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18.04.2013 | Umwelt | Schwerpunkt | Online-Artikel

Mittelmeerwälder als Brennpunkte globaler Entwicklung

verfasst von: Matthias Schwincke

7 Min. Lesedauer

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Parallel zum ersten Internationalen Tag der Wälder der Vereinten Nationen am 21. März 2013 veröffentlichte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) den ersten Zustandsbericht zu den Wäldern des Mittelmeerraums. Das im Rahmen der Dritten Mediterranen Waldwoche im algerischen Tlemcen vorgestellte Überblickswerk macht deutlich klar: Die wichtigen und wegen ihres ungewöhnlichen Artenreichtums sehr empfindlichen mediterranen Forst- und Wald-Ökosysteme sind durch globale Veränderungen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Urbanisierung in einem sehr hohen Maße betroffen und äußerst gefährdet.

Für den durchschnittlichen Mittel- und Nordeuropäer ist der Mittelmeerraum in erster Linie eine Erholungslandschaft. Mit einer über drei Kontinente verteilten Bevölkerung von über 500 Millionen Menschen und einem außergewöhnlich reichen Natur- und Kulturerbe ist das Mittelmeerbecken jedoch zugleich eine Region, in der die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung in einem sehr hohen Maß von zumeist knappen natürlichen Ressourcen und einer empfindlichen Umwelt abhängt. Vor allem aufgrund seiner 25.000 Pflanzenarten, mit einem außergewöhnlich hohen endemischen Anteil von etwa 60 Prozent, gehört der Mittelmeerraum zudem zu den sogenannten Biodiversitäts-Hotspots der Erde. Zu den natürlichen Schlüsselressourcen zählen dabei die mediterranen Forst- und Waldlandschaften.

Mit einer Gesamtfläche von rund 75 Millionen Hektar sind diese Ökosysteme schon seit Jahrhunderten wichtige landschaftliche Bestandteile des Mittelmeerraums und leisten als Lieferanten von Holz, Kork, Energie, Nahrungsmitteln und Einkommen einen großen Beitrag zur ländlichen Entwicklung, zur Lebensmittelversorgung und zur Linderung von Armut. Daneben erbringen mediterrane Wälder auch weniger offensichtliche, aber nicht minder wichtige Dienstleistungen, beispielsweise zur Bewahrung der einzigartigen Artenvielfalt, zum Boden- und Erosionsschutz, zur Wasser- und Kohlenstoffspeicherung sowie bei der Bereitstellung von Erholungsfunktionen. Vor diesem Hintergrund gesehen sind Waldflächen auch nahezu unverzichtbar für viele Wirtschaftszweige des Mittelmeerraums wie die Landwirtschaft, die Lebensmittelversorgung, die Wasserwirtschaft, den Tourismus und die Energiewirtschaft.

Wie der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Klimaveränderungen (WBGU) im Buch "Welt im Wandel" bereits 2008 im Kapitel "Brennpunkte des Klimawandels“ aufzeigt, hat der Druck auf die mediterranen Wald-Ökosysteme durch globale klimatische Veränderungen stark zugenommen. Bereits im 20. Jahrhundert verzeichneten manche Länder in Südwest-Europa sowie einige Teilregionen an den südlichen und östlichen Mittelmeerrändern einen Temperaturanstieg um rund 2 Grad Celsius bzw. einen Rückgang der Jahresniederschläge um etwa 20 %, mit einer klar sichtbaren Beschleunigung seit 1970. Nach Modellrechnungen des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) dürften die Temperaturen im Mittelmeerraum bis zum Ende des Jahrhunderts gegenüber dem Zeitraum 1980-1999 um weitere 2,2 bis 5,1 Grad Celsius ansteigen. Die durchschnittlichen Jahresniederschläge könnten bis Ende des Jahrhunderts in Südeuropa um 4-27 % und in Nordafrika im Durchschnitt um 20 % abnehmen.

Durch die zukünftig höheren Temperaturen dürfte noch mehr im Boden gespeichertes Wasser verdunsten, was die bereits heute in vielen Ländern Südeuropas und Nordafrikas beobachtbare sommerliche Wasserknappheit weiter verschärft. Die erwarteten Klimatrends werden aber nicht nur die Bodenaustrocknung beschleunigen, sondern auch die Winderosion und die Waldbrandgefahr erhöhen, was die schützende Vegetationsdecke von Forst- und Waldflächen weiter reduzieren dürfte.

Hoher Stressfaktor für Waldflächen: Bevölkerungswachstum

Vor allem in den Staaten südlich des Mittelmeers kommt zu der prognostizierten zunehmenden Trockenheit ein rasantes Bevölkerungswachstum als Belastungsfaktor dazu. Nach aktuellen Berechnungen von Plan Bleu, einem Netzwerkpartner im UN-Programm "Mediterranean Action Plan" (UNEP/MAP), wird die Gesamtbevölkerung des Mittelmeerraums bis 2050 auf nahezu 626 Millionen Einwohner ansteigen. Aufgrund der stagnierenden bzw. rückläufigen Geburtenzahlen in den europäischen Mittelmeerstaaten wird sich dieser Zuwachs auf die südlichen und östlichen Anrainerstaaten konzentrieren, und dort vor allem auf Küstengebiete und städtische Ballungsräume. Abgesehen von der Tatsache, dass diese von einem möglichen Anstieg des Meeresspiegels am stärksten bedroht sind, stellt das dynamische Wachstumsmuster vor allem die Lebensmittel- und Wasserversorgung der betroffenen Regionen und damit auch die dem vorgelagerten Forst- und Waldflächen vor enorme Herausforderungen.

Auf dem Weg zu einer integrierten Forstpolitik des Mittelmeerraums

Forstverwaltungen und andere Verantwortliche in den Mittelmeerländern, insbesondere in den südlichen und östlichen Anrainerstaaten, haben die unterschiedlichen Formen von Übernutzung, konkurrierenden Landnutzungen und Klimafolgen mit ihren negativen Auswirkungen auf Waldressourcen und verbundene Sektoren wie Landwirtschaft, Energie, Tourismus und Wasserwirtschaft mittlerweile erkannt.

Wie das Global Forest Resources Assessment der FAO im Jahr 2010 feststellte, besitzen vierzehn Mittelmeerstaaten, die 84 Prozent der Waldflächen repräsentieren, eine offizielle staatliche Absichtserklärung zur Waldpolitik. Fünfzehn Staaten, die mehr als 86 Prozent der Waldflächen auf sich vereinen, verfügen über Nationale Forstprogramme (NFP). Die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie die institutionellen Strukturen und Verantwortlichkeiten für ein effektives und erfolgreiches Forst-Management sind jedoch insgesamt betrachtet recht unterschiedlich. So besitzen beispielsweise zwar alle an der UN-Umfrage beteiligten Staaten gesetzliche Rahmenbedingungen für Forst- und Waldflächen. Ägypten, Jordanien und Portugal waren seinerzeit jedoch die einzigen Länder, die eine spezifische Wald-Gesetzgebung besitzen und waldbezogene Gesetzesvorschriften in andere Gesetzgebungen integriert haben. In Italien, Portugal und Spanien werden Waldflächen sogar ausschließlich durch Gesetze auf regionaler Ebene geregelt.

Auch das Alter der jeweiligen Wald-Gesetzgebungen klafft ziemlich weit auseinander. Diese gehen bei zehn von zwanzig Staaten in einen Entstehungszeitraum vor 1984 zurück, wobei die aktuelle Gesetzgebung eher auf nachträgliche Änderungen als auf neu formulierte Gesetze zurückgeht. Immerhin haben sechs dieser Staaten seit 2000 neue Gesetze formuliert und zehn Staaten berichten, dass die letzten Gesetzesergänzungen nach 2000 oder später erfolgten. Damit kann die aktuell gültige Wald-Gesetzgebung zumindest in vierzehn von zwanzig Staaten zumindest auf das Jahr 2000 datiert werden.

Hin zu einer Allianz für die Mittelmeerwälder

Vor diesem Hintergrund hat die Anpassung von Strategien und Verwaltungsreformen hin zu einer nachhaltigeren Forstbewirtschaftung auf der internationalen Ebene stark an Dynamik gewonnen. Eine wichtige Initialzündung war dabei das im Jahr 2010 gestartete Collaborative Partnership on Mediterranean Forests (CPMF), einem Netzwerk aus mittlerweile 14 Institutionen, darunter die FAO, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Plan Bleu, die Mittelmeer-Initiative des WWF und die IUCN. Zu einer wichtigen Austausch- und Aktionsplattform in diesem Zusammenhang haben sich vor allem die Mediterranean Forest Weeks (MFW) entwickelt. Nach zwei erfolgreichen Treffen in Antalya (2010) und Avignon (2011) fanden diese vom 17.-21. März 2013 insgesamt zum dritten Mal und erstmals in Nordafrika statt.

Auf der Veranstaltung im algerischen Tlemcen wurde im Rahmen des umfangreichen Konferenz- und Exkursionsprogramms auch der erste FAO-Bericht zum Zustand der Mediterranen Wälder "State of Mediterranean Forests" veröffentlicht. Das fast zweihundert Seiten starke und von mehr als zwanzig Organisationen der Region gemeinsam erarbeitete Werk bietet erstmals einen fundierten Gesamtüberblick zum Zustand der mediterranen Waldressourcen, zu gesetzlichen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen sowie über die bereits gravierenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Forst- und Waldflächen des Mittelmeerraums.

Als Höhepunkt der Veranstaltung, die auch zur Vorbereitung auf das United Nations Forum of Forest (UNFF 10) im April in Istanbul diente, wurde die Deklaration von Tlemcen verabschiedet. Unter Einbeziehung der Tagungsergebnisse bringt die offizielle Abschlusserklärung zum ersten Mal die Inhalte und Ziele des "Strategic Framework on Mediterranean Forests" (SFMF) an eine breitere Öffentlichkeit. Als Schlüsseldokument mit politischen Orientierungs- und Handlungsempfehlungen für ein integriertes Management von mediterranen Forst-Ökosystemen formuliert das SFMF drei zentrale Ziele: die Entwicklung und Förderung der von Wäldern erbrachten Güter und Dienstleistungen, die Stärkung der Widerstandskraft der Wälder gegen globale Veränderungen sowie die Verbesserung von Kapazitäten und die Mobilisierung von Ressourcen. Zur Umsetzung dieser Ziele dienen neun strategische Entwicklungslinien:

  1. die Verbesserung einer nachhaltiger Produktion von Waren und Dienstleistungen von mediterranen Forsten,
  2. die Aufwertung der Rolle der mediterraner Forste bei der ländlichen Entwicklung,
  3. die Verbesserung von Forstverwaltungen und Landpachtreformen auf allen Ebenen,
  4. eine effizientere Vermeidung von Waldbränden durch die Integration klimabezogener Risikofaktoren,
  5. ein besseres Management der genetischen Ressourcen und der Biodiversität der Wälder zur Stärkung der Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel,
  6. die Wiederherstellung von degradierten Forstlandschaften,
  7. die Weiterentwicklung von Wissen, Schulung und Kommunikation über mediterrane Forste,
  8. die Verstärkung der internationalen Kooperation
  9. die Anpassung bestehender Finanzierungsprogramme sowie die Entwicklung von innovativen Mechanismen zur besseren Umsetzung von Forstpolitiken und Forstprogrammen.
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