Skip to main content

16.03.2015 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Welche Wege führen aus der Stickstoff-Falle?

verfasst von: Günter Knackfuß

3:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Im aktuellen Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen werden nachhaltige Lösungsstrategien für die Stickstoffproblematik gefordert. Wir sprachen mit dem Ratsmitglied Heidi Foth.

Springer für Professionals: Auf welche Weise und wo belasten Stickstoffverbindungen Umwelt und Gesundheit?

Heidi Foth: Stickstoffverbindungen belasten in Form von Stickoxiden und Feinstaub über die Luft die menschliche Gesundheit, als Nitrat und organische Partikel das Wasser und führen durch Eutrophierung und Versauerung zum Verlust von Biodiversität. Außerdem schädigt Lachgas die Ozonschicht und trägt zum Klimawandel bei. Allerdings ist Stickstoff ein ganz wesentliches Element in der Ernährung von Pflanzen, Tieren und ebenso des Menschen. Die biologisch verfügbaren Formen (reaktive Stickstoffverbindungen) werden durch natürliche Prozesse des Nährstoffkreislaufs zwischen Boden, Wasser und Luft ausgetauscht. Zur Umweltbelastung sind Stickstoffverbindungen geworden, weil die Produktivität der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch die Umwandlung von Luftstickstoff in synthetischen Mineraldünger gesteigert werden konnte. Nach jahrzehntelangem Einsatz sind die natürlichen Austauschprozesse aber überfordert.

Welche Auswirkungen ergeben sich bzgl. der Biodiversität?

Weitere Artikel zum Thema

Belastungen durch reaktive Stickstoffverbindungen sind relevante stoffliche Treiber für den Verlust der Biodiversität, sowohl in terrestrischen als auch in Süß- und Meerwasser-Ökosystemen. Die standorttypisch biologische Diversität ist darauf angewiesen, dass die Bodentypen, Wasserverfügbarkeit und Klima jeweils gerade das richtige Maß an Nährstoffaufkommen haben und im Kreislauf halten können. Beispielsweise werden an nährstoffarme Bedingungen angepasste Pflanzen von Stickstoff liebenden Arten verdrängt. Langfristig kommt es zu Verschiebungen in der Artenzusammensetzung in Ökosystemen. Generell sinkt mit zunehmendem Stickstoffeintrag gleichzeitig die Artenzahl von Pflanzen.

In seinem Gutachten "Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem" benennt der Sachverständigenrat für Umweltfragen einen ganzen Katalog von Empfehlungen. Welche haben absolute Priorität?

Die Stickstoffproblematik ist nicht neu und wird bereits in einer ganzen Reihe Maßnahmen aufgegriffen, die durchaus Wirkung zeigen. Prioritär ist unseres Erachtens, dass die Hintergrundbelastung der Luft insgesamt gemindert wird und gleichzeitig die Hochbelastungsstandorte auf der einen Seite sowie die besonders empfindlichen Gebiete auf der anderen Seite regional schneller und wirksamer vom Stickstoffeintrag befreit werden. Dazu sollte Deutschland eine ambitionierte Luftreinhaltepolitik auf europäischer Ebene vorantreiben und die Einträge aus der Landwirtschaft reduzieren. Die zentrale Maßnahme dafür ist die Düngeverordnung, die durch Überschussabgaben und räumlich differenzierte Vorgaben flankiert werden sollte.

Im Entwurf zur neuen Düngeverordnung kommt die Hoftorbilanz nicht mehr vor. Wie bewerten sie das?

Die schrittweise Einführung der Hoftorbilanz ist Bestandteil des Referentenentwurfs von Ende Dezember, scheint aber innerhalb der Bundesregierung noch strittig zu sein. Es ist angedacht, die Hoftorbilanz erst einmal nur für Betriebe mit einem hohen Viehbesatz einzuführen. Im weiteren Gesetzgebungsprozess muss dieses wichtige Element unbedingt beibehalten werden. Die Hoftorbilanz ist genauer und bietet weniger Manipulationsmöglichkeiten als die bisherigen Bilanzierungsmethoden, weil sie primär auf durch Buchhaltungsdaten belegbare Werte zurückgreift. Sie kann dadurch auch den Vollzug der Düngeverordnung verbessern. Eine verlässliche Bilanzierung ist wichtig, um die Stickstoffbelastung durch die Landwirtschaft zu verringern.

Sie plädieren für eine nationale Stickstoff-Strategie. Welche Bestandteile sollte diese haben?

Das Hauptelement der nationalen Stickstoffstrategie muss ein übergeordnetes Minderungsziel für Stickstoffeinträge sein, welches sich an der Belastbarkeit unserer Ökosysteme orientiert. Die Maßnahmen müssen besser horizontal zwischen den Ressorts Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr und Industrie integriert werden. Auch zwischen EU, Bund und Ländern muss eine bessere vertikale Integration erreicht werden. Die Stickstoffproblematik wird öffentlich nicht in ihrer gesamten Tragweite wahrgenommen und bearbeitet. Eine bessere Problemkommunikation kann Konsumenten in ihrer Verantwortung ansprechen und ihre Beteiligungsmöglichkeiten bewusst machen.

Die nationale Strategie sollte in einem konsistenten Gesamtansatz die vielen Einzelmaßnahmen zusammenfassen und mit einem ambitionierten Maßnahmenprogramm stärken.

Welche Hauptkritik hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen an den europaweit vorgesehenen Maßnahmen?

Die Hauptkritik richtet sich auf zwei Aspekte:

Die nationalen Emissionshöchstmengen der NERC-Richtlinie sind nicht ambitioniert genug. Es gibt zudem Hinweise, dass die weiteren Beratungen der NERC Richtlinie auf der EU Ebene verschoben werden und dies ist mit Sorge zu sehen.

Die gemeinsame Agrarpolitik der EU sollte konsequent den Ansatz Öffentliche Gelder für Öffentliche Güter verfolgen und dazu muss die Förderung landwirtschaftlicher Flächen zugunsten von Umweltmaßnahmen (Säule 2) gestärkt werden.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt