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14.07.2014 | Energie | Interview | Online-Artikel

Hilft Car-Sharing bei der Energiewende?

verfasst von: Günter Knackfuß

6:30 Min. Lesedauer

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Car-Sharing boomt auch in Deutschland. Rainer Durth berichtet im Interview über Entwicklungen, Varianten, Chancen und Auswirkungen des Organisationsmodells.

Car-Sharing (CS) wird in Deutschland immer beliebter. Inzwischen gibt es bundesweit hunderte Anbieter in nahezu allen größeren Städten Deutschlands. Mit diesem Organisationsmodell werden tradierte Lösungen verlassen und neue ökologische und ökonomische Wege erschlossen.

Springer für Professionals:Warum erhält diese Entwicklung gerade jetzt einen solchen Zuspruch?

Rainer Durth: Das hat vermutlich mehrere Gründe, denn hier gibt es eine Eigendynamik: Angebot schafft Nachfrage, schafft Angebot, schafft Nachfrage etc. 2012 nahmen in Deutschland fast eine halbe Million Menschen am CS teil. Sie nutzten über 3.000 Stationen in ca. 350 Städten und Gemeinden. In Karlsruhe - der deutschen Hochburg des CS - gibt es ein CS-Auto für 500 Einwohner. Nutzer und CS-Autos werden derzeit pro Jahr ca. 20 Prozent mehr, d.h.  sie verdoppeln sich alle drei bis vier Jahre. Mehr Nutzer gibt es nur in den USA, eine höhere Nutzerdichte nur in der Schweiz. Heute ist CS deutlich bequemer als noch vor wenigen Jahren. Verantwortlich hierfür sind u.a. ein dichteres Netz,  neue Organisationsformen, die Nutzung neuer Technologien, andere Fahrzeugflotten als früher und die Kostenentwicklung von Mobilitätsalternativen. Eingetreten ist auch ein Bewusstseinswandel, insbesondere bei potentiellen Nutzern von CS, deren Mobilitätsbedürfnisse und Kaufkraft zudem wachsen.

Welche CS-Varianten bestimmen derzeit den Markt?

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Derzeit gibt es drei Varianten von CS im weiteren Sinn auf dem Markt:

  • Stationsbasiertes CS. Bei dieser klassischen Variante wird das Auto an einer Mietstation abgeholt und zu ihr zurückgebracht. Sie ist vor allem für Städter interessant, die in der Nähe einer Station wohnen;

  • Free Floating CS. Hier sucht der CS-Nutzer über eine App, z.B. auf seinem Smartphone, ein freies CS-Auto, das irgendwo abgestellt ist. Nach Nutzung kann es im Zielgebiet wieder frei geparkt werden;

  • Privater Autotausch. Über Internet-Plattformen kann ein Privatauto von Fremden geliehen werden. Während die anderen beiden Varianten v.a. für Städter interessant sind, kommt diese Form des CS i.w.S. auch für ländlichere Regionen in Frage.

Der CS-Boom wird gern mit dem Begriff "share economy" verknüpft. Welche Chancen verbergen sich dahinter?

Viele verstehen den CS-Boom in Deutschland als Vorbote eines Wandels zur share economy: Die CS-Nutzer sind danach weniger am Besitz eines eigenen Autos interessiert als an den damit verbundenen Transportleistungen, um ihre Präferenzen hinsichtlich Mobilität und Flexibilität zu  realisieren. Ursprünglich stammt die share economy aus der virtuellen Welt, in der die Güter (z.B. Musikdateien) typischerweise weder knapp waren noch jemand vom Konsum ausgeschlossen werden konnte. Auch bestand keine Rivalität im Konsum. Mit dem CS wird die virtuelle Welt nun in größerem Maßstab verlassen und die reale Welt betreten. Das hat erhebliche und interessante Folgen für die Kostenstruktur eines Nachfragers nach Transportleistungen.

Die wesentliche greifbare Veränderung von CS ist dementsprechend genau dies - Die Veränderung der Kostenstruktur für CS-Nutzer: Während der Besitz eines Autos mit hohen Fixkosten und niedrigen variablen Kosten pro km verbunden ist, haben CS-Nutzer niedrige Fixkosten und hohe variable Kosten pro km.

Die Verknüpfung von CS und share economy bietet u.a. folgende Chancen: einen Imagewandel des CS (weg vom Öko- und Studenten-Image und hin zu Modernität) sowie das Aufbrechen überkommener individueller Mobilitätsmuster durch anderes Statusdenken und Fokussierung auf konkretes Mobilitätsbedürfnis.

Wie kann man Car-Sharing aus der Sicht der Nutzer beurteilen?

Offensichtlich ist CS für die Nutzer billiger, solange sie unterhalb der sogenannten break-even-Fahrleistung eines eigenen Autos bleiben. Zudem wird ein CS-Nutzer umso mehr sparen, je mehr und geschickter er CS mit anderen Mobilitätsalternativen kombiniert. Je geringer seine Fixkosten ausfallen, desto flexibler kann der CS-Nutzer überdies auf unerwartete Änderungen – z.B. Benzinkostensteigerungen – reagieren. Darüber hinaus, werden oft folgende Vorteile genannt:

  • CS erleichtert die Nutzung von Mobilitätsalternativen und führt zu entsprechenden Kostenersparnissen;

  • CS reduziert den Zeitaufwand für Mobilität, der z.B. beim Reifenwechsel oder Parkplatzsuche anfällt;

  • CS erlaubt – je nach momentanem Bedarf – die Nutzung sehr verschiedener Modelle;

  • CS bietet sich insbesondere für Gruppen von Nutzern (z.B. Familien) an, die nur hin und wieder einen Zweitwagen brauchen;

  • Im Bundesverband CarSharing (BCS) ist eine Quernutzung möglich. Wer Kunde einer BCS-Firma ist, kann auch die Autos aller anderen 127 BCS-Firmen nutzen;

  • Und nicht zuletzt verhilft CS zu einem reineren ökologischem Gewissen.

Bei diesen vielen Vorteilen darf jedoch nicht vergessen werden, dass CS heute aus ökonomischer Sicht  für diejenigen keine rentable Lösung ist, die viel, häufig und spontan fahren oder kurzfristig auf einen Transport angewiesen sind. Dies dürfte insbesondere für viele Pendler und Familien mit kleinen Kindern zutreffen. Außerhalb von Städten schließlich ist das Netz von Anbietern und Stationen wesentlich dünner, so dass CS dort heute meist auch keine sinnvolle Lösung ist.

Warum unterstützen die Autohersteller die CS-Idee?

CS ist für Autohersteller aus mehreren Gründen wichtig. Momentan vollzieht sich ein möglicherweise fundamentaler Wandel im Mobilitätsverhalten, bei dem – zumindest gebietsweise - nicht mehr das Auto im Mittelpunkt steht. In dieser Sicht ist CS ein ökologisch vielversprechendes Zukunftsthema, mit dem ein Autohersteller identifiziert werden möchte und das er mit gestalten möchte. Erweist sich der Wandel als nicht so fundamental, hat er den Trend wenigstens nicht verpasst. Darüber hinaus sind die gut ausgebildeten und technologisch offenen CS-Nutzer attraktive  potenzielle Kunden, die an das eigene Unternehmen gebunden werden sollen. Eine solche Bindung ist umso interessanter, wenn das Unternehmen imagetechnisch neu positioniert werden kann, diesmal als Mobilitätsanbieter (wie es z.B. die Deutsche Bahn versucht). Und schließlich bietet Carsharing Autoherstellern die Möglichkeit, neue Technologien/ Fahrzeugmodelle kurzfristig und auf breiter Basis in der Praxis zu testen. Ein willkommener  Nebeneffekt dürfte dabei sein, dass sie dadurch auch dort Kundenbindung erzeugen, wo kein eigenes Auto gewünscht ist. 

Wie soll sich diese Bewegung nun auf die Energiewende auswirken?

Für die Autohersteller ist CS heute ein Nischenthema. Trotz des beeindruckenden Wachstums nimmt heute nicht einmal jeder hundertste Deutsche am CS teil. CS kann aber für die Energiewende sehr wichtig werden,  weil es zumindest für Städte, in denen über 80 Prozent der Deutschen wohnen, eine einfache und ökonomisch sinnvolle Mobilität jenseits des eigenen Autos ermöglicht. CS befreit Autobesitzer vom sogenannten Lock-In-Effekt, eher das eigene Auto zu nutzen und macht andere Verkehrsmittel attraktiver; so kann es ganz unerwartet zu einer neuen Verkehrsmittelwahl kommen. Daneben hat CS nennenswerte unmittelbare positive Umweltwirkungen: Es gibt i.d.R. weniger Autofahrten (da auch andere Verkehrsmittel gewählt werden), es wird weniger Treibstoff verbraucht und es sind weniger Autos nötig.  Eine wichtige mittelbare Umweltwirkung besteht außerdem darin, dass bei veränderten Umweltbedingungen (z.B. infolge des Klimawandels) oder neuen Technologien (z.B. Elektroantriebe) die Fahrzeugflotte schnell angepasst werden kann. Durch eine Verkleinerung der Fahrzeugflotte werden weniger Parkplätze benötigt. Vordergründig ist die Abnahme an versiegelter Fläche zunächst nur ein ökologischer Effekt. Aber dahinter stecken auch grundsätzliche Themen: So können in den dicht bebauten Innenstädten unerwartet große Flächen frei werden, die es den Kommunen erlauben, sich z.B. durch die Anlage von Grünflächen auf den Klimawandel vorzubereiten oder zusätzlichen innerstädtischen Wohnraum zu schaffen. Für das Gelingen der deutschen Energiewende – und der deutschen Klimapolitik - ist die Rückführung des Energieverbrauchs im Verkehr wichtig. Allerdings fehlt es derzeit noch an umsetzbaren Konzepten. Der Verkehrssektor gilt daher als die "größte verbleibende Lücke der Energiewende". CS könnte hier einen Lösungsansatz darstellen.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

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