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20.06.2017 | Bank-IT | Kommentar | Online-Artikel

"Die Finanzdienstleistungsbranche wird zur Plattformindustrie"

verfasst von: Markus Strietzel, Sebastian Steger

4 Min. Lesedauer

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Die Wertschöpfungskette im Banking kann weitgehend digitalisiert werden. Finanzdienstleister müssen dabei ihre Rolle neu definieren: Gestalten sie Plattformen aktiv mit oder spezialisieren sie sich als Infrastruktur- oder Produktgeber? Ein Kommentar.

Die digitale Transformation macht vor kaum keiner Industrie halt und transformiert Geschäftsmodelle umfassend. Da der Kern der Finanzdienstleistungsindustrie primär in nicht-physischen, datengetriebenen Transaktionen liegt, ist diese Industrie besonders stark betroffen.

Empfehlung der Redaktion

2017 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die digitale Transformation in der Finanzindustrie

Wie die Digitalisierung das Banking von morgen verändert

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren in vielen Lebensbereichen Einzug gehalten: Online-Shopping, Wohnungssuche über Immobilienportale, Buchen von Reisen über das Internet, Kommunikation über soziale Netzwerke. Verstärkt wollen Kunden heute auch Banking digital erleben, zum Beispiel über ihre mobilen Endgeräte.


Im Mittelpunkt der Transformation stehen die Kunden, die heute bereits mehrheitlich digitalaffin sind, und ihre Bedürfnisse und Verhaltensweisen. Diese Kunden informieren sich im Internet, vergleichen und wenden sich neuen digitalen Anbietern zu. Erfahrungen aus bereits weitgehend digitalisierten Branchen übertragen sie wie selbstverständlich als Erwartungshaltung an Finanzdienstleistungen. Da viele Finanzprodukte, beispielsweise Kredite, aus Kundensicht nur Mittel zum Zweck sind, steuern diese die traditionellen Finanzdienstleister nicht mehr wie selbstverständlich an. Stattdessen suchen sie Angebote, die ihren Bedürfnissen ganzheitlicher entsprechen und Finanzservices kontextbezogen integrieren. Somit sind sie viel weniger an Hausbanken gebunden als frühere Generationen.

Ein weiterer Veränderungstreiber sind regulatorische Maßnahmen, insbesondere wenn sie auf die Öffnung von Märkten und Wettbewerbsintensivierung gerichtet sind. So steht beispielsweise mit der zweiten Zahlungsdiensterichtline der PSD II eine Regulierung in den Startlöchern, die europaweit Konten für Informationszwecke und Transaktionen zugänglich macht. Zusammen mit der Verbreitung digitaler Technologien haben diese Trends das bisherige Marktgefüge ins Wanken gebracht. Dies gilt insbesondere für den Retailsektor, aber zunehmend auch für weitere Bereiche.

Digitale Plattformen bestimmen den Kundenzugang der Zukunft

Derzeit bildet sich eine neue Gruppe dominanter Marktakteure heraus: digitale Plattformen. Dabei handelt es sich um offene Geschäftsmodelle, die um Kundenbedürfnisse herum errichtet werden und relevante Inhalte und Angebote integrieren. Sie besetzen damit die Kundenschnittstelle in einem bestimmten Bedürfnisbereich und bauen sie aus. Charakteristische Plattformmerkmale sind häufig:

  • Ausrichtung auf Kundenbedürfnisse (zum Beispiel Wohnen, Vorsorge, Gesundheit) anstatt Produktausrichtung und entsprechend zielgruppenorientierte Kundenansprache;
  • Angebot integrierter Services und Produkte zum individuellen Kundenbedarf. Es gilt das Marktplatzprinzip, von Information über Beratung und Transaktionen bis hin zu nachhaltiger Kundenbetreuung;
  • Offenheit für Drittanbieter und unternehmensübergreifende Prozessketten, dabei jedoch Definition von Interaktions-Standards, Schnittstellen und Regeln;
  • Nach Aufbau eines digitalen Angebots, zusätzliche Integration von persönlicher Beratung beziehungsweise Filialangeboten und Ermöglichen reibungsfreier Wechselmöglichkeiten zwischen den Kanälen;
  • Erzeugung von Wertschöpfung über Datennutzung und Zugangs- oder Transaktionsgebühren auf der Plattform, gegebenenfalls auch durch "eigene Produkte".

Erfolgreiche Plattformen erzeugen damit Kundenbindung, Netzwerksynergien und Eintrittshürden. Daher zeigt die Plattformentwicklung auch eine Tendenz zu "The Winner takes it all"- Szenarien.

Chancen der Plattformindustrie werden derzeit im Markt verteilt

Derzeit entscheidet sich im Markt die Frage, welche Plattformen sich langfristig durchsetzen und wer diese für welche Kundenbedürfnisse errichtet. Bezogen auf Finanzdienstleistungen kommen dafür mehrere Gruppen von Marktakteuren in Betracht, die jeweils spezifische Vorteile einsetzen können, aber auch Herausforderungen überwinden müssen. 

Die nachstehende Tabelle zeigt einige wichtige Aspekte bei Plattformstrategien im Überblick.


VorteileHerausforderungen
Traditionelle Finanzdienstleister
  • Kundenbasis
  • Vertrauen (z.B. Datensicherheit)
  • Finanzierungserfahrung
    und Kapazität
  • Legacy Strukturen
  • Digitaler Mindset
  • Hohe Ressourcenbelastung (regulat. Änderungen)
Fintechs
  • Verständnis digitalaffiner Kunden
  • Unabhängigkeit und Disruptionsfähigkeit
  • Einsatz moderner Technologien
  • Aktuell guter Ressourcenzugang (Kapital, Personal)
  • Geringere Regulatorik
  • Kundenbasis
  • Kundenvertrauen hinsichtlich Datensicherheit und Finanztransaktionen
Traditionelle Industrieunternehmen
  • Größere Nähe zum primären Kundenbedarf
  • Langjährige Erfahrung in der Interaktion in Netzwerken (z.B. OEM und Zulieferer)
  • Fähigkeit, Finanzangeboten zu integrieren oder selbst darzustellen (Captives)
  • Legacy Strukturen
  • Digitaler Mindset
  • Ausrichtung auf trad. Produkte
Tech-Riesen
  • Kapazität für techn. Basisinnovationen
  • Sehr große Ressourcen
    Digital Mindset und Kundenverstädnis
  • Kundenzugang (z.B. über Social Media)
  • Management von Komplexität und Fokussierung bei starker Expansion
  • Teilweise Widerstände durch Regulatoren, Datenschützer etc.

Für Deutschland ist bisher festzustellen, dass entsprechende Vorstöße meist nicht von traditionellen Unternehmen ausgingen, siehe etwa Check24, Immobilienscout24, Interhyp oder Europace. Fintechs treiben die Entwicklung weiter voran und nutzen die sich bietenden Chancen. Mit dieser Weiterentwicklung der Fintech-Szene und Kooperationen zwischen Fintechs und Banken beschäftigt sich auch die 3. Konferenz für Finanztechnologie am 13. September 2017 von Bankmagazin und dem Center for Financial Studies in Frankfurt am Main.

Für alle Marktteilnehmer ist eine strategische Positionierung in der entstehenden Plattformindustrie wichtig. Die Positionierungsmöglichkeiten sind dabei vielfältig. Sie reichen vom eigenen Plattformaufbau bis hin zur spezialisierten Infrastruktur oder Produktangeboten, die Plattformen dann zur Verfügung gestellt beziehungsweise an diese angekoppelt werden.
Die Optionen und Chancen einer erfolgreichen Positionierung hängen dabei wesentlich vom Vorhandensein eines geeigneten Mindsets, kundenrelevanter Assets und den verfügbaren Ressourcen ab.

Zudem gilt immer: In einer zunehmend digitalen Plattformwelt müssen alle Marktakteure einen hohen digitalen Reifegrad besitzen oder herstellen. Außerdem erfordert die dynamische Entwicklung mutige und bewusste Entscheidungen. Denn sicher ist: Wer zögert und laviert, kann schon bald den Anschluss verlieren.

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