Es ist ein Trauerspiel in vielen Akten. Sowohl auf der medialen Bühne, als auch auf den Schreibtischen der Führungskräfte. Was ist bei der Traditionsmarke Karstadt eigentlich alles schief gelaufen? Ein subjektiver Rückblick.
Bereits als Kind habe ich häufig bei Karstadt in Hamburg-Eimsbüttel eingekauft. Meine erste digitale Armbanduhr habe ich dort erworben. Ende der 1980er Jahre für 75 Mark. Die Ersparnisse eines ganzen Jahres. Jede Karstadt-Verkäuferin und jeder Verkäufer, der mich seitdem beriet, war mit Leib und Seele bei der Sache. Voll ehrlicher Freundlichkeit und einem bewundernswerten Bestreben nach Kundenzufriedenheit. Ein authentischer Markenwert, der Karstadt stark differenziert hatte. Trotzdem waren bereits die 80er Jahre nicht leicht für das Haus. Ein Warenhausüberangebot und veraltete Sortimente führten zu Schließungen.
Das klassische Warenhauskonzept mündete in Karstadt-Schließungen
Weitere Artikel zum Thema |
Versäumte Produktdiversifizierung und notwendige Konzernveränderungen brachten in den 90er Jahren weitere Schließungen mit sich. Das klassische Warenhauskonzept war nicht mehr marktkompatibel. Der Wandel bekam Namen wie „Customer Experience“ oder „Customer Journey“. Bei Karstadt übersah man diverse Zyklen dieser Entwicklung. Ende der 1990er fühlte man sich bei Karstadt wie in einem Museum. In allen Ecken hielt sich hartnäckig der Mief der 80er Jahre.
Dazu kam ein völlig überdimensioniertes Warensortiment. Fernseher oder Waschmaschinen kaufte man schließlich im Großmarkt, denn man war ja nicht blöd. Das Warenhauskonzept verlor zunehmend an Attraktivität und die Kommunikation versäumte es, die Markenwerte von Karstadt bindend zu vermitteln: Nämlich an solvente Käuferschichten, die Wert auf Qualität und Beratung legen und dafür auch höhere Preise akzeptieren. Die finden sich übrigens nicht nur in der Zielgruppe 60plus. Manfred Mandel, neuer Marketingleiter bei Karstadt, sieht hier übrigens ebenfalls großes Potential. Er will die verlorenen Stammkunden zurückholen.
7.000.000 verlorene Karstadt-Kunden lassen sich nicht mit Glitzer kompensieren
Eines Tages dann, es muss so um 2004 herum gewesen sein, erblickte ich plötzlich an einem Karstadtgebäude große Banner. Und ich sah Käufer mit frisch gedruckten Tüten aus den Türen fluten. Okay, da tut sich was. Nun fragte ich mich allerdings, wer genau damit aktiviert werden sollte. Was fehlte, war eine spürbare Verbindung von neuer Außendarstellung und inneren Werten. In den darauffolgenden Jahren gab es etliche solcher sterilen „Relaunchversuche“. Das Management war aufgeschreckt. Die Umsatzrückgänge hatten scheinbar ein bedrohliches Maß erreicht.
Brands Revived – Neustart oder Untergang? Anstatt systematisch den Markenkern wiederzubeleben und ihn marktkompatibel anzupassen, dokterte man im Marketing an verschiedenen Markenwelten herum. Was sollte Karstadt denn nun sein? Letzter Streich: „Schöner Shoppen in der Stadt“. Ein extrem teures Unterfangen, das mit viel Glitzer und Werbung auf den Käufer losgelassen wurde. Aber eine schicke Verpackung alleine erzielt keinen nachhaltigen Absatz. Dessen waren sich die Gründer damals sehr wohl bewusst und hielten neben schicker Architektur ein interessantes, wertiges Sortiment bereit. Der Erfolg von damals hat das Management und die Eigentümer träge werden lassen. Jegliche Markendarstellung wirkt lustlos, ja beinahe verzweifelt. Die ständigen Konzernumbauten und Eignerwechsel haben dem Unternehmen nicht gut getan. Doch heute wird das Versagen vor allem auf das Internet geschoben.
17.000 Karstadt-Mitarbeiter freuen sich. Und der beste Plan wird abgesagt
Vor einigen Jahren tauchte Nicolas Berggruen wie ein Messias auf. Es sollte mächtig investiert werden und alle Arbeitsplätze erhalten bleiben. Inzwischen ist es ein Wunder, dass Karstadt überhaupt noch lebt. Viel zu selten erwähnt wird in diesem Zuge Eva-Lotta Sjöstedt. Eine Frau, die geholt wird, wenn die Situation besonders prekär ist (Phänomen „The Glass Cliff“). Sjöstedt gab ihren Posten nach nur rund vier Monaten auf. Sie hatte eine sehr gute Idee, die medial kaum diskutiert wurde. Sie wollte das Sortiment sämtlicher Märkte an die Einkaufsbedürfnisse des jeweiligen Einzugsgebiets anpassen. Ein Plan, der sehr plausibel und potent erschien. Dafür rückte der Eigner Berggruen nur leider keinen Cent heraus. By the way: Weiß eigentlich jemand, was die Karstadt-Weihnachtsspots mit dem bärtigen jungen Mann in der Glitzerwelt sollten?
Nun plant René Benko neu mit dem Warenhauskonzern. Ob er die Traditionsmarke wiederbelebt, ist fraglich. Sein Konzept ist jedenfalls radikal betriebswirtschaftlich ausgelegt. Am Ende kaufen die Menschen aber aus Vertrauen – und zwar in die fühlbaren Werte einer Marke. Und dieses Vertrauen braucht entsprechend authentische Markenwerte, wie z.B. begeisterte Verkäufer/innen, wie ich sie bereits in meiner Kindheit erlebt habe. Die sollen nun aber in Scharen gehen oder zu Regalpackern degradiert werden. Gerade letzte Woche hat Karstadt auch noch seinen Vertrag mit der Werbeagentur Grey gekündigt. Es bleibt spannend, mit welchem Konzept die Inhouse-Kommunikation antritt. Marketing und Markenkommunikation müssen sich jedenfalls an Werten und Menschen ausrichten und nicht andersrum. Ich bin gespannt, ob man diese Erkenntnis noch rechtzeitig gewinnt. Die Mitarbeiter hätten es verdient. Ansonsten wird auch die Episode René Benko nur eine von vielen in der Chronik eines angekündigten Karstadt-Todes sein.