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07.11.2012 | Journalismus | Interview | Online-Artikel

"Kommunizieren Sie schnell. Sehr schnell."

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Ob das Unglück der Costa Concordia oder die Krise des Berliner Flughafens: Wenn große Organisationen in Schwierigkeiten geraten, kann Kommunikation den Schaden begrenzen. Welche Rolle Medien und PR dabei spielen können, erklärt Simon Herrmann, der die Kommunikation bei Krisenausbruch untersucht hat, im Interview.

Springer für Professionals: Auf eine allgemeine Formel gebracht: Welche Merkmale und Dynamiken von Organisationskrisen sind typisch? 

Dr. Simon Herrmann: Krisen sind kurzfristig eintretende, ungeplante Ereignisse, die den Erfolg einer Organisation gefährden können. Je länger sich eine Organisation Zeit lässt, um auf eine Krise zu reagieren, desto schwieriger und kostspieliger wird es. Während einer Krise muss nicht nur ein Problem gelöst werden, sondern diese Lösung muss auch kommuniziert werden. Denn Krisen führen zu Verunsicherung bei Anspruchsgruppen, die eine Organisation adressieren muss. Wer schnell kommuniziert, schafft Vertrauen – und sichert so den zukünftigen Erfolg der Organisation. Wenn die Organisation dagegen nicht frühzeitig kommuniziert, beginnen Spekulationen über angebliche Unfähigkeit oder schlechten Absichten. Sobald man in der kommunikativen Defensive ist, hat man nur noch geringe Chancen, im öffentlichen Diskurs über die Krise gehört zu werden.

Wie entscheiden Journalisten zu Krisenbeginn, ob und wie sie über Krisen berichten?

Diese Entscheidungen treffen Journalisten aufgrund des Nachrichtenwerts (=vermutetes Publikumsinteresse), den sie einer Krise zuschreiben. "Negativismus" ist ein wichtiger Faktor: Journalisten vermuten, dass ihr Publikum an negativen Themen (Krisen, Konflikte, Katastrophen) interessiert ist. Einige Medien geben offen die ökonomischen Interessen zu, die hinter ihrer Krisenberichterstattung stehen können. Sie soll Auflage bzw. Quote steigern und so den Gewinn erhöhen. In meiner Arbeit habe ich untersucht, ob Kommunikation von Krisenorganisationen und existierende Medienberichterstattung beeinflussen, wie Journalisten den Nachrichtenwert einer Krise und die Krisenorganisation beurteilen.

Wenn der "Spiegel" berichtet, springen auch alle anderen Medien auf den fahrenden Zug auf und berichten, heißt es. Welche Rolle spielt diese Koorientierung bei der Berichterstattung über Krisen?

In dieser Arbeit wurde erstmals experimentell nachgewiesen, dass Journalisten Koorientierungseffekte zeigen. Sie bewerteten ein Thema bereits als wichtiger, wenn ein Leitmedium nur einem einzigen Beitrag darüber bringt. Man kann vermuten, dass Journalisten ein Ereignis für umso wichtiger halten, je mehr Berichterstattung dazu vorliegt. Kurz gesagt: Berichterstattung führt zu Folgeberichterstattung. Daher verengt sich das Meinungsspektrum über alle Medien, wenige "Gewinnerthemen“ dominieren die Berichterstattung und verdrängen alternative Themen. Für eine Organisation bedeutet das, dass schon wenige Berichte über eine Krise eine "Berichterstattungslawine" auslösen können.

Und welchen Einfluss hat die Medienberichterstattung auf den Verlauf von Organisationskrisen und auf die Reputation?

Einen sehr großen. Krisenberichterstattung beeinflusst, wie wir die Reputation einer Organisation bewerten. Diese Reputation entscheidet darüber, ob wir eine Organisation unterstützen (z.B. bei Kauf-und Wahlentscheidungen). Je mehr negative Berichterstattung, desto größer der Schaden für die Reputation. Da Journalisten Negativ-Themen für überaus berichtenswert halten, ist es wahrscheinlich, dass sie über Krisen berichten, was die Reputation der Krisenorganisation beschädigt. Die Krisenlösung wird in der Regel teurer für eine Organisation, wenn die Medienberichterstattung den Reputationsschaden potenziert.

Welche Empfehlungen können Sie aus Ihrer Untersuchung für PR-Praktiker in Krisensituationen ableiten?

Kommunizieren sie schnell. Sehr schnell. Am besten in den ersten Stunden nach Krisenausbruch. Wenn sie sich zu viel Zeit lassen, suchen sich die Journalisten andere Gesprächspartner (Opfer einer Krise, kritische Wissenschaftler etc.). Sobald diese alternativen Gesprächspartner den Diskurs bestimmen, kämpft die PR-Abteilung einer Organisation auf verlorenem Posten. Die Organisation wird in der Öffentlichkeit dann als Getriebener wahrgenommen, nicht mehr als aktiver Krisenlöser.

Wie kann Krisen-PR Berichterstattung positiv beeinflussen? Am konkreten Beispiel: Welche Maßnahmen könnte z.B. das Presse-Team des Berliner Flughafens ergreifen, um die Negativberichterstattung zu verbessern?

Krisen-PR lenkt die Aufmerksamkeit von Journalisten auf eine Krise, führt aber zugleich (in wesentlich größerem Maße) dazu, dass die Krisenorganisation positiver wahrgenommen wird. Daher sollte eine Organisation unbedingt kommunizieren, denn die Vorteile überwiegen die Nachteile bei weitem. Zumal man davon ausgehen muss, dass Journalisten früher oder später auf jede Krise aufmerksam werden. Da wirkt es besser, wenn die Organisation die Krise aktiv bekanntmacht, als sie später einzugestehen. Hat man diese Gelegenheit verpasst, wird es kommunikativ sehr schwer für die Organisation, wie man am Beispiel des Berliner Flughafens sieht: Nachdem die Verantwortlichen kleinlaut in letzter Sekunde ihr Scheitern eingestehen mussten, ist das Presseteam in der Defensive. Vertrauen muss wieder aufgebaut werden. Da hilft nur Transparenz und offene Diskussion von Plänen und Risiken.

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