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11.09.2015 | Fahrzeugtechnik | Interview | Online-Artikel

"Vertrauen der Kunden in autonomes Fahren muss gestärkt werden"

5 Min. Lesedauer

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Vor dem Hintergrund zunehmend komplexerer Antriebsstränge mit verschiedenen Motoren wird prädiktives und autonomes Fahren eine wichtige Rolle einnehmen, ist Professor Ferit Küçükay überzeugt. Warum sich die deutschen Autohersteller bei so viel High-tech in manchen Märkten schwertun, erklärt er im Interview.

Um das Energiemanagement eines elektrifizierten Antriebsstrang weiter zu optimieren, sollte es den bevorstehen Streckenverlauf berücksichtigen. Welche Bedeutung werden prädiktive oder autonome Systeme einnehmen?

Sie werden eine hohe Bedeutung einnehmen. Heutige Navigationssysteme erlauben uns bereits die Wahl einer schnellsten oder verbrauchsoptimalen Route. Prädiktive und autonome Systeme beeinflussen darüber hinaus aktiv den Fahrbetrieb auf der bevorstehenden Strecke und können damit direkt zu weniger Fahrzeit oder Verbrauch beitragen. Die Kenntnis über die Topologie sowie das mögliche Geschwindigkeitsprofil aufgrund von Verkehrsdaten und der Fahrweise erlauben, die Betriebsstrategie des Antriebs adaptiv und optimal zu gestalten. Dabei stellt auch das temporär emissionsfreie Fahren in Umweltzonen durch Fahrstreckenkenntnis einen weiteren Baustein zum intelligenten Management des Antriebs dar.

Die "A-piori-Kenntnis" von Fahrbahnunebenheiten birgt aber auch anderes Potenzial. Denn diese können nunmehr - das haben wir bei uns dargestellt - effizient und sehr genau gemessen und in den digitalen Karten gespeichert werden. So kann nicht nur das Fahrwerk zwecks schwingungsarmen Fahrens besser geregelt werden, sondern auch das reduzierte Geschwindigkeitsprofil sowie die Beschleunigungs- und Bremsmanöver, beispielsweise beim Überfahren eines Bremshügels, von der vorausschauenden Betriebsstrategie des Antriebs berücksichtigt werden.

Welche Auswirkungen haben autonome Systeme auf den subjektiven Eindruck des Fahrers?

Der Fahrer rückt beim vollautomatisierten Fahren sinnbildlich auf den Beifahrersitz. Als "Beifahrer" beurteilt er allerdings die Brems- und Beschleunigungsvorgänge und Komfortbeeinträchtigungen durch Schwingungen und Beschleunigungen in Vertikal- und Längsrichtung sowie Quer- und Gierbeschleunigungen kritischer, als wenn er selbst fahren würde. Komfort und Sicherheit treten beim automatisierten Fahren somit noch stärker als bisher in den Vordergrund. Deshalb ist eine Grundvoraussetzung für das vollautomatisierte Fahren, den längs- und querdynamischen Komfort auf Höchstniveau sicherzustellen.

Weiterhin muss aber erst einmal das Vertrauen der Kunden auf dem Weg zum autonomen Fahren gestärkt werden. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Systeme fehlerfrei arbeiten und für die Insassen ein nachvollziehbares Systemverhalten dargestellt wird.

Je nach Automatisierungsstufe werden dem Fahrer mehr und mehr seiner bislang gewohnten Handlungen abgenommen. Dabei geht es primär nicht mehr um die Realisierung von Fahrspaß im Sinne des dynamischen Fahrens, sondern um den komfortablen Reisebetrieb des Fahrzeugs. Bei voller Automatisierung wird der Begriff Fahrspaß neu definiert werden. Einige Kunden werden nach wie vor das Fahrzeug selber steuern wollen und möchten dessen gewohnte fahrdynamische Eigenschaften nicht missen - also das, was wir heute unter Fahrspaß verstehen. Andere werden möglicherweise gerade im autonomen Betrieb eine neue Form des Fahrspaßes kennenlernen, beispielsweise durch neue Interaktionsmöglichkeiten mit Kommunikations- und Entertainmentsystemen.

In Europa und Nordamerika sprechen wir über komplexe und entsprechend teure Technologien. Inwiefern sind bei Antriebskonzepten für Low-Budget-Märkte, wie den BRIC-Staaten, überhaupt Innovationen möglich?

Die Innovationen für Low-Budget-Cars, die unter 6.000 Euro kosten sollen, zielen in erster Linie darauf ab, Mindestanforderungen mit extrem kostengünstigen Lösungen zu erfüllen. Das ist nur durch Verzicht auf Komfortextras, teure Werkstoffe und Aggregate sowie durch konsequente Gleichteilestrategien realisierbar. Ein hoch integriertes Anfahrelement, das ein Zweimassenschwungrad, eine Trennkupplung sowie einen integrierten Elektromotor mit Leistungselektronik enthält, hat also im Antrieb eines Billigfahrzeugs nichts verloren. Vielmehr besteht der einfachste und kostengünstigste Frontquer-Antrieb beispielsweise aus einer Dreizylinder-Verbrennungskraftmaschine mit Saugrohreinspritzung und nur einer Nockenwelle, kombiniert mit einem 4-Gang-Schaltgetriebe, das einfach aufgebaut und als Zwei-Wellen-Getriebe mit Einscheibentrockenkupplung und integriertem Achsantrieb konzipiert ist.

Die entsprechenden Komponenten müssen sich sinnvollerweise aus bekannten Aggregaten nach dem Gleichteileprinzip ableiten lassen können. So etwa durch die Reduzierung der Mehrfachsynchronisierung im Getriebe auf eine Einfachsynchronisierung. Viele Innovationen zur Energie- und damit CO2- Reduzierung durch beispielsweise reibungsoptimierte Lagerdichtungen oder Verzahnungsoberflächen sind nicht unbedingt mit höheren Kosten verbunden. Komponenten, die durch hohe Marktdurchdringungen entsprechend deutliche Skaleneffekte aufweisen, können kostengünstig genug sein, um auch in solchen Low-Budget-Cars eingesetzt zu werden.

Hand aufs Herz: Verstehen wir in Deutschland diese Philosophie ausreichend?

Die deutschen Automobilhersteller tun sich diesbezüglich schwerer als die restlichen, da ihnen als Entwickler von höherwertigen Fahrzeugen eine breite Erfahrungsbasis für "Niedrigstpreisfahrzeuge" fehlt. Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch: Auch in der Lehre und Forschung bilden bei uns mehrheitlich die High-tech-Lösungen den Schwerpunkt und weniger die Grundlagen zur Entwicklung und Produktion von Low-Budget-Cars.

Hier nimmt Volkwagen eine Sonderstellung ein: Der Automobilhersteller hat durch die traditionell konzernweit in unterschiedlichen Preissegmenten angebotenen Fahrzeugkategorien sowie durch die langjährige Kooperation mit chinesischen Fahrzeugherstellern, Entwicklungen und Produktion in Brasilien und Indien Erfahrungen sammeln können. Diese werden Volkswagen nun bei der kürzlich für den Serieneinsatz ab 2018 verkündeten Budget-Car-Familie mit SUV, Stufen- und Schrägheckfahrzeugen, die zwischen 8000 und 11000 Euro kosten sollen, sicherlich zugutekommen.

Hinweis: Außerdem sprachen wir mit Prof. Dr.-Ing. Ferit Küçükay über konkurrierende Antriebssysteme, Elektrifizierung und die Komplexität von neuen Getrieben. Diesen Teil des Interviews, "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten in der Antriebssynthese", lesen Sie in der MTZ 10-2015.

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Ferit Küçükay, geboren 1953 in Istanbul, studierte bis 1977 an der TU München. Nach seiner Promotion und Habilitation zum Themenkreis Antriebs- und Getriebedynamik an der gleichen Universität arbeitete er ab 1985 bei BMW. 1997 übernahm er die Leitung des Instituts für Fahrzeugtechnik an der TU Braunschweig. Er ist Gutachter, Mitherausgeber und Beiratsmitglied verschiedener Tagungen und Zeitschriften, unter anderem tätig im Vorstand für das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF).
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