Panikverkäufe von Anlegern schaden nicht nur dem eigenen Finanzpolster, sondern dem gesamten Aktienmarkt, heißt es in einer aktuellen Studie. Doch wie lassen sich solche Entwicklungen verhindern? Durch den IKEA-Effekt, meinen Wirtschaftsforscher.
Dass Anleger Aktien während eines sogenannten Bärenmarktes, wenn die Kurse gerade eine Talsohle durchlaufen, nicht verkaufen sollten, gehört zu den gängigen Börsenweisheiten. Dennoch kommt es zu Krisenzeiten, wie etwa bei Ausbruch der Corona-Pandemie, zu Panikverkäufen, weil vor allem private Investoren finanzielle Verluste begrenzen wollen. Laut den Autoren der Studie "Nudging against panic selling: Making use of the IKEA effect" schadet diese Reaktion aber nicht nur dem Vermögen der Anleger, sondern dem gesamtem Aktienmarkt.
Anleger schaden sich mit irrationalen Verkäufen selbst
"Irrationale Verkäufe zu verhindern, ist in mehrfacher Hinsicht erstrebenswert. Für Aktienbesitzer sind sie meist mit Verlusten verbunden, weil der Verkaufserlös unter dem Kaufpreis liegt. Außerdem zeigen Studien, dass geschädigte Anleger vor einem neuerlichen Aktien-Investment ganz zurückschrecken oder nur noch geringere Summen einsetzen", meinen Marc Oliver Rieger, Experte für Behavioral Finance und Professor der Universität Trier, und seine Co-Autoren von der römischen Universität LUISS Guido Carli und der Commerzbank Luxemburg.
So beraubten sich Anleger gerade in Niedrigzinsphasen einer Strategie des Vermögensaufbaus sowie der Altersvorsorge. Dieses Verhalten schwäche zudem den Aktienhandel, weil die Gruppe der Geschädigten als Anleger verloren geht. Darüber hinaus beschleunigen gehäufte Panikverkäufe in Krisenzeiten die Abwärtsspirale der Kurse.
Strategie zur Vermeidung oder Minimierung von Panikverkäufen
Trotz dieser Auswirkungen habe es bislang lediglich Strategien gegeben, die die Verluste im Fall eines Börsencrashs reduzieren. Allerdings gab es keine Methoden zur Vermeidung oder Minimierung von Panikverkäufen. Die Wirtschaftswissenschaftler schlagen deshalb auf der Basis des sogenannten IKEA-Effekts ein Verfahren vor, das die Bereitschaft steigert, in Krisenzeiten an Aktienpaketen festzuhalten und Panikverkäufe zu reduzieren.
Der Wissenschaftler Michael Norton hat den sogenannten IKEA-Effekt geprägt. Dieser ist vergleichbar mit dem [...] Endowment-Effekt (zu deutsch 'Besitztumseffekt'), welcher besagt, dass Individuen dazu tendieren, ein Gut wertvoller einzuschätzen, wenn sie es besitzen. Beim IKEA-Effekt wird der Zuwachs an Wertschätzung für Produkte beobachtet, die von den Menschen selbst entworfen oder wenigstens selbst zusammengebaut werden, im Vergleich zu fertig gekauften Massenprodukten", beschreibt Vinzenz von Holle den psychologischen Impuls im Buch "Ökonomie 4.0" (Seite 168).
Michael Norton habe zeigen können, dass durch die in Eigenarbeit durchgeführte Zusammensetzung oder Montage von Massenartikeln quantitativ eine ähnlich hohe Wertschätzung erreicht wird wie durch Spezialisten individuell angefertigte Einzelartikel, so der Springer-Autor weiter.
Experiment bestätigt IKEA-Effekt im Umgang mit Aktien
Die Forscher fanden in einem Experiment mit 219 Teilnehmern diesen IKEA-Effekt im Umgang mit Aktien bestätigt. Anleger, die ihr Portfolio eigenverantwortlich zusammenstellen durften, waren widerstandsfähiger gegen Panikverkäufe und hielten bei einem simulierten Kurseinbruch häufiger daran fest.
Für die Untersuchung stellte sich die Hälfte der Teilnehmer selbst ein eigenes Aktienportfolio aus vier von acht Regionen weltweit für eine langfristige Investition zusammen. Den anderen Probanden stand nur ein von Finanzberatern konfiguriertes Portfolio zur Verfügung. Im nächsten Schritt wurden die Teilnehmer mit einem Börsencrash konfrontiert und ihr Verhalten unter Berücksichtigung weiterer Variablen wie Geschlecht, Börsenerfahrung oder Wirtschaftskenntnissen ausgewertet. Signifikante Unterschiede im Hinblick auf Panikverkäufe zeigten sich insbesondere zwischen den eigenverantwortlichen Portfolio-Gestaltern und den Teilnehmern, die sich auf Anlageberater verlassen mussten.
"Gewöhnlich wird dazu geraten, die Wahl eines Aktienportfolios einem Experten zu übertragen. Die Ergebnisse unseres Experiments zeigen aber, dass es sich lohnen kann, Geldanlagen selbst zusammenzustellen. Wichtig ist natürlich, wie man das macht: Alles Geld auf eine einzelne Aktie zu setzen, bleibt eine schlechte Idee, denn das ist einfach zu riskant", so der Finanzwirtschaftsexperte Rieger.
Drei Investitionsregeln für Privatanleger
Drei wichtige Regeln, die Anleger bei der Zusammenstellung eines Aktienportfolios berücksichtigen sollten, erklären Philipp Karl Maximilian Lindmayer und Hans-Ulrich Dietz im Buchkapitel "Langfristige Geldanlage: Aktien, Anleihen und weitere Anlagemöglichkeiten" (Seite 152):
- Investieren Sie langfristig! Häufig beeinflussen negative Unternehmensnachrichten einen Aktienkurs nur für kurze Zeit. Auch gesamtwirtschaftliche Krisen können über Monate oder Jahre überwunden werden. Halten Sie viele Ihrer Aktien möglichst über Jahre, investieren Sie mit einem Zeithorizont von Jahrzehnten. Zu empfehlen ist eine Anlage in eine große Anzahl an Aktien, mindestens 25 bis 30, und diese Aktien langfristig über viele Jahre zu halten und nur geringe Umschichtungen im Depot vorzunehmen.
- Investieren Sie gestreut, das heißt, in eine große Anzahl von Aktien, in verschiedene Branchen und in verschiedene Regionen.
- Investieren Sie eher in Unternehmen und Branchen, die Sie besser verstehen können.