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Erschienen in: Innovative Verwaltung 10/2021

Free Access 01.10.2021 | Strategie

Agile Kompetenzen für die Digitalisierung der Verwaltung

verfasst von: Prof. Dr. Ines Mergel, Almire Brahimi, Stefanie Hecht

Erschienen in: Innovative Verwaltung | Ausgabe 10/2021

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Die Digitalisierung der OZG-Leistungen in den Digitallaboren zeigt einen Bedarf an neuen technologischen sowie überfachlichen Kompetenzen auf. Die Aneignung passiert vor allem in diesem Experimentierfeld. Der Beitrag identifiziert die notwendigen Digitalkompetenzen und macht Vorschläge zur Aufnahme in die Routinen der öffentlichen Verwaltung.
Die Digitalisierung der öffentlichen Dienstleistungen erfolgt in Deutschland in einem umfassenden Reformprozess: Um den Zugang zu Verwaltungsleistungen zu verbessern, hat sich die deutsche Verwaltung mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) dazu verpflichtet, bis Ende 2022 insgesamt 575 analoge Leistungen zu digitalisieren. Aufgrund ihrer thematischen Bandbreite sind die 575 Leistungen in 14 Themenfelder eingeteilt, die jeweils von einem Tandem, bestehend aus Bund und Land, gesteuert werden. Besonders wichtige Leistungen werden in 50 Digitalisierungslaboren in agiler, iterativer Vorgehensweise entwickelt. Durch die Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer wird sichergestellt, dass deren Bedürfnisse bei der Entwicklung immer mitgedacht werden (BMI, 2019). In den Digitallaboren werden diese neuen Arbeitsweisen erprobt, die später auch in die Routinen der öffentlichen Verwaltung übergehen könnten. Die Laborumgebung steht demnach in einem Spannungsverhältnis zur bestehenden Verwaltungsorganisation. Organisationsprinzipien der öffentlichen Verwaltung, wie das Hierarchieprinzip mit Ressorts, festen Zuständigkeiten und Spezialisten, treffen hier auf kross-funktionale Teams mit eigenständigen Entscheidungsfindungsprozessen. Es ist deshalb notwendig zu verstehen, welche Kompetenzen aufgebaut werden müssen, um ein agiles Mindset in der öffentlichen Verwaltung umzusetzen.

Kompetenzbegriffe

Verschiedene Kategorisierungen und Klassifizierungen unterscheiden zwischen digitaler Adaptivität, digitaler Gewandtheit und digitalen Kompetenzen. Digitale Adaptivität und digitale Gewandtheit fokussieren sich vor allem auf die Nutzung von Technologie. Digitale Kompetenzen dagegen umfassen lebenslanges Lernen und übergreifende Fähigkeiten wie beispielsweise Einstellungen und unternehmerische Kompetenzen.
Diese Kompetenzen werden derzeit vor allem in Experimentierräumen wie den Digitallaboren, Digitalen Service Teams oder im Rahmen von innovativen Fellowships wie Work4Germany oder Tech4Germany eingesetzt. Es stellt sich daher die Frage, welche Kompetenzen für die Anwendung der Methoden in diesen Experimentierräumen benötigt werden und wie zum Beispiel die neue Digitalakademie des Bundes auf diese veränderten Trainingsbedürfnisse eingehen kann, um die Kompetenzen in die öffentliche Verwaltung zu bringen.
Zu diesem Zweck haben die Autorinnen in einer qualitativen Studie Expertinnen- bzw. Experteninterviews mit 24 Beteiligten aus den OZG-Digitalisierungslaboren in 13 (von insgesamt 14) OZG-Themenfeldern durchgeführt und entlang des Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) Kompetenzen ermittelt.

Arbeitsweisen und Methoden in den Digitallaboren

Die Digitalisierungslabore nutzen eine agile und iterative Arbeitsweise, wobei die Teams möglichst interdisziplinär zusammengesetzt sind (BMI, 2019). Die im Kontext der Digitalisierungslabore durchgeführten Workshops wie zum Beispiel Design-Thinking-Workshops wurden professionell durch externe Dienstleister und Digitalisierungsberatungen strukturiert und moderiert. Neben den Dienstleistern, Digitalisierungsberaterinnen und -beratern werden zu den Workshops Teilnehmende der Fachseite, zum Beispiel auf Rechtsetzungs- und Vollzugsebene, eingeladen. In der Regel werden zunächst Nutzerinterviews mit den potenziellen Antragstellerinnen und Antragstellern sowie Unternehmen durchgeführt. Ein kontinuierliches Feedback der Nutzerinnen und Nutzer hilft dabei, die Anforderungen anzupassen. Gleichzeitig entsteht nach einer anfänglichen Hemmschwelle auch aufseiten der geladenen Nutzerinnen und Nutzer ein positiver Teilhabe-Effekt.
Im nächsten Schritt werden aus diesen Nutzerinterviews User Journeys generiert, die den Weg nachvollziehen, den die Nutzerinnen und Nutzer einer Dienstleistung gehen müssen, um beispielsweise einen Antrag erfolgreich einzureichen. In der User Journey wird die gesamte Nutzerreise entlang aller Touchpoints (Kontaktpunkte) mit einem Produkt oder einer Dienstleistung abgebildet. Hier werden Schmerzpunkte identifiziert, die in einem digitalen Prozess zukünftig vermieden werden sollten. Das Ziel ist es, einen nutzerfreundlichen Prozess zu gestalten, um in einem zweiten Schritt Klickprototypen abzuleiten, die durch Softwareentwicklerinnen beziehungsweise -entwickler umgesetzt werden.
Als Endprodukt entsteht ein Minimum Viable Product (MVP), eine Minimallösung, die den Wertvorstellungen der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen soll. Die Mehrheit der Interviewten ist mit diesen genannten Begrifflichkeiten, Methoden und Arbeitsweisen im Digitalisierungslabor zum ersten Mal in Berührung gekommen. Der Spagat zwischen gleichzeitigem Arbeiten und Lernen muss deshalb kontinuierlich austariert werden. Kreative und experimentelle Formate wie Design-Thinking-Workshops leben vom freien, divergierenden und konvergierenden Explorieren in zeitlich begrenzten Räumen. Diese Praxis trifft auf einen Arbeitsalltag in der öffentlichen Verwaltung, der durch klare hierarchische Beziehungen und Entscheidungsstrukturen sowie Silodenken geprägt ist. Die Interviewten schilderten, dass es anfänglich einigen Mitarbeitenden deshalb nicht leichtfiel, der Lust am Protokollieren und Formalisieren Einhalt zu gebieten. Die Arbeitsweise wurde aber auch als Chance beziehungsweise Anregung für einen Wandel der bisher erlernten Arbeitskultur aufgefasst. Es bleibt für die Interviewten unklar, wie die neuen Arbeitsweisen und Methoden auch an ihrem Dienstort zukünftig integriert werden können. In Abbildung 1 sind die beschriebenen Methoden exemplarisch zusammengefasst.

Kompetenzen für die Verwaltungsdigitalisierung

Für die Anwendung der aufgeführten Methoden zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sich die benötigten Kompetenzen für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nicht nur auf rein technologische Kompetenzen beziehen. Dabei wurden zwei Kompetenzgruppen identifiziert: (a) technologiebezogene Kompetenzen und (b) übergreifende Kompetenzen.
a) Technologiebezogene Kompetenzen
Auf der persönlichen Kompetenzebene kommt es vor allem auf die Annahme eines digitalen Mindsets an. Dies beschreibt eine Grundhaltung und Offenheit gegenüber Digitalisierung mit dem Verständnis, dass in der digitalen Ära alle Leistungen der öffentlichen Verwaltung vorranging digital angeboten werden müssen. Besonders Führungskräfte nehmen dabei die Rolle ein, das digitale Mindset in ihren Teams vorzuleben und den Raum dafür zu schaffen, dass es seitens der Mitarbeitenden mitgetragen wird.
Aus Sicht der Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter kommt es darauf an, eine gemeinsame Sprachkompetenz und Ausdrucksweise auszubilden. In multidisziplinär zusammengesetzten Teams, wie sie im Digitalisierungskontext häufig zu beobachten sind, kommt es darauf an, die unterschiedlichen Perspektiven kommunikativ zu berücksichtigen und ein sprachliches Einfühlungsvermögen und einfache Sprache anzuwenden. Dies zeigt sich etwa insbesondere dann, wenn sich Fachsprache und Beratersprache unterscheiden und Begriffe verwendet werden, die auf der jeweils anderen Seite nicht Teil des gängigen Sprachrepertoires sind.
Auf organisatorischer Ebene wird von den Projektleiterinnen und -leitern innerhalb der Verwaltung die Vermittlung zwischen Fachabteilung und IT-Stelle/technischem Dienstleister erwartet. Hierbei geht es darum, beide Sprachen zu sprechen, um auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Das trägt dazu bei, dass Potenziale und Herausforderungen frühzeitig in den Blick genommen werden können.
Auf fachlicher Kompetenzebene kommt allen Verwaltungsmitarbeitenden eine besondere Verantwortung zum Schutz der personenbezogenen Daten von Bürgerinnen und Bürgern und ihrem eigenen Arbeitsumfeld zu. Hier werden Wissen und Kompetenz benötigt, um IT-Sicherheit und -Risiko in digitalen Umgebungen einschätzen zu können. Auf fachlicher Ebene sind digitale Fertigkeiten wie beispielsweise die Bedienung von Standardsoftware und Videokonferenztools zur Zusammenarbeit bedarfsgerecht auszubilden. Dies ist entlang aller Ebenen relevant, um in den multidisziplinären Teams zielführend zusammenzuarbeiten und interagieren zu können. Die identifizierten technologiebezogenen Kompetenzen sind in Abbildung 2 zusammengefasst.
b) Übergreifende Kompetenzen
Übergreifende Kompetenzen sind für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung häufiger erforderlich als technologiebezogene Kompetenzen. Auf persönlicher Ebene sind Innovationskompetenzen wertvoll für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Verwaltungsmitarbeitende benötigen einen Gestaltungswillen in Bezug auf innovative Lösungen. Zudem erfordert die Digitalisierung ein interdisziplinäres Verständnis von Abläufen und Prozessen, das in der zunehmenden Vernetzung von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren begründet liegt. Damit verbunden ist die Fähigkeit, die Perspektive von Nutzerinnen und Nutzern einnehmen zu können. Dabei geht es nicht um die Programmierfähigkeiten, die bei den technologiebezogenen Kompetenzen angesiedelt sind, sondern um die Empathie und die übergreifende Fähigkeit, Nutzerbedürfnisse in die Gestaltung der Prozesse und Dienstleistungen einzubeziehen.
Auf fachlicher Seite braucht es darüber hinaus Kenntnisse über den rechtlichen Rahmen sowie den politisch-administrativen Kontext des jeweiligen Arbeitsfeldes. Um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mitgestalten zu können, müssen die Verwaltungsmitarbeitenden Veränderungsprozesse verstehen und auf ihren eigenen Kontext übertragen können (Transformationskompetenz). Dies wird vor allem dann deutlich, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Digitallaborumgebung wieder an ihren Dienstort zurückkehren, um von dort aus Veränderungsprozesse anzustoßen oder weiter zu begleiten (siehe Abbildung 3).
Zusammenfassend wurde herausgearbeitet, dass die Arbeitsweisen und Methoden der OZG-Digitalisierungslabore für die Teilnehmenden angewendet werden, um administrative Prozesse und Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung zu digitalisieren. Um eine produktive Teilhabe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Digitallaboren zu ermöglichen, mussten sich die Verwaltungsmitarbeitenden neue Kompetenzen in Form von Wissen und Fähigkeiten aneignen, die weit über Technologiekenntnisse hinausgehen.

Transfer in die Routinen der öffentlichen Verwaltung

Es bleibt zu diesem Zeitpunkt unklar, wie die in den OZG-Digitallaboren erlernten Fähigkeiten und Kompetenzen in die Routinen der öffentlichen Verwaltung integriert werden oder ob sie dem Experimentierlabor vorbehalten sind. Ein zurzeit erprobter Ansatz, neue Arbeitsweisen und damit Kompetenzen in die Verwaltung zu bringen, sind die Fellowships Work4Germany und Tech4Germany. Hier werden kurzfristig Fellows aus der freien Wirtschaft in die Verwaltung gebracht und gemeinsam mit den ministerialen Tandempartnern Projekte durchgeführt. Die Verwaltungsmitarbeitenden werden projektbezogen in ihrem eigenen Kontext durch die direkte Anwendung mit den neuen Arbeitsweisen vertraut gemacht und gleichzeitig geschult, sodass sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie auch zukünftig die Fähigkeiten in vergleichbaren Projekten anwenden.
Für die im Aufbau befindliche Digitalakademie der Bundesverwaltung lohnt sich zusätzlich ein Blick in das europäische Ausland: Digitalakademien definieren zuerst einen Grundstock an Digitalisierungskompetenzen, die dann wie zum Beispiel in Dänemark als verpflichtende Grundausbildung für alle Verwaltungsmitarbeitenden gelten. Hierbei geht es nicht um Spezialwissen, für das Aufgaben- und linienbezogene Kompetenzprofile notwendig sind, sondern um Grundlagenwissen, das alle Verwaltungsmitarbeitenden sich aneignen, um in einer digitalisierten öffentlichen Verwaltung arbeiten zu können. Es ist ihnen dann freigestellt, sich diese Fähigkeiten durch Inhouse-Schulungen oder über Anbieter auf dem freien Markt anzueignen.
Zusätzlich wandelt sich die verwaltungswissenschaftliche Ausbildung an Hochschulen und in Ausbildungsgängen: Digitales sollte hier grundlegend mitgedacht und nicht als Wahlfach oder in Form einer Spezialausbildung angeboten werden. Stattdessen sollte jedes Fach grundständig sowohl im Bereich der politik- als auch der verwaltungswissenschaftlichen Ausbildung Digitalisierungskompetenzen enthalten.

Literatur

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.) (2019): Leitfaden zum Digitalisierungsprogramm des IT-Planungsrates, Berlin.
Mergel, I. (2021): Digital Transformation of the German State, in: Public Administration in Germany, S. 331-355, Cham.
Schmeling, J., Bruns, L. (2020): Qualifica Digitalis Metastudie: Kompetenzen, Perspektiven und Lernmethoden im digitalisierten öffentlichen Sektor, qualifica-digitalis.de/wp- content/uploads/QD_Metastudie_20201005_barrierefrei_v5.pdf (Zugriff: 15.08.2021).
Finanziert durch den IT-Planungsrat im Rahmen der Begleitforschung für das Projekt Lernplattform für eGovernment (eGov-Campus) (2020-2021).

Kompakt

  • In den OZG-Digitallaboren werden die neuen Arbeitsweisen erprobt, die später auch in die Routinen der öffentlichen Verwaltung übergehen könnten.
  • Um die Kompetenzen für die Anwendung agiler Methoden zu ermitteln, wurden in einer qualitativen Studie Interviews mit 24 Beteiligten aus den OZG- Digitalisierungslaboren durchgeführt.
  • Für eine produktive Teilnahme an den Digitallaboren mussten sich die Verwaltungsmitarbeitenden neue Kompetenzen in Form von Wissen und Fähigkeiten aneignen, die weit über Technologiekenntnisse hinausgehen.

Handlungsempfehlungen

  • Identifizierung von digitalen Grundkompetenzen der öffentlichen Verwaltung als notwendige Voraussetzung für die Transformation der öffentlichen Verwaltung.
  • Fokus auf technologische Kompetenzen und vor allem auf überfachliche Digitalisierungskompetenzen.
  • Ausbau der Digitalakademie sowohl im Bereich der Grundkompetenzen als auch anwendungsbezogener Änderung der Verwaltungsroutinen.

Springer Professional

Digitalisierungslabor

Seckelmann, M., Brunzel, M. (2021): OZG -Notwendig, aber auch hinreichend?, in: innovative Verwaltung, 7-8, S. 20-22, www.​springerprofessi​onal.​de/​link/​19390386
Proll, E. (2021): Die Umsetzung des OZGs in Deutschland, in: Aktuelle Entwicklungen im E-Government, Wiesbaden, S. 29-52, www.​springerprofessi​onal.​de/​link/​19384262

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Metadaten
Titel
Agile Kompetenzen für die Digitalisierung der Verwaltung
verfasst von
Prof. Dr. Ines Mergel
Almire Brahimi
Stefanie Hecht
Publikationsdatum
01.10.2021
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Innovative Verwaltung / Ausgabe 10/2021
Print ISSN: 1618-9876
Elektronische ISSN: 2192-9068
DOI
https://doi.org/10.1007/s35114-021-0705-x

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