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22.10.2018 | Agile Methoden | Interview | Online-Artikel

"Statt Lastenheft und Meilensteinen braucht es neue agile Prozesse"

verfasst von: Michael Reichenbach

6:30 Min. Lesedauer

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Im Interview antworten die Bertrandt-Ingenieure Klaus Härtl und Rainer Schuler auf die Fragen der ATZ. Etwa, wie ein Know-how-Aufbau im Themenfeld Big Data sinnvoll geschehen kann und was ein Digital Twin macht.​​​​​​​

ATZ: Herr Härtl, Herr Schuler, mit den Themen Big Data, Cloud und Security kommen neue Themen auf die Ingenieure und Bertrandt zu. All das Wissen zur Datensicherheit eines Escrypt können Sie doch kaum selbst so schnell aufbauen, oder?

Härtl: Das brauchen wir auch nicht zwingend. Es ist eine Frage der Unternehmensstrategie und Unternehmensentwicklung. Wie und wo ergänze ich mich sinnvoll mit Kompetenzen? Was definiere ich als Kerneigenleistung? Wo baue ich mit eigenem Personal weiteres Know-how auf? Wo ergänzt man sich sinnvoller mit Partnerschaften? Natürlich soll hier im angemessenen Verhältnis eine komplementäre Ergänzung entstehen. Dann ist für beide Partner ein maximaler Nutzwert gegeben.

Schuler: Jedes Unternehmen muss seine angestrebten USPs und mögliche Geschäftsmodelle betrachten. Auch Bertrandt kann im Zuge der Komplexität und Dynamik nicht mehr alles aus eigener Kraft vollumfänglich stemmen. Beispiele aus dem Markt über technologische Ergänzungen gibt es mittlerweile genug. Über mögliche Kooperationen mit Start-ups, Joint Ventures oder Partnerschaften wie mit Microsoft oder diversen Fraunhofer- Instituten holen wir uns zusätzliches Wissen an Bord und kommen damit schneller ans Ziel. Aber auch die Entwickler sind gefordert: Sie arbeiten Lastenhefte nicht mehr nur strikt ab. Vielmehr sollen sie zusätzlich die aus den Big Data gewonnenen Informationen nutzen, um diese bei der Entwicklung einer Funktion oder Komponente einfließen zu lassen. Es können Erfahrungen von der Teststrecke, vom Prüfstand und Ergebnisse aus dem Feld einfließen integriert oder soweit möglich gegebenenfalls sogar mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus anderen Standorten und Fachbereichen fachlich ergänzt werden. Weiter können mit Mechanismen der Simulation und virtuellen Absicherung zum Beispiel Fahrerprobungen in Heiß- und Kaltländern sowie Dauerläufe verringert werden. Bei all dem müssen die Qualität und Sicherheit gewährleistet sein. Mit Data-Analytics nähern wir uns Herausforderungen und Ursachen, um mögliche Qualitätsprobleme rechtzeitig zu erkennen oder zu vermeiden.

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Welchen Nutzen ziehen Sie aus Ihrer Partnerschaft mit Microsoft genau?

Härtl: Es ist immer eine Frage des "Make or buy?". Wir leiten aus der Wahrnehmung des Kunden- und Marktumfelds unsere Handlungsnotwendigkeiten ab. Unter anderem, wie und in welcher Zeit welche Kompetenzen und Lösungen mit welchem Invest und mit Nachhaltigkeit aufgebaut werden können. Oftmals kann sich bei der Abwägung eine Partnerschaft wie mit Microsoft lohnen. Beide Parteien haben ihre ausgewiesene Leistungsexpertise, welche sich im beiderseitigen Zusammenspiel gut ergänzt. Beispielsweise können wir mit unserer "Automotive Analytics and Development Platform" gewonnene Fahrzeug- und Umfelddaten aufzeichnen und in der Microsoft Azure Cloud speichern sowie über bestehende MS-Werkzeuge auswerten und visualisieren. Unsere Kunden können diese professionelle Cloud-Lösung für sich nutzen, oder wir arbeiten gemeinsam auf dieser Cloud-Plattform. Bei unserem Showcase der Straßenklassifizierung werden zum Beispiel via Azure Stream Analytics von Microsoft Daten etwa zur Fahrbahnbeschaffenheit analysiert und aufbereitet. Damit können unter anderem präventive Vorhersagen für das autonome Fahren getroffen werden.

Das heißt, Microsoft nimmt Bertrandt die Arbeit weg? Warum wurde nicht der Nachbar IBM gewählt?

Härtl: Nein, Microsoft stellt seine professionelle und leistungsstarke Infrastruktur, und wir bilden darin die spezifische Kundenlösung maßgeschneidert ab. Als Dienstleister agieren wir offen und transparent und müssen flexibel auf die Wünsche unserer Kunden eingehen können. Wenn ein Kunde lieber mit beziehungsweise in der Cloud von IBM oder Amazon Web Services arbeitet, können wir hier genauso gute Lösungen erstellen. Das heißt für uns, wir brauchen möglichst modulare und skalierbare Lösungsangebote. Wir verschließen uns hier grundsätzlich keinem. Letztendlich muss sich eine Win-Win-Situation für alle direkt Beteiligten ergeben. Der Nutzen muss bei uns, dem Cloud- Provider und unserem Auftraggeber gegeben sein, damit sich ein erstrebenswertes Ergebnis für alle ergibt. Es muss einfach passen. Und es entstehen Baukasten-Lösungen wie unsere "BIC und BAC", die "Bertrandt Industrial Cloud" und die "Bertrandt Automotive Cloud". Mit diesen skalierbaren Modulen haben wir eine schnelle und profunde Schubladen-Lösung, schon bevor der Kunde mit einer möglichen Aufgabe an uns herantritt. Ziel ist es, etwa 60 bis 70 Prozent bereits parat zu haben. Der Rest bedeutet immer spezifische Anpassung, um eine maßgeschneiderte Lösung für den Kunden darzustellen.

Früher gab es Meilensteine, heute reden alle von agiler Entwicklung. Was sind die neuen Prozesse, was die Vorteile?

Härtl: Dafür muss man sich von den klassischen Entwicklungs- und Konstruktionsprozessen aus der Vergangenheit mit Lastenheften und Meilensteinen trennen. Man lebt agile Prozesse und agiert in anderen Rollen. Oftmals ist man mit einer agilen Entwicklung gar nicht mehr in der Lage, einen Funktionsumfang zum Meilensteintermin zu definieren oder abzugeben. Das ist der Freiheitsgrad, agil verschiedene Wege für eine Zielstellung beziehungsweise die beste Lösung gehen zu können. Statt Lastenheft schreibt man eine User Story, leitet entsprechende Sprints ab, welche am Ende in eine Schar an Funktionsumfängen verzweigen. Über eine Gewichtung per Story Points komme ich zu Lösungen. Die Honorierung durch den Kunden ändert sich somit entsprechend dem Komplexitätsgrad.

Schuler: Zuvor wurde zum Meilenstein oder am Ende des Projekts bezahlt. Wenn man nun aber agil und somit früher zu wichtigen Erkenntnissen und gleich nutzbaren Ergebnissen kommt, kann man auch eher vom Auftraggeber honoriert werden. Es gilt, die wachsende Komplexität bei Kunde und Entwicklungsdienstleister mit agilen Projektteams auf beiden Seiten zu beherrschen. 

Es wird immer wichtiger zu wissen, wie ein Produkt sich im Alltag verhält. Warum setzt Bertrandt hier Methoden wie den Digital Twin ein?

Schuler: Wir erzeugen den digitalen Zwilling, ein virtuelles Abbild des Produkts auf dem Rechner. Und hier ist nicht nur das CAD-Modell, die Geometrien, gemeint, sondern zum Beispiel auch alle Funktionen, Abläufe und Messstellen einer Anlage. Damit soll das Produkt optimiert und weiterentwickelt werden, indem Messdaten von der Anlage durch integrierte, smarte Sensoren gesammelt oder auch vom realen Produkt aus dem Feldeinsatz in den digitalen Zwilling transferiert werden. 

Härtl: Oft wird mit höheren Sicherheitsfaktoren bei der Auslegung gerechnet. Das Bauteil wird schwerer, teurer und zeitaufwendiger. Da wäre es doch zielführend, wenn man einen Überblick hätte, der zeigt, was das Produkt im realen Einsatz sieht. Jedes einzelne Produkt sollte ein Label, eine ID, erhalten, um seinen Life Cycle zu tracken und über diese Daten Anhaltspunkte für Schwachstellen oder die Ausfallwahrscheinlichkeit zu bekommen. Das geht in Richtung vorbeugende Instandhaltung. Ist ein Maschine 24/7 in Betrieb, ist das rechtzeitige Wissen essenziell, ob sich tendenzielle Betriebsdaten ändern oder sich Anzeichen auf einen Ausfall abzeichnen.

Schuler: Das wird auch bei großen und teuren Anlagen wichtig. Diese sind gegebenenfalls schon viele Jahre in Betrieb, werden noch weitere Jahre im Einsatz sein. Damit sie im Zeitalter von Industrie 4.0 dann den technischen Anforderungen genügen oder in einen neuen Maschinenverbund integriert werden können, muss man sie über mögliche Nachrüstungen und Updates, die wir heute im Detail noch gar nicht werten können, stetig auf den neueren Stand bringen oder halten. Nötige Weichenstellungen, zum Beispiel mit smarten Sensoren, sind zukunftsweisend und ermöglichen es, dass unter anderem heute bereits Bestehendes in Zukunft im IOT lebensfähig sein kann.

Liebe Herren Härtl und Schuler, ich danke für das Gespräch.

Mehr vom Interview können Sie in der ATZ 11/2018 lesen, die am 26. Oktober 2018 erscheinen wird.

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