In einer Studie gab die Mehrheit der befragten mittelständischen Unternehmen an, eine agile Strategie zu verfolgen. Wie können mittelständische Unternehmen von agilen Grundgedanken profitieren?
Unternehmen müssen Ziele treffen, die sich verändern. Kunden und Unternehmen erwarten mehr Flexibilität und eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit auf Veränderungen der Anforderungen und des Marktgeschehens. In einer Studie der IUBH Internationale Hochschule aus diesem Jahr gaben über 75 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen an, eine agile Strategie zu verfolgen.
Doch wie können mittelständische Unternehmen von agilen Grundgedanken in der Geschäftsstrategie und dem Projektmanagement profitieren? Vertrauen in die Mitarbeitenden, Verständnis für Fehler und die Bereitschaft zu gemeinsamen Lernen sind wichtiger als die agilen Methoden selbst.
Woher die agilen Methoden kommen
Im Jahr 2001 trafen sich 17 Softwareprogrammierer und entwickelten das "Manifesto for Agile Software Development", welches auf vier Werten beruht:
- Bei der Softwareentwicklung sollte der Fokus mehr auf den Individuen und deren Interaktionen liegen und weniger auf den Prozessen und Werkzeugen.
- Eine funktionierende Software ist wichtiger als deren Dokumentation.
- Das Zusammenarbeiten mit dem Kunden ist wichtiger als das Aushandeln von Verträgen.
- Reagieren auf veränderte Anforderungen ist wichtiger als das Erfüllen eines Plans.
Zu diesen Werten sollte das Management mittelständischer Unternehmen stehen, die agil arbeiten wollen. Daraus wurden zwölf Prinzipien abgeleitet, zum Beispiel:
- Höchste Priorität hat das frühe und kontinuierliche Ausliefern der Software an den Kunden.
- Anforderungsänderungen während der Umsetzung sind willkommen, um den Kunden zufrieden zu stellen.
- Teillieferungen sollten stets eine funktionierende Einheit darstellen.
- Enges Zusammenarbeiten und regelmäßiger Austausch von Entwicklern und Mitarbeitenden der Fachabteilungen.
- Teams sollten selbststeuernd und eigenständig arbeiten.
Das ist die Grundlage für agile Methoden. Jedes Unternehmen, das darin eine attraktive Zukunftsperspektive für sich erkennt, sollte sich mit agilen Instrumenten beschäftigen. Aus den Instrumente und Techniken entstanden mit der Zeit Prozesse und Aufgabenbeschreibungen. Sie bilden die agilen Methoden. Im Management von Projekten zeigen sie wesentlich bessere Werte gegenüber den klassischen Methoden in den Kategorien Ergebnisqualität, Time-to-Market und der Kundenzufriedenheit.
Vorteile agiler Methoden
Recherchen zu diesem Beitrag identifizierten 35 agile Methoden, sie unterstützen die Alltagsarbeit (14 Methoden), die Führung (2), das Projektmanagement (4), das Produktmanagement (7), Innovationen (6) und die Unternehmensorganisation (2). Es gibt also nicht "die" agile Methode, sondern Vorgehensweisen, die die jeweilige Arbeit unterstützen. Allen gemeinsam sind die agilen Werte, Prinzipien und das Ziel flexibler und schneller zu werden, vor allem, weil Entscheidungen im Team getroffen werden und aufwendige Kontrollmechanismen entfallen.
Ein weiterer Aspekt ist das geringere Risiko agilen Arbeitens in Projekten. Im sogenannten Wasserfallverfahren werden Bausteine erarbeitet, die erst am Ende zur Lösung zusammen gefügt werden. Projektlaufzeit und der Budgetverbrauch schreiten fort und erst kurz vor dem Ende wird die Gesamtlösung deutlich. Anders beim agilen Vorgehen, wo ein funktionsfähiges, sogenanntes Minimal Viable Product (MVP) definiert und dann mit einem Teil des Budgets in kurzer Zeit realisiert wird.
Agiles Handeln ist keine "Gesinnungsfrage", sondern betriebswirtschaftliches Kalkül. Kann ein bestimmtes Unternehmensziel besser mit agilen Methoden erreicht werden oder nicht? Agilität kostet Geld. Prozesse, Aufgabenbeschreibungen (Rollen), Führungskräfte und Mitarbeitende sind zu schulen. Das Projekt dauert länger, da zunächst methodisch und nicht inhaltlich gearbeitet wird. Agiles Arbeiten macht zunächst im günstigen Fall effektiver, da es die Ressourcen besser ausrichtet. Die Effizienz muss sich danach in der Skalierung des Einsatzes durch Kosteneinsparungen zeigen, entweder durch kürzere Projektlaufzeiten oder einem geringeren Steuerungs- und Kontrollaufwand. Ein Projekt agil zu machen und ansonsten nichts zu ändern bringt daher keinen Mehrwert.
Entscheidungskriterien für den Mittelstand
Wenn folgende Kriterien erfüllt sind, sollte sich ein mittelständisches Unternehmen intensiv mit agilen Methoden beschäftigen.
- Die "Stacey Matrix" ist ein Koordinatensystem, das Projekte nach der Sicherheit einordnet, mit der die Anforderungen an die Lösung beschrieben werden können und der Sicherheit mit der der Lösungsweg bekannt ist. Daraus ergibt sich ein Raum der von einfach über kompliziert, komplex bis chaotisch beschrieben wird und dann entweder mit klassischen oder agilen Methoden bearbeitet werden können.
- Das Unternehmen sollte serviceaffin sein. Das heißt, die Produkte sollten durch Services ergänzt werden, oder das Unternehmen ist ein Dienstleistungsunternehmen, das nur Services anbietet.
- Gut sind Erfahrungen in der Softwareentwicklung. Agile Methoden sind für die Softwareentwicklung gemacht und wenn ein Unternehmen in diesem Bereich bereits Erfahrungen hat, können diese leichter in anderen Geschäftseinheiten angewendet werden.
- Wenn die Erstellung der Kundenleistung eine intensive Zusammenarbeit mit Partnern und Zulieferern notwendig ist, empfehlen sich agile Verfahren, die tendenziell die Zusammenarbeit erleichtern und eine schnellere Lieferung der Gesamtleistung ermöglichen können.
- Automobilzulieferer entwickeln oft für definierte Plattformen der Hersteller in mehreren Entwicklungsstandorten. Lösungsweg und Kundenanforderungen sind klar definiert. Agile Methoden sind dort wenig geeignet, um wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten.
- In mittelständischen Unternehmen arbeiten meist eingespielte Expertenteams an Lösungen und die Verfügbarkeit der Mitarbeitenden ist begrenzt. Bei agiler Arbeitsweise mit interdisziplinären Teams würden Aufgaben unerledigt bleiben und die Experten müssten Kollegen im Team erst unterweisen, um ein Gespräch auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Welche erfolgreichen Beispiele gibt es?
Herausragende Mittelständler sind die PTV Group (Software Development), Takkt AG (Delivery) oder Trumpf (Manufacturing, Engineering). Wie erfolgreiche Transformation mit dem Einsatz agiler Methoden funktionieren kann, zeigt die Firma Viessmann: die Transformation startete 2015 auf Anregung des Seniorchefs. Der Markt hat sich durch Vernetzung verändert. Heizsysteme waren in ein Ecosystem eingebunden: Start-ups mit neuen Ideen kamen auf, Aggregatoren haben Heizsysteme, Energieunternehmen und Serviceanbieter integriert und neue Wettbewerber wie RWE und auch Telekommunikationsunternehmen drängten auf den Markt. Der Servicebereich wurde immer wichtiger und mit dem Einsatz von Sensoren in Heizungen und auch in beheizten Räumen und Gebäuden wurde die Heizanlage zu einem System im Verbund mit anderen. So wie sich die Heizsysteme vernetzten, musste sich das Unternehmen Viessmann vernetzen, um im Wettbewerb zu bestehen und schuf ein eigenes Unternehmen in Berlin. Ganz zentral war, die Mitarbeitenden mitzunehmen und zu ermutigen. Der Einsatz agiler Methoden in der digitalen Transformation ist immer auch ein Change- beziehungsweise Kulturthema. Es gilt die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden zu wecken. Diese müssen selber wollen und Ideen entwickeln. Selbst sanfter Druck von außen und die Aufforderung, nun doch im Team zusammen zu arbeiten, wirken kontraproduktiv.
Nicht jede Fragestellung ist geeignet
Agilität ist auch kein Grassroot Approach, sondern erfordert das Bekenntnis, den Rückhalt und die Förderung durch das Management. Die Bereitschaft bei der Zusammenarbeit aus Fehlern zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern sind wichtig. Das Unternehmen muss hinreichend groß sein, um die Investitionen später über das Skalieren der Leistung zu verdienen. Bei der Entscheidung agil zu arbeiten empfiehlt es sich, in ausgewählten Bereichen, wie der IT, der F&E Abteilung oder dem Produktmanagement zu starten.
Empfehlungen und Fazit
Agile Verfahren machen Sinn und bieten die Chance die eigene Organisation zu mobilisieren und besser auf den Markt und die Kunden auszurichten. Allerdings ist zunächst ein Businessziel zu formulieren und die oben genannten Kriterien zu beachten. Agilität ist ein methodisches Vorgehen, das die Ziele nachhaltig kostengünstiger und besser erreicht.
Agilität ist vor allem ein Kulturthema. Das Management muss die Mitarbeitenden ermutigen, unternehmerisch zu handeln und die intrinsische Motivation zu entdecken und auszuleben. Das ist die wichtigste Voraussetzung. Gerade der mittelständische Manager sollte die Ambidextrie beherrschen und in einer hybriden Vorgehensweise die Vorteile der klassischen Herangehensweise mit agilen Methoden kombinieren. Dann kann man die Reise über das Ziel, die geeignete Struktur, Prozesse und ein mitarbeiterzentriertes Führungsverständnis antreten, um eine agile Unternehmenskultur zu schaffen.