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24.11.2015 | Umwelt | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wann Bioplastik beim Meeresschutz mithilft

verfasst von: Matthias Schwincke

4 Min. Lesedauer

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Ein Leben ohne Kunststoffprodukte ist kaum noch denkbar. Auf der anderen Seite nimmt die weltweite Vermüllung der Meere durch Plastik immer mehr zu. Inwieweit bieten Biokunststoffe eine Alternative?

Nach aktuellen Schätzungen schwimmen allein in der Wassersäule der Weltmeere insgesamt 5,25 Trillionen Plastikpartikel mit einem Gesamtgewicht von circa 270.000 Tonnen. Ablagerungen an Stränden und auf Meeresböden sind dabei noch nicht eingerechnet. Und jedes Jahr kommen circa 30 Millionen Tonnen Plastikabfälle dazu. Auf der Suche nach Auswegen aus dieser Misere geraten auch nachhaltige Kunststoffprodukte als Ergänzung zu den klassischen abfallwirtschaftlichen Instrumenten wie Vermeidung, Wiederverwertung und Recyling immer weiter ins Blickfeld.

Sogenannte Biokunststoffe bestehen zu einem wesentlichen Anteil oder ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen. Am gesamten Kunststoffmarkt nimmt Bioplastik aktuell jedoch erst einen Anteil von weniger als zwei Prozent ein. Ihre natürliche Herkunft bedeutet allerdings nicht automatisch, dass Biokunststoffe zugleich biologisch abbaubar sind. Von den weltweit im Jahr 2014 produzierten 1,7 Millionen Tonnen Biokunststoffe verfügen derzeit nur knapp 40 Prozent über diese Eigenschaft. Nach einer aktuellen Brancheneinschätzung wird deren Anteil - bei insgesamt steigender Bioplastik-Produktion - bis 2019 sogar unter 20 Prozent sinken.

Nicht bedingungslos biologisch zersetzbar

Auch der Begriff der biologischen Abbaubarkeit sagt bei biobasierten Kunststoffen noch nicht viel aus. Denn laut DIN bezeichnet dieser lediglich die Eigenschaft eines Stoffes, durch Mikroorganismen in Abwesenheit von Luftsauerstoff zu CO2, Wasser, Biomasse und Mineralien sowie unter Luftabschluss zu CO2, Methan, Biomasse und Mineralien zersetzt zu werden. Ein fester Zeitraum ist dafür nicht angegeben. Was daher vielerorts mit "biologisch abbaubar" gemeint ist und von Herstellern beworben wird, ist zumeist die industrielle Kompostierbarkeit.

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Industriell kompostierbare Biokunststoffprodukte müssen in Europa in Übereinstimmung mit dem EU-Standard EN 13432 zertifiziert werden. Dieses Label bescheinigt einen vollständigen Abbau des Produkts innerhalb von sechs bis zwölf Wochen unter festgelegten Bedingungen in einer industriellen Kompostieranlage. Das bedeutet wiederum nicht, dass dieses zertifizierte Produkt sich auch im häuslichen Gartenkompost biologisch abbaut. Für die ebenfalls zertifizierbare Entsorgung im Komposthaufen eignen sich nämlich nur Biokunststoffe, die sich nachweislich bei weniger als 30 Grad innerhalb eines Jahres vollständig biologisch abbauen.

Tauchen nach EU-Standards

Im Gegensatz zur Industrie- und Heim-Kompostierung existieren in Europa noch keine allgemeinen und verbindlichen Regeln für die Abbaubarkeit von Biokunststoffen unter Meeresbedingungen. Umfangreiche und kostspielige Anstrengungen zur Vorbereitung von entsprechenden Normen und Standards erfolgen derzeit im Rahmen des bis Ende 2016 laufenden EU-Großforschungsprojekts Open-BIO. Eines von insgesamt neun Arbeitspaketen des mit mehreren Millionen Euro geförderten Vorhabens beschäftigt sich u.a. mit der Entwicklung von neuen Testverfahren und Spezifizierungen zur Abbaubarkeit von biobasierten Kunststoffen in marinen Umgebungen. Der methodische Ansatz beinhaltet Laboruntersuchungen, Experimente in Mesocosmen sowie Feldforschung in drei unterschiedlichen Meereszonen an zwei Standorten im Mittelmeer. Trotz vieler Einsichten über das zeitliche Abbauverhalten von insgesamt drei biobasierten Testkunststoffen überwiegen insgesamt eher die offenen Fragen. Dazu zählen u.a. Unklarheiten über die Auswirkungen von biologischen Faktoren wie Biodiversität auf das Abbauverhalten, die Rolle von Pflanzenbewuchs (Fouling) auf den Abbauprozess sowie die notwendige Bestimmung der für die Plastikvermüllung kritischsten Meeresbereiche.

Auf absehbare Zeit keine Alternative

Ungeachtet dessen bietet einer der weltweit führenden Zertifizierer seit Anfang 2015 ein Label zur biologischen Abbaubarkeit von Biokunststoffen im Meer an. Die am US-amerikanischen ASTM-Standard orientierte Produktkennzeichnung wird ausschließlich für Rohstoffe und Produkte zur Verwendung im marinen Bereich vergeben. Unabhängig von der Frage nach der Qualität des sich auf traditionelle Labortests stützenden Labels eignet sich dieses damit naturgemäß nur zur Bekämpfung von Plastikmüll aus seeseitigen Quellen. Global gesehen stammen allerdings 80 Prozent aller Plastikabfälle im Meer aus landseitigen Quellen, mit regionalen Unterschieden.

Inwieweit Biokunststoffe vor diesem Hintergrund auf absehbare Zeit zu einer weitreichenden Linderung der Meeresvermüllung beitragen können, bleibt abzuwarten. Allzugroße Hoffnungen sind vor allem angesichts der aktuell noch verschwindend geringen Produktionsmengen von Bioplastik sowie der großen Vielfalt und Komplexität der Abbaubedingungen im Meer allerdings eher nicht angebracht. Dazu kommt die große Stoff- und Anwendungsvielfalt der Biokunststoffe selbst. Einen Überblick in die verschiedenen Gruppen natürlicher Polymere mit ihren Eigenheiten und Einsatzbereichen bieten die Springer-Autoren P.M. Visakh, Aji P. Mathew und Sabu Thomas im Buchkapitel "Natural Polymers: Their Blends, Composites and Nanocomposites: State of Art, New Challenges and Opportunities".

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