-strategischen Papieren oder Programmen eher den Charakter eines „ceterum censeo…“ („Im Übrigen bin ich der Meinung, Carthago sollte zerstört werden …“ bei Cato dem Älteren) haben, aber organisatorische und qualifikatorische Aspekte für die aktuelle Digitalisierungspraxis keine zentrale Rolle spielen.
Wenn aber integrierte soziotechnische Gestaltung mehr sein soll als ein ‚nice to have‘ in politischen Programmen, dann gilt es aus wissenschaftlicher Sicht zunächst, verstärkt sowohl die theoretischen Bezüge zu vermitteln wie auch die praktischen Handlungsmöglichkeiten in den betroffenen Produktions- und Dienstleistungsbereichen, die Zielkriterien für Change- bzw. Design-Prozesse und die Beteiligungsmöglichkeiten für die Beschäftigten zu klären und praktische Hilfen, Empfehlungen sowie erprobte Methoden und Tools verfügbar zu machen. Transparenz darüber und ausreichend verfügbare „organisationale Gestaltungskompetenz“ (z. B. Gerlmaier 2019, S. 61ff.; ähnlich: Janneck et al. 2018) in den Prozessen können zwar schwierige Marktbedingungen und Ressourcenprobleme nicht verschwinden lassen, aber sie können zu einer Verbreitung reflektierter Digitalisierungsprozesse beitragen und diese unterstützen. Damit wird zumindest eine notwendige Voraussetzung für eine unter ökonomischen wie arbeitsgestalterischen Zielen erfolgreiche Digitalisierung geschaffen.
Ein erster Schritt dafür ist eine Bestandsaufnahme der verfügbaren konzeptionellen Ansätze und praktischen Erfahrungen mit integrierten soziotechnischen Vorgehensweisen, um sowohl Erkenntnisse wie Entwicklungsbedarfe zu bündeln. Denn nach einer Phase, in der im deutschsprachigen Raum soziotechnische Gestaltungsansätze kaum weiterentwickelt wurden (vgl. Bendel und Latniak 2020), werden sie in unterschiedlichen Disziplinen aktuell wieder aufgenommen (u. a. Pfeiffer und Herrmann 2022; APRODI 2020; Paulsen et al. 2020; Wäfler 2020). Diesen Entwicklungsstand zu sondieren und disziplinübergreifend zusammenzuführen, war eine Motivation zu diesem Themenband.

2 Warum sind integrierte soziotechnische Gestaltungsansätze (wieder) aktuell?

Aktuell, wie auch schon zu Zeiten der ersten Rezeption soziotechnischer Ansätze in (West‑)Deutschland in den 1970er- und 1980er-Jahren standen und stehen viele Industrie und Dienstleistungsbereiche vor großen strukturellen Herausforderungen: Veränderte technische Möglichkeiten und eine ubiquitäre digitale Infrastruktur tragen heute dazu bei, dass in vielen Wirtschaftsbereichen die Aufgaben und Rollen in Produktion und Dienstleistung zwischen den Beschäftigten und den komplexen IT-Systemen neu verteilt werden können und müssen. Oder anders gesagt: Die Rezeption und Entwicklung integrierter soziotechnischer Gestaltungsansätze scheint immer besonders dann einzusetzen, wenn das Verhältnis von ‚Technik‘, ‚Organisation‘ und individuellen Voraussetzungen der Mitarbeitenden wegen veränderter technischer Bedingungen und sich wandelnder Rationalisierungsoptionen neu bestimmt werden muss, und die etablierten Gestaltungsorientierungen dafür keine erfolgversprechenden Lösungen mehr anbieten können.
So waren es in den 1960er- und 1970er-Jahren die Probleme einer an ihre ökonomischen Grenzen (wie starre, unflexible und bürokratische Abläufe) wie an ihre personalpolitischen Grenzen (Stichwort ‚Monotonie‘) stoßenden Automatisierung einerseits und andererseits politische Initiativen insbesondere in Skandinavien (u. a. ‚industrial democracy‘-Programm in Norwegen) und in der Folge auch in West-Deutschland (z. B. im BMBF-Forschungsprogramm ‚Humanisierung des Arbeitslebens‘(HdA)), die zu einer Rezeption, Weiterentwicklung und Verbreitung integrierter soziotechnischer Gestaltungsansätze führten: Soziotechnische Gestaltung erschien damals als eine Option, um die angesprochenen Probleme des bisherigen Produktionsmodells anzugehen. Eine Abkehr vom klassischen, hoch arbeitsteiligen ‚scientific management‘, hin zu soziotechnischen Teamstrukturen und einer differenziellen Arbeitsgestaltung (insg. Ulich 2011), sollte die Abweichungen und Störungen im Produktionsablauf (‚variance‘) besser bearbeiten können als dies vorher möglich war.
Diese ersten Bemühungen wurden in der Folgezeit durch den zunehmenden Computereinsatz (z. B. CNC/DNC-Steuerung von Werkzeugmaschinen) und die in den 1980er-Jahren einsetzende Nutzung von PCs weiter befeuert und trugen zur Diskussion über ‚Technikgestaltung‘ bei (u. a. v. Alemann et al. 1992). In dieser Zeit setzte auch die Rezeption soziotechnischer Ansätze und ähnlich ausgerichteter partizipativer Softwareentwicklungskonzepte in der universitären Informatik in Deutschland ein, die im Entwurf einer ‚Arbeitsinformatik‘ (z. B. Volpert 1993) mündeten.
Ein Schwerpunkt der arbeitspolitischen Auseinandersetzungen in den 1990er-Jahren war die Debatte um die ‚richtige‘ Gestaltung von Gruppenarbeit, wo soziotechnisch motivierte Konzepte (‚teilautonome Gruppenarbeit‘) und eher an japanischen Vorbildern ausgerichtete ‚Lean‘-Konzepte von Teams in der Diskussion teilweise heftig aufeinanderprallten. Insbesondere für die Gewerkschaften und Betriebsräte war es wichtig, über die favorisierten soziotechnischen Teamstrukturen erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume zu erreichen. Rückblickend endeten einige betriebliche Einführungsversuche teilweise mit der Enttäuschung der überzogenen Erwartungen an die Gruppenarbeitskonzepte und mit einer Unterschätzung der zu bearbeitenden betrieblichen Komplexität der Veränderungsprozesse (vgl. Brödner und Kötter 1999). In der Praxis liefen die Bemühungen oft auf konzeptionell ‚hybride‘, flexible Teams hinaus mit kontinuierlichen Verbesserungsprozessen als Beteiligungselement, begrenzter Aufgabenintegration bei der Arbeitsgestaltung, aber weitgehend zentral gesteuerter Arbeitsplanung (u. a. Latniak et al. 2002). Diese enttäuschende Erfahrung und das Ende des Gruppenarbeitsbooms haben sich auf die Weiterentwicklung der soziotechnischen Konzepte und deren politische Unterstützung in der Forschungsförderung, wie überhaupt auf die Veränderungsdynamik in den Unternehmen ausgewirkt (dazu Kirchner und Oppen 2007). In den Folgejahren wurde der soziotechnische Gestaltungsansatz in Deutschland – außer in der universitären Informatik (z. B. Herrmann und Nierhoff 2019; Herrmann 2012) und von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. IAfOB 2016) – kaum noch systematisch weiterentwickelt.
Dies ist allerdings nach Wissenschaftsdisziplinen differenziert zu sehen. Das soziotechnische Grundverständnis, Arbeitssystem bzw. Organisation als offenes System zu begreifen, das aus zusammenwirkenden Grundkomponenten (Subsystemen) besteht und sich im dynamischen Austausch mit seiner Umgebung befindet, hat sich als Leitorientierung in der Arbeitswissenschaft durchaus verankert. Dabei spielt sicher die intuitive Plausibilität der Grundkategorien eine Rolle. Nicht zuletzt deshalb ist die Unterteilung in ‚Mensch, Technik, Organisation‘ (MTO oder TOM) auch heute noch gängig und weit verbreitet, und niemand würde diese Kategorien ernsthaft anzweifeln. Zudem ist der normative Anspruch soziotechnischer Ansätze, ökonomische wie arbeitsgestalterisch gute Lösungen anzustreben, an die normativen Zielkriterien der Arbeitswissenschaft gut anschlussfähig. Aber so plausibel die MTO-Unterscheidung auch ist, der Teufel steckt bekanntlich im Detail: Was ist Teil des betrachteten und zu gestaltenden Systems und was nicht? Wo sind die Schnittstellen und wie lassen sich diese sinnvoll gestalten? Wer definiert die Gestaltungsaufgaben? Welche Ressourcen sind für eine Gestaltung nötig? Um diese Fragen in arbeitspolitisch unter Umständen strittigen Kontexten praktisch zu bearbeiten und konkrete Lösungen entwickeln zu können, bedarf es geeigneter Tools und Vorgehensweisen, die eine integrierte Gestaltung ermöglichen bzw. unterstützen, und vor allem kompetenter Handelnder, die diese Tools kennen und sie auch unter schwierigen Bedingungen einsetzen können.
Dabei gibt es im deutschsprachigen Raum bisher keine ‚socio-technical community‘, die sich ähnlich dem ‚Ulbo de Sitter Kentnisinstituut‘ (USI) in den Niederlanden, dem ‚Sociotechnical Roundtable‘ in den USA/Canada oder dem norwegischen STS-Netzwerk (‚STS Kompetansenettverk‘) organisiert hat: Es gibt eher heterogene Zugänge und auch keine eindeutige wissenschaftlich-disziplinäre Zuordnung integrativer soziotechnischer Ansätze; es ist eher eine ‚Minderheitenposition‘. Forschende aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen nähern sich mit soziotechnischen Kategorien und Hilfsmitteln ihrem Gegenstand ausgehend von ihren jeweiligen Fragestellungen. Das ist u. a. eine Folge der Rezeptionsgeschichte, die in Westdeutschland, wie angesprochen, zunächst im HdA-Programm und dort primär in der Arbeitspsychologie (Ulich 2011, 2013; Strohm und Ulich 1997) stattfand, während sich die Industrie- und Arbeitssoziologie explizit gestaltungsabstinent positioniert hatte (u. a. Lutz und Schulz-Wild 1986), und beratungsnahe Forschung (z. B. Weltz 1997) oder Aktionsforschung (z. B. Fricke et al. 1981) dort disziplinär kaum verankert werden konnten. Auch in der Betriebswirtschaftslehre blieben soziotechnisch orientierte Arbeiten (wie etwa Sydow 1985) singulär. Nach dem altersbedingten Ausscheiden einiger akademischer Treiber der soziotechnischen Entwicklung und auch durch die veränderten Forschungs- und Ausbildungsprioritäten in der Arbeitspsychologie stagnierte die weitere Entwicklung und der Ansatz verschwand nach der Jahrtausendwende zunehmend aus dem Fokus der praxisorientierten wissenschaftlichen Diskussion.
Erst seit ca. 2010 ‚Industrie 4.0‘ und aktuell ‚Künstliche Intelligenz‘ in der Forschungsförderung als Themen gesetzt wurden, keimte neues Interesse an soziotechnischen Überlegungen und Gestaltungsansätzen auf, auch in der Industriesoziologie (Hirsch-Kreinsen et al. 2018). In der Produktion und Dienstleistung von heute mit ihren (nicht erst seit Corona) räumlich verteilten, synchron und arbeitsteilig bearbeiteten Aufgabenstrukturen, dem häufig über Plattformen koordinierten, vernetzten Arbeiten mit wechselnden Rollen, der ubiquitären Erreichbarkeit über Smartphones und Tablets etc. sind Bedingungen entstanden, die mit Methoden eher ‚traditioneller‘ Arbeitsgestaltung kaum noch bearbeitet werden können. Die technische Komponente ist so tief in der Bearbeitung verankert, dass ohne die IT-Infrastruktur die jeweilige Aufgabe nicht mehr erfüllt werden kann.
Der Durchdringungsgrad der Arbeit mit IT-gestützten Hilfsmitteln, die zunehmend auch die Kommunikation der Handelnden insgesamt verändern, hat (möglicherweise) eine neue Qualität erreicht, die eingeführte, auch soziotechnische Gestaltungskonzepte nicht mehr ohne grundsätzliche Anpassung bearbeiten können, weil die Rahmenbedingungen im Entstehungskontext der Methoden und Vorgehensweisen völlig andere waren. Erste Antworten, wie Grundüberlegungen des STS-Ansatzes aktualisiert werden können, finden sich u. a. in Pasmore et al. (2018), Barbüroglu und Selski (2022), und auch eine verstärkte Beschäftigung mit KI-Gestaltung (u. a. Pfeiffer und Herrmann 2022; Wäfler und Schmid 2021) und soziotechnischen Ansätzen hat begonnen. Ziel ist es, die zentralen Herausforderungen für die Arbeits- und Organisationsgestaltung unter den aktuellen Bedingungen zu beantworten mit einem soziotechnischem Systemverständnis, einem beteiligungsorientierten, reflektierten und iterativen Vorgehen, und dem normativen Anspruch, (im weitesten Sinn) menschengerechte Arbeitsbedingungen in ökonomisch erfolgreichen Wertschöpfungsstrukturen zu schaffen.
Hinzu kommt noch eine weitere Herausforderung: In vielen der technisch gestützten Tätigkeitsfelder müssen sich die Beschäftigten heute ihre Arbeit weitgehend selbst einteilen sowie die verfügbaren technischen Mittel einsetzen und anpassen können: Es gibt in vielen Bereichen keine eindeutig vorgebbaren Abläufe mehr in dem Umfang, wie dies früher, etwa in der Fertigung durch die Arbeitsvorbereitungsabteilungen, geplant werden konnte. Hier werden die Beschäftigten zunehmend selbst zu Arbeitsgestaltenden – und sie müssen über entsprechende Kompetenzen verfügen, um dies leisten zu können. Die einschlägigen Forschungsergebnisse zu „idiosyncratic deals“ ( z. B. Hornung et al. 2009) und „job crafting“ (z. B. Demerouti und Bakker 2014) verweisen auf diese Handlungsspielräume und Gestaltungsbedarfe. Gleichzeitig gibt es – quasi ‚am anderen Ende der Skala‘ – Tätigkeitsfelder, in denen durch die technische Infrastruktur vermittelte, detaillierte Handlungsvorgaben erfolgen, von denen die Ausführenden nicht abweichen dürfen (etwa in der Paketzustellung). Wie solche technisch unterstützten Tätigkeiten durch die Beschäftigten (mit-)gestaltet werden können – d. h. wie ihre Beteiligung am Design und der Einführung aussehen sollte – und wie dabei nach den wissenschaftlichen Kriterien ‚gute‘ Arbeitsbedingungen geschaffen werden können, in denen ihre Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und ihre Kompetenzen weiterentwickelt werden (z. B. Kortsch et al. 2018; Zorn et al. 2021), das dürfte ein zentrales Gestaltungsthema der kommenden Jahre werden. Ob soziotechnisch ausgerichtete Gestaltungskonzepte, Methoden und Tools dazu konstruktiv beitragen können, wird sich in der Gestaltungspraxis erweisen müssen.

3 Zu den Beiträgen

Vor diesem Hintergrund war es das Ziel des Themenhefts zu einer aktuellen Bestandsaufnahme und Reflexion der verfügbaren Konzepte, Vorgehensweisen und Hilfsmittel beizutragen, die integrierte Gestaltungsansätze und soziotechnisches Gedankengut systematischer nutzen und die Arbeits- und Systemgestaltung unterstützen. Insgesamt acht Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen wie Arbeits- und Organisationspsychologie, Arbeitswissenschaft oder Soziologie sind in diesem Band enthalten.
Wir beginnen mit zwei eher theoretisch ausgerichteten Beiträgen, die sich mit dem Entwicklungsstand, den Potenzialen und den aktuellen Herausforderungen soziotechnischer Gestaltungsansätze durch tendenziell ‚disruptive‘ technische Trends beschäftigen. Der erste Beitrag des Bandes von Latniak und Bendel „Weiter so mit MTO? Konzeptionelle Entwicklungsbedarfe soziotechnischer Arbeits- und Systemgestaltung“ leistet eine Bestandsaufnahme und gibt einen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand der soziotechnischen Diskussion nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in anderen Ländern bzw. Regionen (Skandinavien, ‚Lowlands‘ NL/B sowie USA/UK/AUS). Verbindende Merkmale dieser Traditionslinien sind dabei aus Sicht der Autoren neben dem Denken in soziotechnischen Systemen (und Subsystemen) das Ziel einer integrierten Verbesserung der Subsysteme bzw. des gesamten Systems (‚joint optimization‘) sowie die normative Ausrichtung der Ansätze an ‚quality of worklife (QWL)‘-Zielen und Beteiligung der Beschäftigten am Design- und Change-Prozess in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen.
Zentrale Herausforderungen und Weiterentwicklungsbedarfe einer soziotechnischen Gestaltung sehen die Autoren u. a. in folgenden Punkten: Sind die im STS-Ansatz aktuell genutzten Unterscheidungen (wie ‚Mensch-Technik-Organisation‘) unter den derzeitigen Bedingungen noch ausreichend bzw. zutreffend? Wenn zunehmend IT-Plattformen genutzt werden bzw. von ineinander verschachtelten ‚Systemen von Systemen‘ bei der Gestaltung ausgegangen werden muss, reichen die bisherigen Kategorien als Orientierung möglicherweise nicht mehr aus. Zudem überschreiten die Systeme häufig die Grenzen des Unternehmens. Insbesondere für den Anspruch, bei der Gestaltung das ganze ‚system in a room‘ zusammenzuführen stellen sich deshalb schwierige praktische Anforderungen. Solche Gestaltungsgrenzen werden offenbar virulenter, ebenso wie die Frage, wie unter diesen Rahmenbedingungen Beteiligung organisiert bzw. sichergestellt werden kann. Einen weiteren Aspekt sehen die Autoren im Veränderungsprozess selbst, der nicht mehr als einmalige Aktivität angelegt werden kann, sondern hin zu einer Adaptivität des soziotechnischen Systems weiterentwickelt werden müsste. Dies sollte aber schon in den technischen Voraussetzungen berücksichtigt und angelegt werden. Spezifische Anforderungen an die Gestaltung seien schließlich insbesondere beim Einsatz von Systemen mit ‚Künstliche Intelligenz‘ zu berücksichtigen, wo es zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen technischem System und Nutzenden kommen dürfte. Wie dies jeweils konkret gestaltet werden sollte und kann, bleibt aus Sicht der Autoren im Detail noch auszuarbeiten, wobei auf erste praktische Erfahrungen verwiesen wird.
In ihrem daran anschließenden Beitrag „A theoretical essay on socio-technical systems design thinking in the era of digital transformation“ erläutern Govers und van Amelsvoort die an die Bedingungen von Digitalisierung angepassten Schritte sowie eine Reihe von Entwurfsroutinen, die sie auf Basis des ‚lowlands‘-Ansatzes (d. h. den Niederlanden und dem flämisch-sprechenden Teil von Belgien) in den letzten Jahren für soziotechnisches Organisationsdesign weiterentwickelt haben. Diese STS-Tradition ist im deutschsprachigen Raum nicht allzu bekannt bzw. verbreitet, und ihr zentraler Ansatzpunkt für Design von Arbeitsplätzen, Organisation und digitaler Infrastruktur im Unternehmen ist die Frage der Arbeitsteilung. Die Anpassung der Vorgehensweise begreifen die Autoren als Antwort auf die zunehmend unscharfen Organisationsgrenzen, sowie die damit zusammenhängende Neuverteilung und Digitalisierung sowohl planender wie ausführender Aufgaben. Neben fünf STS-Design-Prinzipien stellen sie eine angepasste Design-Sequenz für die Entwicklung eines ‚digital thinking‘ vor, die von strategischen Leitentscheidungen ausgeht und über das Design des ‚core work systems‘ und des ‚regulation systems (or: how core processes are regulated)‘ zur Umsetzung digitaler Infrastrukturen und Unterstützungssysteme für die ‚core work systems‘ fortschreitet. Dabei seien – quasi als Rahmenbedingungen – die Kundenerfahrungen, die Voraussetzungen für Agilität der Organisation und das ‚engagement‘ der Beschäftigten besonders zu berücksichtigen. Dazu machen sie Vorschläge für fünf neue Entwurfsroutinen, die im Zuge des Designprozesses angemessen berücksichtigt werden sollen. Um dies praktisch erfolgreich umzusetzen, bedürfe es auch einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den eher technisch orientierten und den eher organisatorisch arbeitenden ‚Communities‘ in den Gestaltungsprozessen wie auch im Wissenschaftsbetrieb.
Auf diese beiden eher theoretischen Beiträge folgen zwei Texte, die sich mit der Erschließung bisher in der soziotechnischen Gestaltung bislang weniger beachteter, quasi ‚neuer‘ Gestaltungsfelder befassen. Über die soziotechnische Sichtweise gelingt es ihnen, einerseits für die Schulentwicklung die dort bislang kaum genutzte Perspektive der Arbeitsgestaltung einzuführen und deren Nutzenpotenzial zu zeigen, andererseits für den Pflegebereich die notwendige Sicherung des Erfahrungswissens der Pflegenden als Gestaltungsressource herauszuarbeiten:
Der Beitrag von Hardwig „Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall soziotechnischer Systemgestaltung“ beschäftigt sich mit dem möglichen Nutzen soziotechnischer Systemgestaltung für die Schulentwicklung und erschließt damit ein neues Gestaltungsfeld soziotechnischer Gestaltung. Ausgehend von der Vermutung, dass die Defizite bei der Nutzung von digitalen Medien im Unterricht auf Problemen in den Schulentwicklungsprozessen basieren, fragt er nach dem möglichen Nutzen soziotechnischer Ansätze für die Schulentwicklung. In seiner Untersuchung der empirischen Beiträge der Schulentwicklungsforschung zeigt er, dass diese zwar wesentliche Erkenntnisse der soziotechnischen Konzepte bereits „in hohem Maße“ teilten – wie etwa die „ecosystem“-Perspektive oder das Verständnis von Digitalisierung als Stakeholder-orientierten partizipativen Organisationsentwicklungsprozess. Die Arbeitsrealität und Techniknutzung der Lehrenden bleibt in diesen Studien allerdings bislang als ein zentrales Hemmnis in Digitalisierungsprozessen unterbelichtet. Ausgehend von diesem Befund plädiert Hardwig für eine „sozio-technisch informierte“ Technikgestaltung in der Schule: Neben der systematischeren Einordnung von schulischen Digitalisierungserfahrungen durch ein soziotechnisches Verständnis sieht er insbesondere Potenziale darin, die zukünftige Nutzung der digitalen Technologien in einer strategischen, integrierten Schulentwicklung als „sozio-technische Innovation“ zu gestalten, die zu einer besseren und effektiveren Techniknutzung beiträgt, Potenziale von kollaborativen Lernplattformen erschließt und auch die Organisation von Schule insgesamt verbessern kann. Die identifizierten Hürden der schulischen Digitalisierungsprozesse lassen sich nur überwinden, „wenn die Schulentwicklung als eine humanorientierte Arbeitsgestaltung angelegt wird“.
Richter und Draude befassen sich in ihrem Beitrag „Erfahrungswissen in der Pflege – Chancen partizipativer Aktionsforschung und diskriminierungssensibler Technikentwicklung“ mit dem Vorgehen bei Digitalisierungsprozessen in der Pflege, für die sie das GERD-Modell (Gender Extended Research and Development) als „soziotechnisch geleiteten Entwicklungs- und Reflexionsansatz“ vorstellen, mit dem sie das Erfahrungswissen der Pflegenden als Ressource erhalten bzw. entwickeln wollen. Diese Prozesse sind in der Pflege herausfordernd, weil sie alle Handelnden aus dem Praxisfeld berücksichtigen sollten, methodisch transparent durchgeführt werden müssen, und zudem auch auf Veränderungen im Entwicklungsprozess selbst eingehen können sollten, was letztlich zu einer kleinschrittigen Vorgehensweise führe. Richter und Draude orientieren sich dabei im Vorgehen an der Aktionsforschung, um als Forschende bzw. Gestaltende mit gleichberechtigten Pflegenden und Pflegebedürftigen in gemeinsamen Gestaltungsprozessen zusammenzuarbeiten. Das dafür als Prozessmodell vorgeschlagenen Modell GERD wurde ursprünglich als mehrschrittiges Reflexions- und Entwicklungsvorgehen in Forschungsprozessen konzipiert, dessen möglicher Nutzen im Beitrag exemplarisch für den Smartphone-Einsatz in der Pflege kurz skizziert wird. Aus Sicht der Autor*innen bietet das Verfahren Vorteile hinsichtlich der Beteiligung der Handelnden, der Transparenz des Vorgehens, sowie der Adaptivität und Rekursivität des Vorgehens, bei dem eine agile und praktisch nützliche Wissensproduktion zu anschlussfähigen Lösungen beitragen soll.
Der daran anschließende, erste stärker empirische Beitrag von Wulff und Finnestrand „Data Driven information for action“ thematisiert die systematische Gewinnung und Nutzung von Daten als Basis für Vorhersagen, für die Entwicklung von neuen Handlungsmöglichkeiten und für Entscheidungsprozesse in Unternehmen, was eine strategische Option für Unternehmen im Rahmen von Digitalisierungsprozessen darstellt. Er gibt dabei auf Basis von 24 Experteninterviews einen explorativen Einblick in die Erfahrungen mit der Entwicklung und Anwendung solcher Vorgehensweisen in 13 norwegischen Unternehmen, die sich auf dem Weg zu einer ‚data-driven organisation‘ befinden. Dabei steht im Vordergrund die Frage, wie schnelleres oder zielgerichteteres Handeln der Organisation datengetrieben, etwa unter Nutzung von maschinellem Lernen, möglich wird. Die Erfahrungen werden entlang der Stichpunkte ‚Datensammlung‘, ‚Datennutzung‘ und ‚Daten(-mit-)teilung‘ dargestellt und dann anhand soziotechnischer Kategorien diskutiert. Dabei wird deutlich, dass es vor allem nicht-technische Hindernisse sind, die auf diesem Weg der Unternehmen überwunden werden müssen, etwa wenn die Gruppe, die im Unternehmen die Daten sammelt (‚data for record‘) nicht identisch ist mit der, die die Daten als Handlungsgrundlage (‚data for action‘) nutzen könnte. Die Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses ist hier essenziell und könnte auch dazu beitragen, dass die verbreitete ‚Privatdatenhaltung‘ in individuell geführten Tabellen überwunden und so quasi eine ‚Mobilisierung‘ der Daten im Unternehmen unterstützt wird. Insofern sei aus Sicht der Autorinnen der Übergang zu einer ‚data-driven organisation‘ quasi natürlicherweise soziotechnisch und sollte entsprechend nicht nur von einer zunehmenden Zahl von Datenanalyst*innen vorangetrieben, sondern mit Organisationsdesigner*innen bzw. -entwickler*innen unterstützt werden.
Während den bisher vorgestellten Texten gemeinsam ist, dass sie eine soziotechnische Sichtweise als theoretische Basis und als Reflexions- und Deutungsfolie nutzen, um Digitalisierungs- und Veränderungsprozesse unter Berücksichtigung der veränderten technischen Bedingungen und Chancen in ihrer organisatorischen Komplexität zu analysieren bzw. anzuleiten, geht der folgende Text quasi den umgekehrten Weg: Er zeigt an einem Projektbeispiel, wie es gelingen kann, die Voraussetzungen soziotechnischer Gestaltung bereits in der Entwicklung des technischen (Sub‑)Systems zu schaffen und zu verankern.
Der Beitrag von Perzylo et al. „Soziotechnisches Assistenzsystem zur lernförderlichen Arbeitsgestaltung in der robotergestützten Montage“ stellt anhand der Entwicklung eines technischen Demonstrators für ein Assistenzsystem in der Montage vor, wie das Kriterium der Lernförderlichkeit bereits bei der Arbeits- und Technikgestaltung berücksichtigt werden kann. Bei „komplexen Automatisierungsprozessen“ in „hybriden“ Arbeitssystemen bestehe das Risiko, dass einerseits die kognitiv anspruchsvolleren Planungsaufgaben vom technischen System übernommen sowie andererseits auch die manuellen Tätigkeiten eingeengt werden - bei einem gleichzeitig komplexer werdenden technischen Umfeld. Damit werde der Automatisierungsgrad erhöht und die Beschäftigten durch die entstehenden Tätigkeitsverteilungen in diesem Bereich eher dequalifiziert.
Um dies zu vermeiden, nutzt der vorgeschlagene Lösungsansatz „wissensbasierte Robotersysteme, intuitive Benutzeroberflächen sowie Aspekte der Humanisierung und Lernförderlichkeit für die flexible Fertigung“ als Bausteine, um bereits in der Modellierung des „soziotechnischen Assistenzsystems“ die Voraussetzungen für Lernförderlichkeit und Ergonomie angemessen zu berücksichtigen. Auf dieser Grundlage macht das System im Beispielfall den Benutzenden mit Hilfe einer grafischen Benutzeroberfläche Vorschläge für die Arbeitsteilung zwischen Roboter und Nutzenden in den weiteren Montageschritten, die durch das Zusammenspiel des implementierten „Mixed-Skill-Konzept[s], ontologische[n] Formalisierungen und eine[r] intuitiven Benutzeroberfläche“ generiert werden und so quasi Lernanlässe schaffen, die wiederum zu Kompetenzerhalt und -entwicklung beitragen können. Dies betrifft einerseits die fachlichen Kompetenzaspekte der (in diesem Fall) komplexen Montage, die erhalten werden sollen, andererseits sollen Verständnis und Kenntnis der Funktionsweisen von Robotersystemen, das Zusammenwirken dieser Systeme mit den Beschäftigten, Problemdiagnose und -lösung, Kontextwissen etc. gefördert werden. Hierfür ist das Assistenzsystem eine Komponente, die durch andere Lernformen ergänzt werden müsse. Es sei ein erster Schritt „hin zu einer algorithmisch organisierten, lernförderlichen Zusammenarbeit von Mensch und Roboter“.
Auch in den beiden folgenden Praxisbeiträgen werden Erfahrungen aus konkreten Projekten vorgestellt, bei denen einerseits ‚digitale Souveränität‘ als eine Zieldimension von Gestaltungsprozessen herausgearbeitet bzw. andererseits der Nutzen eines soziotechnischen Grundverständnisses für die Ausrichtung von Führung sowie Trainingserfahrungen mit einem dafür entwickelten Tool dargestellt werden.
Im Beitrag von Pentenrieder, Shajek und Hartmann „Digitale Souveränität in soziotechnischen Systemen – KI-Nutzung und Krisenbewältigung“ werden erste explorative Projektergebnisse zur Anwendung des Konstrukts ‚digitale Souveränität‘ im Rahmen von Workshops bzw. zur Interpretation von Analyseergebnissen aus Interviewreihen vorgestellt. Digitale Souveränität wird dabei begriffen als Fähigkeit von Individuen bzw. von Organisationen, sich digitale Technologien nutzbar zu machen, um durch kompetentes Handeln eigene Ziele erfolgreich verfolgen zu können. Dieses Konstrukt wurde mittels soziotechnischer und kontrolltheoretischer Überlegungen zu einer Matrix ausdifferenziert, die es erlaubt, unterschiedliche Aspekte digitaler Souveränität zu unterscheiden und für Reflexions- und Gestaltungsprozesse strukturiert zu erschließen. Diese Matrizen wurden – neben anderen Hilfsmitteln – u. a. in einem Co-Creation-Workshop genutzt, um zu testen, ob damit die Beteiligung am Entwurf von KI-gestützten Systemen und an der Identifizierung von Ansatzpunkten der anwendungsspezifischen Gestaltung dieser Systeme gefördert werden kann. Dies gelang zufriedenstellend. Auf Basis der Befunde werden nächste Schritte zur weiteren Entwicklung dieses Hilfsmittels skizziert.
Kopp und Wienzek stellen schließlich in ihrem Beitrag „Der Kompass Digitalisierung. Eine soziotechnische Gestaltungshilfe auch für Führungskräfte“ den „Kompass Digitalisierung“ als Tool insbesondere für Führungskräfte vor. Aufbauend auf einem skizzierten Verständnis von Führung als Interaktion soll diese Handlungshilfe wesentliche soziotechnische Aspekte in Digitalisierungsprozessen für Führungskräfte handhabbar thematisieren und so zur Bewertung von Digitalisierungsprojekten sowie zur Reflexion des Vorgehens beitragen. Dazu werden die einzelnen Module des Tools kurz vorgestellt. Daran anschließend wird über erste Einsatzerfahrungen in vier Unternehmen, in erster Linie mit mittleren Führungskräften berichtet. Die Reflexion der Digitalisierungsprozesse wurde in Workshops durchgeführt, für die vorbereitend Schulungen zu soziotechnischen Konzepten und Führung angeboten wurden. Dies traf besonders dort auf positive Resonanz, wo bereits vorher eine partizipative Praxis in den Unternehmen üblich war und weitere Personengruppen in die Reflexion eingebunden wurden. Moderation kann hier offenbar zur Effizienz bei der Nutzung des Instruments beitragen.
Die Beiträge zum STS-Themenschwerpunkt werden ergänzt durch zwei weitere Aufsätze im freien Teil dieser Ausgabe, die sich mit der Gestaltung bzw. den Folgewirkungen digital vermittelter Zusammenarbeit befassen. Im Beitrag von Klötzer und Boos zu „Gestaltungsansätzen für die Einführung und Nutzung von Kollaborationsplattformen – zwei Fallstudien aus der IT-Branche“ erweist sich diese Einführung als „komplexe soziotechnische Gestaltungsaufgabe für Unternehmen“. Der Beitrag beschreibt auf der Basis von ausgewerteten Interviews aus zwei Unternehmen praktisch bewährte Vorgehensweisen, die entlang der sechs Handlungsfelder aus Klötzers Gestaltungsmodell für die Arbeit mit Kollaborationsplattformen dargestellt werden. Im Beitrag von Mander & Antoni zu „Negative Effects of Time Autonomy in Digital Collaboration“ werden für Bedingungen digitaler Zusammenarbeit und bei hohem Zeitdruck die Effekte von Zeitautonomie einerseits auf die Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben, und andererseits auf die emotionale Erschöpfung der Mitarbeitenden empirisch untersucht. Es zeigt sich dabei u. a. ein höheres Risiko emotionaler Erschöpfung bei Beschäftigten, wenn deren Werte für digitale Zusammenarbeit, Zeitdruck und Autonomie hoch sind. Die Rezension von Daniela Ulber zu Bamberg, Ducki & Janneck (2022) „Digitale Arbeit gestalten. Herausforderungen der Digitalisierung für die Gestaltung gesunder Arbeit“ rundet diesen Themenband ab.
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Metadata
Title
Zur Aktualität soziotechnischer Arbeits- und Systemgestaltungsansätze in Zeiten von Digitalisierung und KI
Authors
Erich Latniak
Anita Tisch
Simone Kauffeld
Publication date
20-03-2023
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/s11612-023-00673-w

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