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23.03.2015 | Klimawandel | Interview | Online-Artikel

Wie wirkt der Klimawandel auf Flussgebiete?

verfasst von: Günter Knackfuß

4:30 Min. Lesedauer

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Wissenschaftler im Forschungsverbund "KLIFF Klimafolgenforschung Niedersachsen" analysierten die Nährstoffeinträge rund um das Aller-Leine-Flusseinzugsgebiet. Jörg Dietrich beantwortet Fragen zu den Untersuchungen.

Im Rahmen des Forschungsverbundes "KLIFF Klimafolgenforschung Niedersachsen" untersuchten Wissenschaftler der Leibniz Universität Hannover, wie sich Nährstoffeinträge in dem rund 15.000 km² großen Aller-Leine-Flusseinzugsgebiet auswirken können.

Springer für Professionals: Welche Szenarien waren die Grundlage für ihre Untersuchungen?

Jörg Dietrich: Wir haben für die Erstellung unserer Modelle zunächst einen historischen Zeitraum von 1951 bis 2010 (bzw. Abschnitte daraus) betrachtet, für welchen Beobachtungsdaten des Niederschlags und des Abflusses vorlagen. Ferner wurden Zukunftsprojektionen des Wasser- und Stoffhaushalts für das 21. Jahrhundert gerechnet. Als Antrieb für die Zukunftsprojektionen wurden die Ergebnisse zweier in Deutschland weit verbreiteter Klimamodelle genommen: das dynamische Modell REMO und das statistische Modell WETTREG. Hierbei konzentrierten wir uns auf das Emissionsszenario A1B. Bezüglich der Landnutzung hatten wir Daten für die vergangenen 30 Jahre vorliegen, jedoch keine Zukunftsszenarien. Daher wurde für die Zukunftsprojektionen vom status quo der Landnutzung ausgegangen.

Bei den Forschungen haben sie mit Simulationsmodellen zum Wasser- und Stoffhaushalt gearbeitet. Wie sind sie dabei vorgegangen?

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 Wir haben mehrere Flussgebiete in einer Größenordnung von mehreren 100 km² bis über 1.000 km² in verschiedenen Naturräumen Niedersachsens ausgewählt. Für diese wurden Wasser- und Stoffhaushaltsmodelle mit dem weltweit häufig verwendeten dynamischen Modell SWAT (soil and water assessment tool) aufgestellt und anhand von Beobachtungsdaten kalibriert, d.h. wir haben die Modellparameter so ermittelt, dass der simulierte Abfluss der Gebiete möglichst gut mit dem beobachteten Abfluss übereinstimmte. Dann wurden die Modelle mit dem Kontrolllauf "C20" der Klimaprojektionen simuliert, um zu überprüfen, wie gut das Klima und die daraus resultierenden hydrologischen Verhältnisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1951 bzw. 1961 bis 2000) abgebildet werden können. Danach wurden Simulationen für das 21. Jahrhundert gerechnet. Hier gibt es naturgemäß noch keine Beobachtungsdaten. Daher wurde für eine Bewertung der Auswirkungen des Klimawandels ein Vergleich mit den C20-Simulationen vorgenommen, um Änderungssignale zu identifizieren.

Welche Resultate zeigte die Simulation von Stoffflüssen aus Siedlungsgebieten?

Bei Kläranlagen handelt es sich um gut kontrollierbare technische Einrichtungen, deren Austräge in das Flusssystem stärker von menschlichen Tätigkeiten und technischen Investitionen abhängen als vom Klima. Anders sieht die Situation bei Zuflüssen aus der Kanalisation aus. Sollte die Häufigkeit von Starkniederschlägen wie erwartet ansteigen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit von einem deutlichen Anstieg der Überlaufmengen aus Mischwassergebieten ins Gewässer auszugehen.

 

 

Und wie sah es bei Stoffflüssen und Bewässerung in ländlichen Gebieten aus?

Eine Zunahme von Starkniederschlägen führt nahezu sicher zu stärkerer Erosion der Böden und damit zu mehr Sedimenteintrag in die Gewässer. Einträge aus der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, z. B. der Düngung, sind stark von menschlicher Tätigkeit abhängig und daher kaum für ein ganzes Jahrhundert vorherzusagen. Unter Annahme der heutigen Landnutzung wurde ein leichter Anstieg von Nährstoffausträgen alleine durch den Klimaeinfluss simuliert. Der Bewässerungsbedarf spielt eine wichtige Rolle für den Wasserhaushalt, denn zur Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion ist bei einer Steigerung desselben auch von einer stärkeren Nachfrage nach Bewässerungswasser auszugehen. Durch den erwarteten Temperaturanstieg steigt die Verdunstung und selbst bei nur geringfügig geänderten Niederschlagsverhältnissen dürfte der Bewässerungsbedarf der Landwirtschaft in den betrachteten Gebieten in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts deutlich ansteigen.

Welche Hauptprobleme haben sie insgesamt identifiziert?

In Bezug auf den Wasserhaushalt von Flussgebieten am deutlichsten dürften die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf den Bewässerungsbedarf sein. Dies könnte zu einer Verstärkung von Nutzungskonflikten führen, und letztlich je nach umweltpolitischem Vorgehen Einschränkungen der landwirtschaftlichen Produktion und/oder heute unerwünschte Umweltveränderungen bewirken. In einem anderen Teilprojekt wurde die zukünftige Entwicklung von Hochwasserabflüssen untersucht. Es dürfte lokal zu einem häufigeren Auftreten kritischer Abflüsse kommen, so dass langfristig auch eine Verbesserung des Hochwasserschutzes von Bedeutung ist. Die Verwendung des Konjunktivs bei der Beantwortung dieser Frage soll auf ein weiteres Hauptproblem zeigen. Klimaprojektionen für ein ganzes Jahrhundert in der Zukunft liefern keine exakten Ergebnisse sondern nur mehr oder weniger signifikante Änderungssignale, welche sich je nach verwendetem Modell unterschiedlich darstellen können. Dies soll nicht die Klimafolgenforschung in Frage stellen, sondern auf die Notwendigkeit einer kritischen Interpretation der Ergebnisse hinweisen. Aussagen zur zukünftigen Änderung von hydrologischen (und anderen) Größen sollten daher Angaben zur Interpretation der Sicherheit der Aussagen enthalten.

Welche Vorschläge stehen jetzt für das weitere Vorgehen auf der Agenda?

Die Ergebnisse vieler Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen des Klimawandels zeigen klare Signale der künftigen Änderung wichtiger Einflussgrößen auf unser Leben. Allerdings dürften viele Änderungen erst in einigen Jahrzehnten gesellschaftlich relevant werden. Daher sollte die Arbeit an Klimaanpassungsstrategien sachlich und unter Berücksichtigung nachhaltigen Handelns erfolgen. Gerade im Hinblick auf sehr lange Investitionszeiträume, z. B. im baulichen Bereich, ist es jedoch nicht zu früh die zukünftige Entwicklung des Klimas in Entscheidungen zu berücksichtigen. Auch für die Wissenschaft bestehen weiterhin Herausforderungen: die Kenntnisse über die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung sollten verbessert werden um differenziertere Handlungsempfehlungen abgeben zu können, die räumliche Auflösung von Klimamodellen kann weiter verbessert werden, um Phänomene wie Starkregenereignisse besser simulieren zu können, und nicht zuletzt sollte das Zusammenspiel zwischen Klimamodellen, Wirkmodellen (z. B. Hydrologie) und Planungsmodellen (z. B. Wasserbewirtschaftung) weiter verbessert werden.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

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