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07.07.2015 | Marketing + Vertrieb | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wissen als Verantwortung

verfasst von: Dirk Engel

4:30 Min. Lesedauer

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Der Mediaagenturverband leistet wertvolle Arbeit, keine Frage. Doch wenn seine Mitglieder zukünftig ihre Marktrelevanz sichern wollen, muss sich die Branche stärker um Aus- und Weiterbildung kümmern – für alle Mitarbeiter.

"Oh My God!" Das ist es, was viele verstehen, wenn sie das Kürzel OMG in einem Chat oder einer SMS lesen. Nur in der exklusiven Welt der deutschen Mediabranche stehen dieselben Buchstaben für die "Organisation der Mediaagenturen" – was nicht heißen soll, dass einige nicht hier spontan das gleiche wie die Chatter in aller Welt denken. Denn der Interessenverband der deutschen Mediaagenturen hatte es in den vergangenen Jahren nicht immer leicht, zuletzt verstarb der Vorstandssprecher Hans-Georg Stolz überraschend.

Nun ist der Verein neu aufgestellt – abgenabelt vom Werbeagentur-Verband GWA, mit neuem Vorstandssprecher und dem neuen Mitglied Group M (bisher verweigerte sich das größte Player im Markt der Mitgliedschaft). Grund genug, sich kurz einmal über die Aufgaben eines solchen Verbandes in der sich wandelnden Mediaszene nachzudenken.

Verbände im Paralleluniversum

Was ist – nüchtern betrachtet – eigentlich die Aufgabe eines Verbandes wie die OMG? In erster Linie die Kommunikation mit anderen Verbänden. Das ist weniger trivial, als es sich jetzt vielleicht anhört, den Vereine und Verbände gibt es in der Mediawelt viele – von der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (Agma) bis zu den Gattungsorganisationen der Medienvermarkter und Werbungtreibenden. Da ist viel Diplomatie, Lobby- und Gremienarbeit notwendig – eine geschlossen auftretende OMG mit selbstbewussten Sprecher ist sicherlich wichtig.

Pressemitteilungen als Kernkernkompetenz eines Verbandes?

Einiges geschieht hinter verschlossenen Türen, vieles spiegelt sich in den Fachmedien und beim sich jährlich wiederholenden Kongress-Zirkus wider. Die öffentlich behandelten Themen sind wohlbekannt: Die Transparenz der Geschäftsmodelle, die Abgrenzung zu anderen Kommunikationsdienstleistern, das gemeinsame Bemühen um eine gattungsübergreifende Werbewirkungsforschung. Was hier passiert (– oder auch nicht – ) kann man der aktuellen Branchen-Presse entnehmen. Pressemitteilungen zu verfassen scheint die Kernkompetenz eines jeden Verbandes zu sein. Doch nicht alle wichtigen Probleme stehen im Fokus der Fachöffentlichkeit, die auf manche wie ein Parallel-Universum wirkt, in dem man irrelevante Scheingefechte öffentlich wirksam austrägt. Deshalb überlegen wir mal: Was sollte noch auf die Agenda des neuaufgestellten OMG stehen?

Agenturbranche reagiert auf Nachwuchsprobleme hilflos

Ein Thema wäre die Verantwortung gegenüber den Menschen, die in den Mediaagenturen arbeiten. Dass die Branche ein Nachwuchsproblem hat, ist bekannt: Agenturen gelten als unattraktive Arbeitgeber. Die Reaktion darauf ist eher hilflos: Die Verantwortlichen sehnen sich nach den alten Zeiten zurück, als unbezahlte Überstunden noch einfach durch einen Kicker-Tisch im Aufenthaltsraum ausreichend kompensiert wurden. Dass heute auch schon Berufsanfänger nach einer positiven Work-Life-Balance streben, befremdet die alte Garde.


Die Firmen, die für ihre Kunden jede Zielgruppe analysieren sollen, haben selbst ein Problem, ihren potenziellen Nachwuchs zu verstehen. Auf der anderen Seite herrscht immer noch ein vermeintlicher Jugendkult, der es den Mitarbeitern über 45 zunehmend das Überleben in der Agentur schwerer macht. Früher landeten alte Mediaplaner irgendwann bei Vermarktern und durften auf Firmenspesen mit den früheren Kollegen essen gehen. Heute bleiben mehr und mehr Veteranen auf der Strecke – und können immer schwerer durch Frischlinge ersetzt werden, die mangelnde Erfahrung mit Aktivismus und Überstunden wettmachen. Die Mediaagenturen laufen Gefahr, ein Club der Um-die-30jährigen zu werden, dem es an einem Verständnis der Gesellschaft als Ganzes mangelt.

Mediawissen erodiert in der Datenfülle

Das führt uns zu den Kernproblem der Branche: Obwohl es immer mehr Daten, Studien, Tools und Informationen gibt, so scheint doch das Wissen in den Agenturen nicht im gleichen Maße angewachsen zu sein. Die Aus- und Weiterbildung sowohl der Anfänger, wie auch der restlichen Kollegen, ist eine der großen Herausforderungen.

Was machen die Agenturen, um ihre Mitarbeiter beim rasanten Medienwandel auf dem Laufenden zu halten? Was macht der OMG, um hier das fachliche Niveau der Agenturen auf höchsten Level zu gewährleisten? Wie kann sichergestellt werden, dass man Trainees, Praktikanten und Volontäre ausbildet – und nicht ausbeutet? Wie kann man das Knowhow der Altgedienten auffrischen, damit sie nicht als Altlasten bei den nächsten betriebsbedingten Kündigungen entsorgt werden? Wie kann das Wissen der Branche konsolidiert und vermehrt werden?

Verantwortung für die eigene Zunft übernehmen

Die Kunden erwarten souveräne Berater mit umfassenden Fachkenntnissen – was will der Verband machen, um diese wichtigste Ressource der Agenturen zu sichern? Während ich dies schreibe, findet sich auf der OMG-Website ein Mediaglossar, das vom Digital-Verband BVDW via „copy & paste“ ausgeliehen wurde und in dem nicht einmal die Media-Basisbegriffe wie „Nettoreichweite“ oder „Media-Analyse“ vorkommen. Es ist gefährlich, Vermarktern und den Googles dieser Welt die Hoheit über das Sammeln und Vermitteln des Mediawissens zu überlassen. Hier muss ein starker Verband Verantwortung übernehmen – und Pressemitteilungen alleine helfen da wenig.

Zur Person
Dirk Engel ist unabhängiger Marktforscher, Hochschul-Dozent und Fachautor. Er berät Unternehmen und Medien dabei, ihre Kunden besser zu verstehen. Bis 2011 arbeitete er als Mediaforscher für UM (Universal McCann) und betreute viele nationale und internationale Marken. Zu seinen Schwerpunkten gehören Themen wie Werbewirkung, Konsumentenpsychologie und die Zukunft von Medien und Marketing. Aktuelle Artikel von Dirk Engel

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2012 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die Arbeit der Media-Agenturen

Quelle:
Media für Manager

2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

Zehn Fallbeispiele von Verbänden im Wandel

Quelle:
Verbände digital