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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

14. Ältere Menschen im Wohnquartier Margaretenau in Regensburg – aktuelle Situation und zukünftiger Bedarf

verfasst von : Sonja Haug, Miriam Vetter

Erschienen in: Wohnen und Gesundheit im Alter

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Beitrag zeigt Ergebnisse einer Begleitstudie zur Restaurierung und energetischen Modernisierung des historischen genossenschaftlichen Wohnquartiers Margaretenau in Regensburg im Projekt MAGGIE. Bei der Gestaltung von Wohnungen und Gelegenheiten für die soziale Einbettung im Quartier wird eine altersgerechte Perspektive eingenommen. Die Darstellung der schriftlichen standardisierten Haushaltsbefragung (n = 195) nimmt die Lebenssituation älterer Menschen ab 65 Jahren in den Fokus. Dazu werden die Themenbereiche Haushaltsstruktur, altersgerechtes Wohnen und Gemeinschaftseinrichtungen präsentiert. Neben der aktuellen Wohnsituation wurden Pläne und Wünsche für das zukünftige Wohnen abgefragt. Im Alter schwindet die Bereitschaft für Veränderungen, was sich am Wunsch zum Altern in der bisherigen Wohnung und Verbleib im Wohnquartier zeigt. Das Interesse am barrierereduzierten Wohnen ist bei älteren Haushalten geringer als bei jüngeren. Es zeigt sich ein überdurchschnittlich hohes Maß an lokalem Sozialkapital, wobei kein signifikanter Unterschied zwischen jüngeren und älteren Haushalten besteht.
Hinweise
Beitrag zu: Andrea Teti, Harald Künemund, Judith Fuchs, Enno Nowossadeck (Hrsg.), Tagungsband: Wohnen und Gesundheit im Alter, in der Reihe Vechtaer Beiträge zur Gerontologie. Wiesbaden: Springer VS

14.1 Einleitung

Der Beitrag befasst sich mit der Frage, welche Bedürfnisse ältere Menschen bei der energetischen Gebäude- und Quartierssanierung haben und welche Herausforderungen und Chancen sich hierbei für Baugenossenschaften ergeben. Besonders im Alter wird im Vergleich zu jüngeren, örtlich unabhängigeren Menschen das Quartier bedeutender (Saup, 1993, S. 177). Dabei haben nicht nur die Gestaltung der Wohnung, sondern auch außerhäusliche Aktivitäten, soziale Zusammengehörigkeit und stadtteilbezogene Identität Einfluss auf das Wohlbefinden im Alter (Oswald & Konopik, 2015, S. 401). Ein Grund liegt darin, dass durch körperliche Einschränkungen, fehlende finanzielle Mittel und durch geringe Aktionsradien das nähere, räumliche Umfeld seltener verlassen werden kann (Eichler & Holz, 2014, S. 4). Im Alter konzentrieren sich daher die sozialen Beziehungen überwiegend im Quartier. Inzwischen wird auch bei kleinräumigen Sanierungen oder Quartiersneugestaltungen zunehmend eine altersgerechte Perspektive eingenommen. Ziel ist es, durch wohnortnahe Unterstützungs-, Teilhabe- und Versorgungsstrukturen einen längeren Verbleib Älterer in der eigenen Wohnung zu ermöglichen (Cirkel, 2017, S. 7). Exemplarisch kann hierzu auf die Studie von Opitz und Pfaffenbach (2018) verwiesen werden, die die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner im ländlichen Raum sozialräumlich analysiert haben. Heinze (siehe Beitrag in diesem Band) plädiert ebenfalls für integrierte, quartiersnahe Lösungen für das Wohnen im Alter. Durch Quartiersgestaltungen und Sanierungsmaßnahmen wird der lokale Nahraum an die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst, um ihnen so einen längeren Verbleib in ihrer gewohnten Umgebung zu ermöglichen (Kremer-Preiß, 2013, S. 65). Genossenschaften weisen hierbei durch ihre Organisationsform hohes Unterstützungspotenzial auf, das nach Ansicht von Heinze et al. (2019, S. 27) bisher relativ wenig wahrgenommen wurde.

14.2 Das Wohnquartier Margaretenau in Regensburg

„Es ist eine Gnade, hier zu leben“ (Hans Bretz, Margaretenau, 2018, S. 1).
„Es ist eine Gnade, in der Margaretenau wohnen zu dürfen“ (Quelle: MAGGIE Haushaltsbefragung, Fragebogen Nr. 187).
Im Rahmen der interdisziplinären Forschungsprojekte MAGGIE und SAMM wird die Sanierung des genossenschaftlichen Wohnquartiers Margaretenau mit einer Sozialstudie begleitet. Das Projekt hat zum Ziel, städtischen Wohnraum ressourcenschonend und klimafreundlich energetisch zu modernisieren; der historische Charakter soll dabei ebenfalls erhalten bleiben. Ein Team aus den Bereichen Architektur, Bauphysik, Elektrotechnik und den Sozialwissenschaften erarbeitet zusammen mit der Stadt Regensburg und der Baugenossenschaft Margaretenau ein innovatives Lösungskonzept für eine energetische Quartierssanierung mit geringeren Energiekosten für die Bewohnerinnen und Bewohner sowie geringeren Treibgasemissionen für die Umwelt (Riederer et al., 2019, S. 16). Das Konzept soll erprobt und in den kommenden Jahren für das gesamte Wohnquartier schrittweise umgesetzt werden (Stadt Regensburg, 2018). Diese Arbeiten schließen an das Projekt RENARHIS an (Haug & Vernim, 2016, S. 3; Haug et al., 2017, S. 580; Haug & Steffens, 2019, S. 20).

14.2.1 Altersstruktur

Überdurchschnittliches Alter ist ein wesentliches Charakteristikum bei Genossenschaftsmitgliedern (Theurl et al., 2013, S. 32). Im Vorfeld der Haushaltsbefragung wurden amtliche Daten zur Sozialstruktur des Quartiers „Wohnbezirk Margaretenau“, das neben der Wohnbaugenossenschaft auch weitere Gebäude umfasst, im Vergleich zur gesamten Stadt Regensburg analysiert (Abb. 14.1). Auch im Wohnbezirk Margaretenau zeigt sich ein Alterseffekt. Knapp ein Viertel der Bevölkerung ist 65 Jahre oder älter.

14.2.2 Methode

Alle 344 Haushalte der Baugenossenschaft Margaretenau eG wurden im Januar 2019 mit schriftlichen, standardisierten Fragebögen befragt. An der Befragung nahmen 195 Haushalte (57 %) teil. Der seniorengerecht im Schriftgrad 14 erstellte 13-seitige Fragebogen bezog sich auf die energetische Sanierung, das Mobilitätsverhalten, das aktuelle und zukünftige Wohnen und Wünsche in Bezug auf nachhaltige und soziale Gemeinschaftsangebote. Die Mitglieder der 195 teilnehmenden Haushalte wurden zusammengefasst, woraus sich die Summe von 310 Personen ergab. Haushaltsmitglieder der MAGGIE-Studie gehören sehr viel häufiger zur Altersgruppe der über 65-Jährigen und auch der 45- bis 64-Jährigen (Abb. 14.1). Kinder, Jugendliche und jüngere Personen sind im Vergleich zur Stadt Regensburg und zum gesamten Wohnbezirk Margaretenau seltener vertreten. Dies ist unter anderem durch relativ kleine Wohneinheiten im Untersuchungsgebiet erklärbar.
Für die Analyse wurde zwischen jüngeren und Senioren-Haushalten mit mindestens einer 65-jährigen Person (37 % der Haushalte) unterschieden. Da Senioren überwiegend in Einpersonenhaushalten leben, ist ihre durchschnittliche Haushaltsgröße geringer (M = 1,44; SD = 0,91) als bei jüngeren Familien (M = 1,81; SD = 0,53), der Unterschied ist höchst signifikant (t-Test p ≤ 0,001; n = 193).

14.3 Altersgerechte Quartiersgestaltung und barrierereduziertes Wohnen

In diesem Beitrag wird die Margaretenau Regensburg aus einer seniorenspezifischen Perspektive betrachtet. Dies soll Möglichkeiten aufweisen, wie das Quartier hinsichtlich Wohnbedingungen und gesellschaftlicher Teilhabe angepasst werden kann.

14.3.1 Altersgerechtes und barrierereduziertes Wohnen

Der Begriff „altersgerecht“ zielt nicht nur auf die seniorenspezifische Anpassung der Wohn- und Lebensbedingungen, sondern beinhaltet auch eine generationenübergreifende Dimension (Gädker et al., 2012, S. 1). „Eine altersgerechte Wohnung umfasst nicht nur eine weitgehend barrierefreie/-reduzierte Wohnung, sondern auch ein barrierefreies/-reduziertes Wohnumfeld, die ortsnahe Verfügbarkeit wesentlicher Infrastruktureinrichtungen sowie soziale und pflegerische Unterstützungsangebote. Von einer barrierefreien/-reduzierten Wohnung wird ausgegangen, wenn bestimmte Mindeststandards des barrierefreien/-reduzierten Wohnens eingehalten werden.“ (BMVBS, 2011, S. 25). Eine altersgerechte Wohnung soll im Gegensatz zur exakt definierten barrierefreien Bauweise folgende Mindestanforderungen aufweisen: Nicht mehr als drei Stufen zum Haus oder Wohnungseingang, keine Stufen innerhalb der Wohnung, ausreichende Bewegungsflächen und Türbreiten im Sanitärbereich, Vorhandensein einer bodengleichen Dusche (BMVBS, 2011, S. 25). Meist profitieren von einer altersgerechten Bauweise nicht nur ältere Menschen, sondern auch weitere Personengruppen wie Menschen mit Handicap oder Familien mit Kleinkindern (Gädker et al., 2012, S. 1). Meist wird ein altersgerechter Umbau vorausschauend geplant, um trotz altersbedingter und gesundheitlicher Einschränkungen in der Wohnung verbleiben zu können. Am häufigsten erfolgt dies in der Altersklasse der 45- bis 64-Jährigen (Prognos, 2014).
93 % der älteren Menschen in Deutschland wohnen in einer „normalen Wohnung“, 4 % in einem Alten- bzw. Pflegeheim, und andere Wohnformen sind noch seltener (Penger et al., 2019, S. 418). Barrierereduzierte Wohnungen sind wenig verbreitet (Penger et al., 2019, S. 419). „Unter den 40- bis 85-Jährigen leben im Jahr 2014 nur 2,9 % in einer barrierereduzierten Wohnung. Von den Personen, die eine Gehhilfe, einen Rollator beziehungsweise einen Rollstuhl benutzen, haben im Jahr 2014 6,9 % eine barrierereduzierte Wohnung“ (Nowossadeck & Engstler, 2017, S. 287).
Nach einer Befragung durch TNS im Auftrag des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen bei Personen ab 50 Jahren (n = 1100) bevorzugen zwei Drittel ein eigenständiges Leben in einer gewöhnlichen Wohnung oder im Haus. Nur ein Drittel möchte zwecks altersgerechten Wohnens umziehen. Etwa die Hälfte der Befragten würde stattdessen lieber die Wohnung oder das Haus umbauen (BFW, 2011). Ein Verlust der Selbstständigkeit im Alter wäre für über 80 % der Befragten ein Umzugsgrund. Die im Alter von 70 Jahren bevorzugte Wohnform ist die eigene Wohnung bzw. Haus, für 67 % ohne Hilfe und 57 % mit Hilfe. 32 % nennen Mehrgenerationenwohnen, 23 % betreutes Wohnen ohne Hilfe und 22 % mit Hilfe (TNS-Emnid, 2011a). Auf die Frage nach dem Alter, in dem man in eine altersgerechte Wohnung ziehen solle, antworteten 6 % „im Alter 60 bis 69 Jahre“, 22 % „im Alter 70 bis 79 Jahre“ und 15 % „im Alter 80 und mehr“ (TNS Emnid, 2011b).
Obgleich ein Verbleib in einer nicht altersangepassten Wohnung mit Risiken verbunden ist, liegt die Priorität beim Verbleib in der bisherigen Wohnung. Begründbar ist dies auch durch eine im internationalen Vergleich in Deutschland überdurchschnittlich lange Wohndauer in einer Wohnung/einem Haus und eine durch steigende Wohndauer sinkende Mobilitätsbereitschaft (Höpflinger, 2017, S. 11). Nach Teti et al. (2014, S. 324) ist die als „stayers“ bezeichnete Personengruppe erwartungsgemäß deutlich häufiger als sogenannte „movers“ zu einem Wohnstandortwechsel bereit. Eine Seniorenbefragung (älter als 65 Jahre) ergab, dass 70 % nicht in eine altersgerechte Wohnung umziehen wollen; bei Personen ab 80 Jahren liegt dieser Anteil der nicht umzugsbereiten Personen bei 81 % (BMVBS, 2011, S. 56). Allerdings ist auch die Bereitschaft zu Umbaumaßnahmen zur Barrierereduzierung mit 17 % der 65 bis 79-Jährigen und 6 % der ab 80-Jährigen relativ gering (BMVBS, 2011, S. 57).

14.3.2 Veränderungsabsichten im Alter und barrierereduziertes Wohnen

Die durchschnittliche Wohndauer in der Margaretenau ist mit 19 Jahren sehr lang (M = 18,99; SD 17,10). Ältere Haushalte leben seit durchschnittlich 28 Jahren in der aktuellen Wohnung (M = 27,97; SD = 19,29), während jüngere Personen im Durchschnitt 14 Jahre dort verbracht haben (M = 13,72; SD = 13,14, t-Test p ≤ 0,001).
Insgesamt wollen 80 % dauerhaft bzw. auch im Alter in ihrer Wohnung bleiben, 89,3 % wollen dauerhaft bzw. auch im Alter in der Wohnbaugenossenschaft Margaretenau leben. Die Betrachtung der zukünftigen Wohnorte zeigt, dass sich nur 2,8 % der Senioren-Haushalte verändern wollen, wohingegen ein Fünftel der jüngeren Haushalte (23,4 %) über Veränderungsabsichten nachdenkt (Chi2-Test p ≤ 0,01). Somit wurden die oben aufgeführten Ergebnisse von Studien bestätigt. Die Umzugs- und Veränderungsbereitschaft ist im höheren Alter geringer.
Ein Viertel der Haushalte wünscht sich einen Umzug in eine sanierte, 17,8 % in eine barrierefreie und 14,7 % der Befragten einen Umzug in eine größere Wohnung (Tab. 14.1). Unerwartet ist, dass Senioren-Haushalte seltener an einer barrierefreien Wohnung interessiert sind als jüngere Haushalte. Bei den Seniorenhaushalten, die einen Umzug in eine barrierefreie Wohnung wünschen, steht Barrierefreiheit im Bereich Bad/Badewanne/Dusche an erster Stelle, während die jüngeren Haushalte häufiger an Barrieren im Hauseingang/Treppenaufgang oder bei Türschwellen/Türbreiten in der Wohnung denken.
Tab. 14.1
Veränderungsabsichten nach Alter.
(Quelle: MAGGIE Haushaltsbefragung, eigene Auswertung)
Veränderungsabsichten
Gesamt
Nicht-Senioren-Haushalte
Senioren-Haushalte
n
Auszug von Haushaltsmitgliedern absehbar
8,0 %
11,8 %
1,5 %
176
Vergrößerung der Wohnsituation
14,7 %
23,7 %
0,8 %
184
Verkleinerung der Wohnsituation
6,6 %
6,3 %
7,2 %
181
Umzug in sanierte Wohnung
26,5 %
35,7 %
11,4 %
185
Umzug in barrierefreie Wohnung
17,8 %
18,6 %
16,4 %
180
Eine Verkleinerung der Wohnsituation ist mit 6,6 % selten gewünscht. Auch selten ist mit 8,0 % ein Auszug von Haushaltsmitgliedern absehbar, bei Seniorenhaushalten signifikant seltener als bei Nicht-Seniorenhaushalten (Chi2-Test p ≤ 0,01). Insbesondere jüngere Haushalte stehen einer Vergrößerung der Wohnsituation (Chi2-Test p ≤ 0,01) und einem Umzug in eine sanierte Wohnung positiver gegenüber als Seniorenhaushalte (Chi2-Test p ≤ 0,01).
Die Verbundenheit mit der Wohnsituation macht sich auch in den Zufriedenheitswerten bemerkbar. Die Mehrheit ist mit der Wohnausstattung zufrieden (Skala 1: sehr zufrieden, 2: zufrieden, 3: mittel, 4: unzufrieden, 5: sehr unzufrieden. M = 2,23; SD = 0,95). Der Mittelwert für die Zufriedenheit mit der Miethöhe ist noch höher, er beträgt 1,73 (SD = 0,82). Die Zufriedenheit mit Heiz- und Stromkosten ist dagegen etwas geringer (Heizkosten M = 2,39; SD = 0,96; Stromkosten M = 2,43; SD = 0,91). Letztere deuten auf den Bedarf der energetischen Sanierung und auf überdurchschnittlich hohe Energiekosten hin, die durch die Sanierungsmaßnahmen reduziert werden sollen. Auf Ergebnisse zur energetischen Sanierung der Margaretenau wird an dieser Stelle nicht eingegangen (siehe dazu Haug et al., 2020).

14.4 Gesellschaftliche Teilhabe, Zusammenleben und Soziales Kapital

Die Befragung sollte Möglichkeiten für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Teilhabe und sozialen Einbettung im Quartier aufzeigen. Im Folgenden werden Ergebnisse zu Beteiligungswünschen am genossenschaftlichen Zusammenleben dargestellt.

14.4.1 Wohnumfeld und Gemeinschaftseinrichtungen

Das Untersuchungsgebiet Margaretenau ist von einem dichten Nachbarschaftsgefüge geprägt. Die Mehrheit von 92,1 % ist sehr zufrieden oder zufrieden mit dem genossenschaftlichen Zusammenleben. Wöchentlichen Kontakt zur Nachbarschaft pflegt knapp die Hälfte der Haushalte. Verstärkt wird dies durch verwandtschaftliche Beziehungen, jeder Zweite hat eine verwandte Person im näheren Umfeld. Ältere zeigen sich signifikant zufriedener und weisen mehr Kontakt auf als jüngere Haushalte. Ein Viertel der jüngeren Haushalte wünscht sich mehr Kontakt zur Nachbarschaft.
Eine altersgerechte Wohnumfeldgestaltung umfasst auch Unterstützungs- oder Gemeinschaftsangebote. Drei Viertel der Befragten sehen einen Bedarf für Gemeinschaftseinrichtungen (Tab. 14.2). An erster Stelle interessieren sich 46,2 % der Haushalte für einen Quartiersladen, da es in fußläufiger Umgebung keine Nahversorgung gibt. Auch Bedarfe für einen Außensitzplatz wurden von 40,0 % bzw. für einen Anbieter professioneller, pflegerischer Versorgung (z. B. durch einen ambulanten Pflegedienst) von 26,7 % genannt. Einer Begegnungsstätte und einer Freizeitstätte steht nur etwa ein Fünftel der Befragten offen gegenüber. Gemeinschaftsaktivitäten im kulturellen oder sozialen Bereich werden von etwa einem Zehntel gewünscht.
Tab. 14.2
Wünsche für soziale Treffpunkte nach Haushaltstyp, Mehrfachnennung möglich.
(Quelle: MAGGIE Haushaltsbefragung, eigene Auswertung)
Soziale Treffpunkte
Gesamt
Nicht-Senioren-Haushalte
Senioren-Haushalte
N
Quartiersladen
46,2 %
51,6 %
37,0 %
90
Erholungsstätte wie Außensitzplatz oder Grillplatz
40,0 %
50,8 %
21,9 %
78
Anbieter für die professionelle, pflegerische Versorgung
26,7 %
27,9 %
24,7 %
52
Begegnungsstätte wie ein Bürgertreff
23,6 %
23,0 %
24,7 %
46
Freizeitstätte wie ein Spielplatz
20,5 %
24,6 %
13,7 %
40
Gemeinschaftsaktivitäten
13,8 %
14,8 %
12,3 %
27
Sonstige soziale Treffpunkte wie ein mietbarer Raum für Festlichkeiten
1,5 %
1,6 %
1,4 %
3
Es zeigen sich altersspezifische Unterschiede in Bezug auf die Präferenzen für Gemeinschaftseinrichtungen: Jüngere Haushalte legen signifikant mehr Wert auf einen Quartiersladen als Seniorenhaushalte (Chi2-Test p ≤ 0,05). Auch signifikant höher ist der Wunsch jüngerer Haushalte nach Erholungsstätten (Chi2-Test p ≤ 0,001) und Freizeitstätten (nicht signifikant). Unerwartet interessieren sich auch jüngere Haushalte häufiger als Seniorenhaushalte für einen ambulanten Pflegedienstleister im Quartier.

14.4.2 Lokales soziales Kapital

Der Begriff soziales Kapital wurde 1961 in der stadtsoziologischen Studie von Jane Jacobs eingebracht, in der sie verschiedene Funktionen von Nachbarschaftsvierteln und den darin enthaltenen städtischen Anlagen untersuchte (Haug & Gerlitz, 2007, S. 190). Jacobs führt positive Aspekte des sozialen Kapitals vor allem auf die Stadtplanung, Straßenführung und Architektur in Wohngebieten zurück, die das Gemeinschaftsgefühl und die Entstehung von Beziehungsnetzen entscheidend beeinflussen können. Nach Schnur (2010, S. 110) können besonders in stark vom Alter geprägten Quartieren nachbarschaftsorientierte, intergenerationelle Beziehungen stabilisierend wirken.
Nach Schnur (2003, S. 73) wurde ein lokaler Sozialkapitalindex als additiver Index aus folgenden Variablen gebildet: zusammenlebend mit Ehepartner, Verwandtschaft in der Margaretenau, Zufriedenheitswerte mit Zusammenleben im Wohnblock, Kontaktintensität mit Nachbarschaft, Ehrenamtsquote (freiwillige ehrenamtliche Tätigkeit), Engagementbereitschaft für die Genossenschaft, geleistete und erhaltene Nachbarschaftshilfe. Aus den Angaben zu den genannten Fragen wurde ein Sozialkapitalindex berechnet, der zwischen 0,13 (sehr wenig Sozialkapital) bis 0,88 (sehr viel Sozialkapital) variiert. Die Quartiersbevölkerung weist mittleres bis höheres Sozialkapital auf. Für die Nicht-Senioren-Haushalte (n = 102) zeigt sich im Mittelwertevergleich ein minimal höherer Mittelwert von 0,54 des Sozialkapitalindexes mit einer Streuung von 0,19. Bei den Senioren-Haushalten (n = 59) liegt dieser bei 0,5 mit einer Standardabweichung von 0,17, jedoch ist dieser Unterschied nicht signifikant (t-Test p > 0,05). Der Median liegt bei einem Wert von 0,63, wobei dieser bei den Senioren-Haushalten niedriger als bei den jüngeren Haushalten ausfällt. Der Median des Sozialkapitalindexes ist von der Wohndauer unabhängig, jedoch weisen Haushalte mit einer Wohndauer von unter 19 Jahren teilweise sehr niedrige Werte auf. Ein Grund für diese Verteilung könnte sein, dass bei der Vergabe von Wohnungen Haushalte mit verwandtschaftlichen Beziehungen in der Genossenschaft bevorzugt werden.

14.5 Fazit

Die hohe Teilnahmequote bei der Befragung zeigt, dass die Bereitschaft der (älteren) Bewohnerschaft, aktiv bei der Planung der Gebäudesanierung und Quartiersentwicklung in der Genossenschaft Margaretenau mitzuwirken, sehr hoch ist. Die älteren Haushalte sind überwiegend sesshaft im Quartier. Das in der Literatur beschriebene Konzept ageing in place (Davey et al., 2004, S. 20) konnte bestätigt werden. Der Anteil der Sesshaften übersteigt erwartungsgemäß den der Veränderungsbereiten, wie auch bei Teti et al. (2014, S. 325). Dass Senioren-Haushalte in unserer Studie relativ wenig Interesse an barrierereduziertem Wohnen zeigen, müsste noch vertieft untersucht werden. Senioren-Haushalte, die einen Umzug in eine barrierearme Wohnung innerhalb der Genossenschaft in Erwägung ziehen, wünschen vor allem ein barrierefreies Bad, wohingegen Barrieren bei Türschwellen oder beim Hauseingang für jüngere Haushalte relevanter sind. Ein Aspekt ist auch, dass für Senioren-Haushalte im Vordergrund steht, die eigene Wohnung und direkte Nachbarschaft nicht zu verlassen und eine Sanierung in bewohntem Zustand zu realisieren. Es konnte belegt werden, dass die genossenschaftliche Wohnform relativ hohes lokales Sozialkapital erzeugt und so Isolation entgegenwirken kann. Der Bedarf für soziale Treffpunkte und einen Quartiersladen im Untersuchungsgebiet ebenso wie für einen Pflegedienst ist Basis für Empfehlungen an das Sanierungsmanagement.

Danksagung

Das Projekt „MAGGIE – Energetische Modernisierung des genossenschaftlichen Wohnquartiers Margaretenau in Regensburg“ wird gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Förderlinie „Solares Bauen“, Kennzeichen 03SBE0007). Das Sanierungsmanagement Margaretenau (SAMM), vertreten durch das Architekturbüro Luxgreen, wird finanziert durch die Stadt Regensburg und die KfW-Bank.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Ältere Menschen im Wohnquartier Margaretenau in Regensburg – aktuelle Situation und zukünftiger Bedarf
verfasst von
Sonja Haug
Miriam Vetter
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-34386-6_14