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16.09.2013 | Wasserwirtschaft | Interview | Online-Artikel

Hochwasser-Risikomanagement - Instrument oder Alibi?

verfasst von: Günter Knackfuß

6:30 Min. Lesedauer

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Das Hochwasser im Frühsommer 2013 hat Sachsen wieder stark betroffen. Da seit 2002 zahlreiche Maßnahmen innerhalb des Hochwasserrisikomanagements umgesetzt wurden, konnten die Schäden gegenüber früheren Schadenslagen deutlich reduziert werden. Im Experteninterview Springerautor Dr. Uwe Müller, Abteilungsleiter Wasser, Boden, Wertstoffe im Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie; ehrenamtlicher Geschäftsführer des Deutschen TalsperrenKomitees.

Springer für Professionals: Der Freistaat Sachsen wurde in diesem und in den letzten Jahren vom Hochwasser ziemlich hart getroffen. Was kann ein Risikomanagement ausrichten?

Dr. Uwe Müller: Das Hochwasserrisikomanagement kann die Betroffenheit bei einem Ereignis entscheidend mildern und damit zu einer Reduzierung der Schäden und zur Verhinderung von Todesfällen beitragen. So waren im August 2002 ca. 2/3 der Sächsischen Gewässer vom Hochwasser betroffen und die traurige Bilanz waren 21 Todesopfer und Schäden in Höhe von ca. 6 Milliarden Euro. Nach dem Elbhochwasser von 2006 wurde im September 2010 und Januar 2011 das restliche Drittel der Sächsischen Gewässer von einem extremen Hochwasser heimgesucht. Hier waren 4 Tote und Schäden in Höhe von ca. einer Milliarde Euro zu beklagen. Für das komplette Bundesland Sachsen entsprechen diese 7 Milliarden in etwa auch dem im Rahmen der Risikoanalyse berechnetem Schadenspotential. Obwohl im Juni 2013 nahezu alle Sächsischen Gewässer dem extremen Hochwasser teilweise sogar schlimmer als 2002 ausgesetzt waren, viel die Schadenssumme mit ca. 2 Milliarden wesentlich geringer aus und es waren zum Glück diesmal keine Todesopfer in Sachsen zu verzeichnen. An diesen Zahlen kann man deutlich erkennen, dass alle seit 2002 umgesetzten Maßnahmen des Hochwasserrisikomanagements sehr positiv gewirkt haben.

Welche grundlegenden Ziele hat ein HWRM?

Ziel des integrierten Hochwasserrisikomanagements ist es, neben der Risikoakzeptanz (Risikobewusstsein) die größtmögliche Vermeidung, Verminderung oder Begrenzung des Hochwasserrisikos unter Beteiligung aller Betroffenen und Akteure aller Ebenen, mit allen verfügbaren Mitteln, in allen Phasen des Risikokreislaufes zu erreichen.

Hochwasserschutzkonzepte gibt es inzwischen für alle sächsischen Gewässer. Welche Rolle spielt der Hochwasser-Nachrichtendienst dabei?

Hochwasserschutzkonzepte bzw. die daraus abgeleiteten Teilpläne für die zwei laut EG-Richtlinie für Sachsen maßgeblichen Hochwasserrisikomanagementpläne (Elbe-EZG und Oder-EZG) liegen für die staatlichen Gewässer komplett und für die kommunalen Gewässer zum großen Teil vor. Der Hochwassernachrichtendienst wurde nach dem extremen Ereignis vom August 2002 völlig neu organisiert, nach dem Ereignis von 2010 nachjustiert und bildet dabei einen wesentlichen Bestandteil der Hochwasservorbeugung. Wir betreiben eines der dichtesten Pegel- und Ombrometermessnetze Deutschlands, erstellen auch für recht kleine Einzugsgebiete Vorhersagen und informieren alle Informationsempfänger direkt – auch per SMS. Über dieses sehr moderne System konnten wir in diesem Juni sogar für die sehr dynamischen Gewässer im Gebirge Vorwarnzeiten von mindestens 67 Stunden realisieren.

Warum sollte ein HWRM ganzheitlich sein?

Je ganzheitlicher das Hochwasserrisikomanagement betrachtet wird, desto größer werden die nützlichen Effekte sein. Hochwasser sind Bestandteil des natürlichen Wasserkreislaufes. Der Mensch greift durch sein Verhalten (Siedlungen, Infrastrukturen…) bewusst oder unbewusst in diesen Kreislauf ein. Deshalb wird es nicht ausreichen, wenn nur die Wasserwirtschaft Maßnahmen im Sinne des Hochwasserrisikomanagements ergreift. Jedermann (Eigenvorsorge) und alle anderen Infrastrukturträger tragen hier Verantwortung und stehen laut EG-Richtlinie auch in der Pflicht. Den nachhaltigsten Nutzen kann man erzielen, wenn sich z.B. langfristig Siedlungs- und Infrastrukturen außerhalb von Hochwassergefahrenbereichen etablieren und man innerhalb von Gefahrengebieten hochwassergerecht plant und baut. Nur wenn man das Hochwasserrisikomanagement in dieser Komplexheit versteht und zur Anwendung bringt, wird man langfristig eine Risikoverminderung erreichen.

Zurzeit werden in Sachsen Gefahren- und Risikokarten erarbeitet. Wie muss man sich das vorstellen?

In den Gefahrenkarten wird die Hochwassergefahr für mindestens drei Szenarien (hoch, mittel, niedrig) ermittelt und kartografisch in Form von Überschwemmungsausdehnungen mit Angaben zur Wassertiefe und ggf. zur Fließgeschwindigkeit dargestellt. Die bereits 2004 fertig gestellten Karten für Sachsen findet man unter unserem Internetauftritt. Die Risikokarten beinhalten zusätzlich zu den Informationen aus den Gefahrenkarten die Angaben zu den schützenswerten Gütern und Einwohnerkonzentrationen – also quasi die Betroffenheit aus den Hochwassergefahren. Diese Risikokarten werden bis Ende des Jahres ebenfalls online verfügbar sein.

Der Klimawandel wird die raum-zeitliche Dynamik des Wasserkreislaufes ändern. Vor welchen Herausforderungen steht dabei die Talsperrenbewirtschaftung?

Die Antwort auf diese Frage ist mehrschichtig. Einerseits können Talsperren helfen negative Effekte der Klimaveränderungen abzumildern. Talsperren können z.B. als Langzeitspeicher in Trockenperioden zusätzliches Wasser bereitstellen oder bei Hochwasserereignissen durch ihre Retentionswirkung Hochwasserabflüsse unterhalb der Talsperre in Größenordnung reduzieren und verzögern. Andererseits vergrößert sich durch diese steigenden Anforderungen der Nutzungskonflikt für den Betreiber. Aus Wasserbereitstellungssicht sollte der Stauraum einer Talsperre immer möglichst gut gefüllt sein, aus Hochwasserschutzsicht sollte der Stauraum immer möglichst viel Platz für die Aufnahme von Hochwasser bieten. Die Talsperrenbetreiber nehmen diese Herausforderung an und versuchen über veränderte (z.B. dynamische) Bewirtschaftungsstrategien beiden Hauptinteressen gerecht zu werden. Auch wegen der ebenfalls zu berücksichtigenden Nebennutzungen (z.B. Erholung – möglichst geringe Wasserstandsschwankungen) ist diese Aufgabe sehr komplex.

Bis 2015 sollen landesweit die RM-Pläne aufgestellt werden. Wer ist daran alles beteiligt?

In Sachsen sind mehrere Institutionen an der Erstellung der Hochwasserrisikomanagementpläne beteiligt. Das Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft als oberste Wasserbehörde ist für den Gesamtprozess zuständig. Das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) hat federführend die Methoden, Vorgehensweisen und z.B. Mustergliederungen entwickelt und auch in Pilotgebieten ausgetestet. Die Gewässerunterhaltungspflichtigen sind in Abstimmung mit den Wasserbehörden für die Erstellung der Teilpläne entsprechend der Mustergliederungen in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich. In Sachsen haben wir den Vorteil, dass wir mit der Landestalperrenverwaltung für die staatlichen Gewässer einen zentralen fachlichen Ansprechpartner haben. Alle Teilpläne werden durch das LfULG zum HWRM-Plan für den sächsischen Teil des Einzugsgebietes der Elbe und der Oder zusammengefasst und an den Bund übergeben, der dann wiederum an die EU berichten wird.

Insgesamt setzt Sachsen auf die Eigenvorsorge als einen der wichtigsten Bausteine der HW-Vorsorge. Delegiert damit der Staat seine Verantwortung?

Nein! Wie weiter oben schon ausgeführt muss Jedermann sich am Hochwasserrisikomanagement beteiligen. Es nützt ja nichts, wenn der Staat, wie hier in Sachsen, umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ergreift und der Einzelne durch kontraproduktives Verhalten die Effekte dieser Bemühungen vermindert. Jeder sollte auch unabhängig der gesetzlichen Verpflichtung z.B. durch eine geeignete Standortwahl, die Verwendung der richtigen Baustoffe, die richtige Anordnung von Heizkesseln oder technischen Ausstattungen, die hochwassergerechte Nutzung und den vielen weiteren Vorsorgemöglichkeiten bestrebt sein, den Hochwasserschaden so gering wie möglich zu halten. Die Eigenvorsorge setzt ein entsprechendes Problembewusstsein voraus. Deshalb ist es enorm wichtig viel Aufklärungsarbeit zu leisten, um ein Hochwasserrisikobewusstsein auch bei den nicht direkt Betroffenen zu erreichen.

Experten sprechen vom Managementkreislauf. Welche Elemente spielen dabei zusammen?

Beim Hochwasserrisikomanagement spricht man von mehreren Phasen. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt tritt ein Hochwasser mit einer vorher unbekannten Intensität auf. Hiermit beginnt die Phase der Hochwasserbewältigung, die der Begrenzung des Ausmaßes und der Dauer einer Hochwasserkatastrophe dient. Hierzu zählen z.B. der Hochwassereinsatz (Alarmierung, Rettung, Schadensabwehr), die provisorische Instandsetzung/Sicherstellung von lebenswichtigen Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Wasserwerke, Verkehrs- und Rettungswege, Kommunikationswege, Ver- und Entsorgung) und die Dokumentation des Hochwasserereignisses und der Hochwasserbewältigung. In der anschließenden Phase der Regeneration werden wieder alle Voraussetzungen für den normalen Alltagsbetrieb geschaffen. Das beinhaltet neben einer Ereignisanalyse auch den nachhaltigen Wiederaufbau der weiter oben genannten lebenswichtigen Einrichtungen. Die anschließende Phase der Hochwasservorbeugung dient der Verminderung der Vulnerabilität (Verletzbarkeit) gegenüber Hochwasserereignissen und beinhaltet solche Elemente wie z.B. angepasste Raumnutzung, raumplanerische Maßnahmen, natürlichen Hochwasserschutz, technischen Hochwasserschutz, Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten, Risikovorsorge (z. B. Versicherungen, Eigenvorsorge, …), Verhaltensvorsorge, Vorhaltung und Vorbereitung des Katastrophenschutzes, Informationsvorsorge (z. B. Hochwassernachrichtendienst, …) und Hochwasserrisikomanagementpläne. Diese Phase der Vorbeugung wird dann wieder durch ein Hochwasser unterbrochen und der Kreislauf beginnt von vorn.

Weitere Informationen

Ereignisanalyse 2010/2011
Kurzanalyse 2013

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Quelle:
Hochwasserrisikomanagement