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14.12.2015 | Public Relations | Schwerpunkt | Online-Artikel

Staatsanwaltschaften zwischen Recht und Öffentlichkeit

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

3:30 Min. Lesedauer

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Die Öffentlichkeit ist ein gnadenlos und schnell urteilender Richter, wenn Tabuthemen zur Verhandlung stehen. Für die Justiz wird Kommunikation in solchen Verfahren zum Balanceakt zwischen Auskunftspflicht und Persönlichkeitsschutz.

Die prominenten Fälle der vergangenen Jahre, in denen die Öffentlichkeit – befeuert von den Medien – schon vor den Urteilsverkündungen Scheiterhaufen entzündete und Pranger errichtete, sind nicht vergessen. Es waren Fälle, bei denen die Gerichte über Tatbestände wie Kinderpornographie, Missbrauch oder Vergewaltigung zu entscheiden hatten. Verbrechen für die es keine Toleranzzone gibt und so die Unschuldsvermutung wie bei keinem anderen Verdacht öffentlich ausgehebelt wird. Die Fälle bleiben auch in Erinnerung, weil die Kommunikation oft genug versagt hat – auf den Ebenen von Justiz, Anklagevertreten und Massenmedien. In Zeiten des digitalen Gedächtnisses hat das für die zu unrecht Vorverurteilten fatale Folgen. Sie bleiben stigmatisiert.

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Richter und Staatsanwaltschaften sind zur strengen Objektivität sowie zur Herrschaft über das Verfahren verpflichtet. Ihre Pflicht ist auch, die Gesellschaft über das Rechtssystem zu informieren und nicht im "Geheimen" zu agieren. "Transparenz, Kontrollierbarkeit und Vertrauen zu schaffen gilt daher im Rechtsstaat erst recht für das Strafrecht", schreibt dazu Springer-Autor Christian Trentmann in seinem Fachartikel "Medien- und Öffentlichkeitsarbeit bei Strafverfahren - Fluch oder Segen?" (Seite 406). Dem Auskunftsrecht der Medien muss Rechnung getragen werden ohne die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu verletzen. Dazu gibt es Leitfäden. Unter Einfluss gerät die Informationsarbeit der Justiz dennoch. Durch die emotionalisierte Medienöffentlichkeit auf der einen Seite und Litigation-PR-Aktivitäten der Anklagevertretung andererseits.

Rechtfindung als Publikumsereignis

Berichterstattung über "Sex and Crime" bringt den Medien Aufmerksamkeit, Auflage und Klicks. Die von der staatsanwaltschaftlichen Pressestelle gelieferten Informationen werden, so schreibt Trentmann, nach den "Spielregeln" des Massenmediensystems ausgewählt (Seite 404). Es folgt die Inszenierung nach den Funktionslogiken des jeweiligen Mediums, inhaltlich zurechtgestutzt auf das Zielpublikum. Springer-Autorin Julia Kottkamp zitiert in "Kommunikationsbedingungen für Strafverfahren in der Mediengesellschaft" die Strategien (Seite 29/30):

  • Problematisierung und Skandalisierung
  • Personalisierung
  • Intimisierung und Dramatisierung
  • Moralisierung und Werteladung
  • Visualisierung

Der Anwalt als Krisensprecher

Das so geschürte öffentliche Meinungsklima lässt Anklagevertreter zum Gegenmittel Litigation-PR greifen. Bei dieser Form des Krisenmanagements agieren Juristen als Pressesprecher und PR-Agenten der Angeklagten, um über die Öffentlichkeit das rechtliche Verfahren zu beeinflussen. Nach Ansicht von Trautmann ist ihr somit der doppelte Manipulationsversuch vorzuwerfen, "nämlich dem der unmittelbaren Manipulation der Medien und dem der mittelbaren Manipulation des Rechtssystems" (Seite 414 f.). Doch wirken sich diese Einflüsse tatsächlich auf die Rechtsprechung aus?

Wie Medien die Justiz beeinflussen

Bereits 2009 stellten die Springer-Autoren Hans Mathias Kepplinger und Thomas Zerback auf Basis einer gemeinsamen Befragung mit Rudolf Gerhardt und Katja Griesenbeck unter allen Richtern und Staatswnwälten in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen zum "Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte" fest, dass nach Ansicht der Studienteilnehmer (Seite 236):

  • die Medienberichterstattung die Wahrheitsfindung weder fördert noch behindert
  • die Medienberichterstattung die Angeklagten, Zeugen und Opfer vielfach schutzlos der Öffentlichkeit aussetzt
  • in der Gerichtsberichterstattung überwiegend oder zumindest teilweise richtig dargestellt werden
  • die Umstände ihres Handels aber nicht richtig dargestellt werden
  • die Berichterstattung bei den betroffenen Richtern und Staatsanwälten Emotionen hervorruft, die sich signifikant auf ihr Verhalten auswirken

Proaktive Kommunikation nicht für Staatsanwälte

Seit Erscheinen der Studie vor sechs Jahren nutzen die Deutschen das Internet häufiger und intensiver. Davon profitieren die Massenmedien und PR-Verantwortliche. Es verschärft sich gleichzeitig das Problem, wie Staatsanwaltschaften gelingen, davon unbeeindruckt ihrer Informationspflicht nachzukommen sowie sich die richtergleiche Objektivität und Unparteilichkeit erhalten zu können. Dazu äußert sich Christian Trentmann eindeutig: "Der Staatsanwaltschaft ist daher nur pflichtgemäße Reaktivität auf ein Auskunftsverlangen der Medien und eine begrenzt zulässige Aktivität zugestanden; offensive Proaktivität ist nach hier vertretener Ansicht nicht zulässig und auch nicht geboten" (Seite 418). Die grundsätzliche Aufgabe der Litigation-PR seitens der Verteidigung, den Beschuldigten vor Pranger-Wirkungen und Vorverurteilungen zu schützen hält er für legitim, rät allerdings zu einer stärkeren berufsständischen Beobachtung der Krisenaktivität (Seite 418).

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