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23.09.2014 | Controlling | Interview | Online-Artikel

Kosten senken durch wertorientierte Instandhaltung

verfasst von: Sylvia Meier

6 Min. Lesedauer

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Springer-Autor Bernhard Leidinger weist im Interview auf die Einsparpotenziale hin, die wertorientierte Instandhaltung bietet. Und stellt fest: Unternehmen lassen viel Potenzial ungenutzt.

Springer für Professionals: Viele Unternehmen tragen hohe Instandhaltungskosten für ihre Industrieanlagen. In Ihrem Buch „Wertorientierte Instandhaltung“ plädieren Sie dafür zu prüfen, ob Kostensenkungen möglich sind. Wie sollte ein Unternehmen hier vorgehen?

Bernhard Leidinger: Bei vielen Industrieunternehmen hat die Instandhaltung trotz hoher Budgets einen niedrigen Stellenwert. Sie liegt häufig nicht im Fokus der Entscheider im Management, welches sich im Rahmen der technischen Assets meist nur mit Investitionen für Neubau oder Erweiterungen von Anlagen befasst und die Instandhaltung als lästig aber erforderlich ansieht. Wenn dann die Instandhalter bei Störungen stets den Kopf hinhalten müssen, und man ihnen vorwirft, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben und eine offensichtlich zwingend erforderliche Maßnahme unterlassen zu haben, passiert genau das, was man nicht möchte: Die Instandhalter werden sich im Zweifel stets dafür entscheiden, eine Maßnahme durchzuführen und dagegen, es einmal darauf ankommen zu lassen. Schlüssel für den Erfolg einer nachhaltigen Kostensenkung in der Instandhaltung ist es daher, dass diejenigen, die von der Kostensenkung profitieren, denjenigen, die dafür gerade stehen müssen, dass alles funktioniert, zur Seite stehen. Wenn man dann im gleichen Boot sitzt und gemeinsam entscheidet, bestimmte Aufwendungen zu unterlassen, können die Kosten signifikant gesenkt werden.

Was versteht man unter wertorientierter Instandhaltung?

Bei der wertorientierten Instandhaltung orientiert man sich, wie der Name schon sagt, am durch die Instandhaltung geschaffenen Mehrwert. Das bedeutet, dass man den Instandhaltungskosten den durch den Aufwand entstandenen Mehrwert gegenüber stellt und erst dann entscheidet, ob man das Geld ausgibt. Zur Identifikation des Mehrwertes kann man ganz einfach von dem Bild ausgehen, dass man die Maßnahme unterlässt. Der dann eintretende Nachteil ist gleich groß mit dem Mehrwert, der durch die Instandhaltungsmaßnahme erreicht wird. Da sind zum Beispiel die Kosten einer möglicherweise spontan und unvorbereitet durchgeführten Erstmaßnahme mit provisorischer Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit zu nennen, die unmittelbaren Ausfallkosten, die möglichen Schadenvergrößerungskosten, wenn ein kleiner Defekt sich zum größeren Schaden ausweitet und die doppelten Rüstkosten, die dann anfallen, wenn die vorhergehende Gelegenheit anlässlich einer „Ohnehinmaßnahme“ nicht genutzt wurde und schadenbedingt zu einem späteren Zeitpunkt eine Instandsetzung erfolgen muss.
Nun fällt es den Ingenieuren stets leichter, zu beschreiben, was passieren kann und man bekommt so einfach Zahlen für die möglichen Auswirkungen. Andererseits ist niemand so richtig in der Lage, zu prognostizieren, wie häufig es zu derartigen Ereignissen kommen würde, wenn eine bestimmte Maßnahme entfällt. Der Risikowert ergibt sich aber als Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Ausmaß. Das macht die Umsetzung der wertorientierten Instandhaltung schwierig.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Unternehmen eine wertorientierte Instandhaltungsstrategie umsetzen kann?

Neben den zuvor genannten kulturellen Aspekten, dass die Anlagenbetriebsführung und die Instandhaltung „in einem Boot“ sitzen müssen, ist es auch wichtig, die Beurteilung auf Basis von Kenntnissen der Bauteile, über die diskutiert wird, durchzuführen. Dazu gehört technischer Sachverstand und Berufserfahrung. Oft sind die statistischen Daten, die in den Betrieben vorliegen, nicht geeignet, hieraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Da hilft dann meist der externe Berater, der sich mit dieser Thematik ausgehender befasst hat und daher über mehr Informationen zu eingetretenen Schäden verfügt, als es das betroffene Unternehmen kann.

Das Controlling verfügt wohl kaum über den technischen Hintergrund, um entscheiden zu können, auf welche Instandhaltungsmaßnahmen künftig guten Gewissens verzichtet werden kann. Wer hilft hier weiter? Wer arbeitet an der Instandhaltungsstrategie mit?

Das Controlling befindet sich in der Tat in derartigen Betrieben in der misslichen Lage, nicht beurteilen zu können, an welcher Stelle zu viel Instandhaltung durchgeführt wird. Die Instandhalter kommen in der Regel mit der Argumentation „das muss so“ durch, denn der Gegenbeweis ist schwer zu bringen. Ich kenne Fälle, in denen der OEM-Lieferant vor der Revision berät, welche Bauteile prophylaktisch bestellt werden müssen, weil sie längere Lieferzeiten haben, und wo der Techniker in der Revision beschließt, alle prophylaktisch bestellten Bauteile auch tatsächlich einzubauen, weil eine Ablage im Ersatzteillager dem Kaufmann die Bestätigung liefern würde, dass der Techniker hysterisch bestellt hat. Er tut das dann auch noch mit guten Gewissen, denn das neuausgewechselte Bauteil hat ja eine längere Restlebensdauer, als das ausgebaute.
Um den Abnutzungsvorrat der Bauteile vollständig auszubeuten hilft es, neutrale Dritte mit an Bord zu nehmen, die helfen, die Einsparziele der Kaufleute gegenüber den Technikern umzusetzen. Das sollten allerdings technische Sachverständige mit einem ausgeprägt unternehmerischen Denken und wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund sein. Die sind schwer zu finden.

Angenommen, Instandhaltungsmaßnahmen werden eingespart und es kommt schlussendlich doch zu einem technischen Defekt. Wie können Risiken hier bereits im Vorfeld minimiert werden? Oder müssen gewisse Ausfallrisiken zugunsten von Kostensenkungsmaßnahmen vielleicht in Kauf genommen werden?

Zunächst muss gesagt werden, dass bei allen Einsparungen der wertorientierten Instandhaltung diejenigen Risiken tabu sind, die den Bereich HSSE (Health, Safety, Security, Environment) betreffen. Das geschieht dadurch, dass alle gesetzlichen sowie die unternehmensinternen diese freiwillig überschreitenden Vorgaben eingehalten werden. Damit reduzieren sich die bewusst in Kauf genommenen Risiken ausschließlich auf wirtschaftliche Risiken. Das ist wichtig zu sagen, denn die wertorientierte Instandhaltung ist seriös und hat nichts mit möglicherweise akzeptierter Fahrlässigkeit zu tun.
Zur Minimierung der Risiken ist eine genaue Analyse der Risikosituation hilfreich. Weiterhin macht es Sinn, das Ersatzteillager bewusst etwas „komfortabler“ zu bestücken, als man es unter Aspekten wie ROCE-Kennzahlen tun würde, denn viele prophylaktischen Bauteilaustausche lassen sich vermeiden, wenn man die Ersatzteile vorrätig hat und diese im Bedarfsfall – also erst wenn der Abnutzungsvorrat des bisher genutzte Bauteils vollständig aufgebraucht ist – schnell einbauen kann. Das ist so, wie, wenn man stets ein Blinkerbirnchen im Handschuhfach hat und auch in der Lage ist, es zu wechseln. Als vor 20 Jahren die Fahrzeuge noch einfacher waren, war das die dort übliche Vorgehensweise.
Am Ende hat man aber auch das Recht, ungestraft ungeplante Betriebsunterbrechungen zu verursachen: Wenn von einem gesparten Euro dreißig Cent für Störungen verloren gehen, bleiben ja immer noch siebzig Cent übrig! Ohne die Toleranz derartiger Ereignisse ist das Sparen nicht möglich und die Gesamtkosten der Produktion liegen zu hoch.

Aus Ihrer Erfahrung: Lassen Unternehmen hier bisher zu viel Potenzial ungenutzt?

Eindeutig ja; es gibt sehr hohe Potenziale im zweistelligen Prozentbereich. Die Industrie hat einen enormen Nachholbedarf. Das gilt nicht nur für Anlagen ohne Gefährdungspotenzial, sondern z.B. auch für Kernkraftwerke. Auch dort besteht die Möglichkeit zu hohen Einsparungen in der Instandhaltung ohne die Umwelt oder die Menschen zu gefährden. Denn nicht jede Schraube in einem Sicherheitsbereich hat Sicherheitsrelevanz. Das wird viel zu wenig gesehen.

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2014 | Buch

Wertorientierte Instandhaltung

Kosten senken, Verfügbarkeit erhalten

2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

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Wertorientierte Instandhaltung

2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

Strategie

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Wertorientierte Instandhaltung