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Erschienen in:

Open Access 13.11.2020 | Angewandte Geographie

Alternative Zuliefersysteme im Brauereisektor – Regionalmodelle des Braugerstenbezugs in Bayern

verfasst von: Philipp Maier, M.A., Dr. Oliver Klein, apl. Prof. Dr. Kim Philip Schumacher

Erschienen in: Standort | Ausgabe 1/2021

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Zusammenfassung

Seit Jahrzehnten wird Bier größtenteils in standardisierten Wertschöpfungsketten produziert, wobei die Kontexte der Rohstofferzeugung kaum mehr nachvollziehbar erscheinen. Speziell in Bayern gibt es allerdings noch eine Vielzahl kleinerer Privatbrauereien, die alternative Zuliefersysteme mit direktem Kontakt zu regionalen Braugerstenerzeugern aufrechterhalten haben. Der vorliegende Beitrag widmet sich 5 solcher Brauereien und analysiert die Funktionsweisen, Koordinationsmechanismen und Erfolgsfaktoren der jeweiligen Regionalmodelle, die vorrangig auf reflexiven Sichtweisen der Brauereiverantwortlichen beruhen. Weitere Erfolgsfaktoren sind Transparenz und Authentizität, aber auch die Existenz von regionalen Mälzereien, deren Verarbeitungsstrukturen zum Bedarf der Brauereien passen. Der Regionalbezug von Braugerste kann zudem als Mittel der Produktdifferenzierung in einem umkämpften Biermarkt dienen.

Einleitung

Bier ist in Deutschland mehr als ein Getränk. Es ist Genussmittel, Kulturgut und Exportschlager zugleich. Jedoch hat sich die Herstellung und Vermarktung von Bier im Zeitverlauf stark gewandelt und erfolgt heutzutage in komplexen multiskalaren Wertschöpfungsketten, die verschiedene räumliche Maßstabsebenen einschließen (Patterson und Hoalst-Pullen 2014). Der Brauereisektor wird nunmehr größtenteils durch multinationale Konzerne, wie z. B. Anheuser-Busch InBev (mit Hauptsitz in Brüssel), dominiert, die aufgrund ihrer begrenzten Binnenmärkte frühzeitig expandierten und weltweit Brauereien übernahmen. Der landwirtschaftliche Ursprung, der in solchen Strukturen erzeugten Biere, wird kaum mehr wahrgenommen. Seit einigen Jahren sind jedoch Entwicklungen zu beobachten, die den regionalen Kontext der Produktion wieder stärker in den Fokus rücken (Eberts 2014; Gatrell et al. 2018; Maye 2012) und engere, weniger anonyme Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten propagieren, wofür in der Literatur häufig der Begriff Alternative Food Networks (AFNs) verwendet wird (Goodmann et al. 2012). In diesem Kontext verweisen Kneafsey et al. (2013) auf die Bedeutung von Local Food Systems und Short Food Supply Chains für die Realisierung einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion. Wesentliches Merkmal eines solchen AFN-Verständnisses ist die Herausbildung personalisierter Beziehungen entlang der Wertschöpfungskette und die daraus (idealerweise) resultierende Stärkung sozioökonomischer Verbindungen (z. B. Netzwerke, Vertrauen) auf lokaler Ebene.
In Deutschland finden wir kleinräumige Netzwerke der Biererzeugung vorrangig in Bayern, wo zahlreiche kleine und mittlere Privatbrauereien erfolgreich am Markt agieren (Burkert und Chilla 2018; Ermann 2019). Diese haben z. T. spezifische Organisationsformen mit direktem Kontakt zur Landwirtschaft entwickelt, die wichtige Erfolgsfaktoren ihres Geschäftsmodells darstellen. Der vorliegende Beitrag widmet sich ebensolchen Regionalmodellen, die speziell auf die Beschaffung von Braugerste abzielen und als Alternative zu etablierten Organisationsformen ohne direkten Bezug zur Landwirtschaft zu sehen sind. Mit explorativem Blick zielt der Beitrag auf Funktionsweisen, Koordinationsmechanismen und Erfolgsfaktoren solcher Ansätze, um darauf basierend Anknüpfungspunkte für eine nachhaltige, regional eingebettete Bierproduktion zu identifizieren. Im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung stehen 5 Brauereien, die unterschiedliche Strategien der regionalen Braugerstenbeschaffung verfolgen und somit zur Aufrechterhaltung regionaler Wirtschaftskreisläufe beitragen.
Die Analyse der Praxisbeispiele basiert auf leitfadengestützten Experteninterviews mit den Geschäftsführern oder Braumeistern der jeweiligen Brauerei. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, transkribiert und unter Rückgriff auf die Fragenkategorien des Leitfadens thematisch kodiert. Die Auswertung und Interpretation des Materials folgte der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring (2016).

Strukturen der Brau- und Malzwirtschaft

Die Strukturen in der Brau- und Malzwirtschaft sind recht vielschichtig mit klarer Tendenz zur Auflösung kleinräumiger Produktions- und Handelsverflechtungen. Dem Bierbrauen sind der Braugerstenanbau und die Malzproduktion vorgelagert, die zumeist über Intermediäre (z. B. Landhandel, Großhandel) miteinander verbunden sind (Abb. 1). Teilweise wird die Braugerste auch von Erzeugergemeinschaften oder direkt von den Landwirten an die Mälzereien geliefert.
Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine Vielzahl an Braustätten mit jedoch recht niedrigen durchschnittlichen Produktionsvolumina. Demnach existieren 1539 Braustätten, davon allein 654 in Bayern (Statistisches Bundesamt 2019, S. 4–5). Dort werden mehr als 2,4 Mio. hl Bier in kleineren Brauereien mit maximal 100.000 hl Jahresausstoß erzeugt (Abb. 2). Damit steht Bayern für 63,5 % der deutschlandweiten Produktion von Brauereien dieser Größenordnung (Statistisches Bundesamt 2019, S. 5). Bei der Verteilung der Brauereien sticht innerhalb Bayerns das westliche Oberfranken rund um Bamberg hervor, wo weltweit die mit Abstand höchste Brauereidichte existiert. Diese starke regionale Konzentration resultiert u. a. aus historischen Besonderheiten, insbesondere bei der Erteilung von Braurechten (Ermann 2019).
Mit etwa 20 aktiven Mälzereien ist die bayerische Malzwirtschaft wesentlich stärker konzentriert als die Brauwirtschaft. Gleichzeitig weisen die Mälzereien sehr unterschiedliche Produktionskapazitäten auf (Bayerischer Mälzerbund, persönliche Mitteilung). Der mengenmäßig wichtigste Rohstoff für die Bierproduktion (nach Wasser) ist die Gerste, wobei vorwiegend 2‑zeilige Sommergerstensorten verwendet werden (Abb. 3). Bayern ist deutschlandweit das wichtigste Erzeugerland für Braugerste (mit Schwerpunkten in Oberfranken), doch ist die erzeugte Menge bei weitem nicht ausreichend, um den Bedarf der bayerischen Malz- und Brauwirtschaft zu decken (Herz 2017). Zudem ist seit einigen Jahren ein deutlicher Rückgang der Anbauflächen in Bayern (wie auch deutschlandweit) zu beobachten, sodass zahlreiche Brauereien auf Importware aus anderen EU-Staaten (z. B. Dänemark, Frankreich) zurückgreifen (Piller 2016). Auch ist Bayern im globalen Maßstab die bedeutendste Region für den Anbau von Hopfen als weiterem Rohstoff der Bierproduktion. Allein in der Hallertau wird rund ein Drittel des weltweit erzeugten Hopfens angebaut (LfL und GfH 2019). Der Hopfenanbau steht jedoch nicht im Fokus dieses Beitrags.

Regionalmodelle des Braugerstenbezugs

Organisation der Zuliefersysteme

Die Analyse von Regionalmodellen des Braugerstenbezugs erfolgt anhand von 5 bayerischen Brauereien, die an dieser Stelle als Best-Practice-Beispiele präsentiert werden (Abb. 4). Es handelt sich um kleinere, ausschließlich private Brauereien, die mit ihrer Art von regional ausgerichteten Zuliefersystemen auch im bayerischen Kontext Ausnahmen darstellen.
Brauerei 1 ist eine mittlere Brauerei, deren Zulieferbasis aus rund 80 Landwirten besteht. Diese liefern ihre Gerste an ein Lagerhaus, welches neben der Aufbereitung, Lagerung und Chargen-Trennung auch die Abwicklung der Kontrakte mit den Landwirten übernimmt. Die Brauerei wiederum schließt lediglich einen Vertrag mit dem Lagerhaus zur Regelung von Abnahmemengen und Rahmenparametern. Es werden Lohnmälzverfahren mit 2 Mälzereien genutzt, die jeweils eine separate Lagerung und Vermälzung der Ware gewährleisten. Das Sortiment der Brauerei enthält auch Bio-Biere, die u. a. in Zusammenhang mit einer Ökomodellregion vermarktet werden. Dafür kauft die Brauerei Braugerste bei 12 ökologisch wirtschaftenden Landwirten. Speziell für diesen Zweck wurde ein Lagerhaus zugepachtet, während eine 3. Mälzerei die Lohnvermälzung der hier wesentlich kleineren Chargen übernimmt.
Die mittlere Brauerei 2 bezieht ihr Malz von einer zugehörigen nahegelegenen Handelsmälzerei. Ein Teil der Erzeuger, die sich im Umkreis von etwa 50 km befinden, ist vertraglich an die Brauerei gebunden. Weitere Kanäle des Braugerstenbezugs sind Landwirte aus dem gleichen Regierungsbezirk, die ihre Ware direkt oder über den Landhandel an die Mälzerei liefern. Damit werden etwa 60 % des jährlichen Bedarfs an Braugerste über ein Regionalmodell beschafft. Die Mälzerei kauft über den Land- und Großhandel zusätzlich überregionale Gerste.
Brauerei 3 ist eine Kleinbrauerei, deren Zulieferbasis lediglich aus 5–7 Landwirten besteht. Diese liefern ihre Gerste an eine nahegelegene Mälzerei, wo die Ware über ein Lohnmälzverfahren verarbeitet wird. Die Brauerei wie auch die Erzeugerbetriebe und die Mälzerei befinden sich in der Gebietskulisse eines Biosphärenreservats. Das Sortiment beinhaltet auch Bio-Biere, wofür die Brauerei ihr Malz ebenso von der benachbarten Mälzerei bezieht. Diese beschafft vornehmlich regional und verpflichtet sich, die Chargen aus dem Biosphärenreservat separat zu verarbeiten. Auch im konventionellen Bereich kann die Brauerei über die Dachmarke des Biosphärenreservats auf regionale Ware zurückgreifen.
Brauerei 4 ist ebenfalls eine Kleinbrauerei, die ihre eigenen Flächen bereits seit langer Zeit an einen benachbarten Landwirt verpachtet, der darauf u. a. Braugerste anbaut. Diese wird direkt an ein nahegelegenes Lagerhaus geliefert und dort aufbereitet. Eine Mälzerei stellt daraus die wichtigste Malzsorte für die Brauerei her, wobei die Chargengrößen eine separate Handhabung dieser kleinen Gerstenmengen nicht zulassen. Allerdings können die Mengen durch Zusammenarbeit mit einer weiteren Brauerei und einem 2. Lagerhaus gebündelt werden. Somit kann die Brauerei ihren Malzbedarf zu knapp 70 % mit Rohstoffen aus der direkten Umgebung decken. Für Bio‑, Weizen- und Spezialmalze wird auf 2 weitere Mälzereien zurückgegriffen.
Bei der mittleren Brauerei 5 ist der Bezug regionaler Braugerste untrennbar mit der eigenen Mälzerei verbunden. Etwa zur Hälfte wird dort auch Malz für andere Brauereien in der Umgebung hergestellt. Die Erzeugerbetriebe befinden sich im Umkreis von ca. 20 km und liefern ihre Ware direkt an die Mälzerei. Die Brauerei deckt ihren Bedarf zu etwa 60 % über Vorverträge mit den Erzeugern, der Rest wird frei angeliefert. Dieses Modell ermöglicht den nahezu vollständigen Verzicht auf den Zwischenhandel, denn nur in Ausnahmefällen muss die Brauerei auf den Landhandel zurückgreifen. Neben 2 selbst produzierten Malzsorten benötigt die Brauerei noch Spezial- und Weizenmalze, die von 3 Mälzereien außerhalb der Region bezogen werden.

Koordination der Zulieferbeziehungen

Gemeinsam ist den 5 Brauereien, dass sie vertragliche Beziehungen zu losen Verbünden landwirtschaftlicher Betriebe unterhalten (Tab. 1). Während Brauerei 4 mündliche Vereinbarungen mit nur einem Landwirt trifft (Pächter der brauereieigenen Flächen), werden bei den anderen Beispielen schriftliche Verträge geschlossen. Die Vertragsverhandlungen werden allesamt jährlich geführt und finden im Zeitraum von Herbst bis Frühjahr vor Saatbeginn der Sommergerste statt.
Tab. 1
Vertragsgestaltung je Brauerei (Quelle: Eigene Darstellung)
 
Mengenregulierung
Preisgestaltung
Wesentliche Vertragsinhalte
Brauerei 1
200 % des jährlichen Bedarfs der Brauerei (= Risikopuffer bei Ernteschwankungen)
Ausgehandelter Fixpreis, über Marktpreis liegend, jährliche Prüfung
Mischkalkulation der Landwirte
Standard-Qualitätsparameter braufähiger Ware
Eine festgelegte Sorte
Brauerei 2
Ca. 60 % des jährlichen Bedarfs der Brauerei vertraglich fixiert
Bei Vertragsabschluss aktueller Marktpreis plus Regionalbonus
Kaum regelgeleitet, flexible Anpassung nach oben bei Schwankungen möglich
Standard-Qualitätsparameter braufähiger Ware
Sorten des „Berliner Programms“
Brauerei 3
Ca. 100 % des jährlichen Bedarfs der Brauerei
Jährlich im direkten Kontakt ausgehandelter individueller Preis
Qualitätsparameter inkl. Regelung von Zuschlägen und Abzügen
Festgelegte Sorten
Produktionstechnische Vereinbarungen (Fruchtfolge, Verzicht auf Wachstumsregler)
Brauerei 4
Möglichst 100 % des jährlichen Bedarfs der Brauerei
Jährlich neu verhandelter regional üblicher Preis plus Preisaufschlag
Standard-Qualitätsparameter braufähiger Ware
Eine festgelegte Sorte
Produktionstechnische Vereinbarungen
Brauerei 5
Ca. 60 % des jährlichen Bedarfs der Braumälzerei vertraglich fixiert
Vorvertrag mit nach oben und unten begrenztem Preiskorridor plus Regionalbonus
Qualitätsparameter mit geregelten Abzügen
Drei festgelegte Sorten
In allen Verträgen werden feste Mengen vereinbart, zu deren Abnahme sich die Brauereien verpflichten. Ihre Jahresbedarfe sind relativ konstant, sodass sich die Aufteilung der Kontraktmengen auf einzelne Erzeugerbetriebe zumeist mit den Jahren eingespielt hat. Die Brauereien orientieren sich unterschiedlich stark an den gängigen Marktpreisen und suchen einen „anständigen Preis, mit dem jeder Landwirt etwas verdient“ (Interview Brauerei 1).
Wir gehen von dem Preis aus, der bei uns momentan üblich ist und da zahlen wir auf den Preis nochmal [etwas] drauf. … damit er [der Landwirt] auch ein wenig Ansporn hat, dass er für uns was tut, weil wir eben diesem Thema, dass die Anbaufläche immer weniger wird, entgegenarbeiten wollen (Interview Brauerei 4).
Tendenziell zeigt sich bei den untersuchten Brauereien eine persönliche Handhabung der Preisgestaltung, die weniger regelgeleitet, sondern stärker individuell und ergebnisoffen ausfällt. Nach Aussagen der Interviewpartner ermöglichen langjährige Vertrauensbeziehungen – trotz des von allen Seiten verspürten Preisdrucks – eine Preisfindung auf Augenhöhe.
Also Sie sehen, das ist ein Vertrauensverhältnis und es ist eine enge Bindung und die muss man aber auch pflegen. Ich treffe mich mit denen [den Landwirten] jedes Jahr mindestens einmal …. Und ich finde, alle Brauereien können sowas machen (Interview Brauerei 2).
Die Inhalte der Verträge sind bei den 5 Brauereien relativ ähnlich. Auch produktionstechnische Vereinbarungen (z. B. Verzicht auf Wachstumsregler) können getroffen werden. Durch diese Form der Koordination erhalten sowohl die Landwirte als auch die Brauereien ein höheres Maß an Planungssicherheit.

Erfolgsfaktoren der Regionalmodelle

Die beschriebenen Regionalmodelle bieten zahlreiche Vorteile, wobei die Qualitätsgarantien aus Sicht der Brauereien am bedeutsamsten sind. Daneben wurden Rohstoffsicherheit, Marketingzwecke, ökologische Aspekte, regionale Wertschöpfung, Stärkung der Landwirtschaft und das Ausschalten von Zwischenhändlern am häufigsten genannt. Damit diese Vorteile zum Tragen kommen, sind einige Voraussetzungen notwendig. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor liegt demnach im authentischen Handeln der Brauereien, die in unterschiedlicher Intensität nach einem möglichst ganzheitlichen Ansatz streben.
Das könnte eine Antwort sein, warum es diese Brauerei noch gibt …, dass man wirklich authentisch ist und das auch wirklich jeden Tag so macht und auch nachvollziehbar so macht (Interview Brauerei 3).
Der Bezug von regionaler Braugerste stellt hier einen unter mehreren Bausteinen dar, die als Unterscheidungsmerkmal insbesondere gegenüber größeren Brauereien dienen. Dabei bietet der von allen Interviewpartnern wahrgenommene Trend zur Regionalität einen wesentlichen Anreiz zum aktiven Bemühen um Ganzheitlichkeit einschließlich des Engagements für ökologische Nachhaltigkeit.
Im Gegensatz dazu stellen vorhandene Lagerkapazitäten einen harten Erfolgsfaktor dar. Während z. B. Brauerei 5 von leichten Überkapazitäten bei den eigenen Malzsilos profitiert, kann Brauerei 1 auf 2 Lagerhäuser und entsprechende Kapazitäten bei den kooperierenden Mälzereien zurückgreifen. Demzufolge lässt sich die Passgenauigkeit von Organisationsmodellen als weiterer Erfolgsfaktor beschreiben, wonach ausgeglichene Größenzusammenhänge mit Blick auf Chargengrößen und Verarbeitungskapazitäten eine grundlegende Voraussetzung für die Umsetzbarkeit von Lohnmälzverfahren sind. Eine wichtige Rolle spielt hier die Fähigkeit, die (kleinen) Chargen separat zu verarbeiten, um eine Vermischung mit Rohstoffen überregionaler Herkunft zu vermeiden.
Schließlich ist auch die intensive, auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit einzelner Akteure ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die Lösung einer Lohnvermälzung durch eine eigentlich zu große, aber näher gelegene Mälzerei ist für Brauerei 4 nur aufgrund der Kooperation mit einer weiteren Brauerei möglich, die in derselben Region ein ähnliches Modell betreibt. Dadurch lassen sich die Chargen bündeln und effektiver verarbeiten. Ein anderes Beispiel ist die enge Zusammenarbeit von Brauerei 1 mit einem Lagerhaus, das in deren Modell nach Aussage des Interviewpartners eine Schlüsselrolle einnimmt. Zudem konnten in 2 Fällen allgemeine Bestrebungen hin zu einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung festgestellt werden. Während Brauerei 1 ihr Bio-Sortiment und das zugehörige Gerstenbezugsmodell in Kooperation mit der dortigen Ökomodellregion entwickelt hat, werden die Biere der Brauerei 3 mit dem Siegel der Dachmarke eines Biosphärenreservats beworben.

Perspektiven regionaler/alternativer Bierproduktion

Die Analysen zeigen, dass die betrachteten Regionalmodelle wesentlich auf reflexiven Sichtweisen der Brauereiverantwortlichen beruhen. Diese haben ein starkes Bewusstsein für den landwirtschaftlichen Ursprung der Biererzeugung entwickelt und wissen die oft langjährigen, vertrauensvollen Beziehungen zu regionalen Gerstenerzeugern trotz zusätzlicher Transaktionskosten zu schätzen. Dahinter steht das implizite Hinterfragen ökonomischer Effizienz als alleinigem Maßstab für erfolgreiches Wirtschaften. Vielmehr werden die positiven Effekte der Beschaffung regionaler Braugerste erkannt und gewürdigt. Dazu zählen die Erhaltung der verhältnismäßig kleinen bayerischen Erzeugerbetriebe und der damit verbundenen Kulturlandschaft ebenso wie die ökologischen Vorteile der Kultur Sommergerste (z. B. niedriger Düngebedarf, Bodengesundheit durch Fruchtfolgen). Die Brauereien vereinen also die Vorteile von Local Food Systems und Short Food Supply Chains als wesentliche Konzepte der AFN-Literatur und setzen – zumindest punktuell – auf assoziative Verknüpfungen zu konkreten Produktionsorten und deren lokaler Identität.
Aus einer solchen Blickrichtung verleiten die Ergebnisse zu optimistischen Schlussfolgerungen im Sinne einer nachhaltigen, regional eingebetteten Bierproduktion. Durch die besondere Ausgestaltung der Zuliefersysteme können zukunftsfähige alternative Netzwerke mit direkten ökologischen und sozialen Rückkopplungseffekten entstehen. Dafür ist es allerdings notwendig, diese Effekte diskursiv offenzulegen, was auch aus Marketingsicht interessant sein könnte. So ist anzunehmen, dass eine eigenständige (Klein‑)Brauerei, die ihr Bier mit nachweislich regionalen Rohstoffen produziert, aus Konsumentensicht besonders attraktiv erscheint. Die Inwertsetzung des Regionalen – hier insbesondere die positive Reputation Bayerns als Brauereistandort – kann daher eine vielversprechende Methode der Produktdifferenzierung sein.
Mit Blick auf die Übertragbarkeit der Regionalmodelle ist zu berücksichtigen, dass die Brauereien zwar Schlüsselakteure für Bestrebungen der (Re‑)Regionalisierung darstellen, die aber in der Regel auf die intermediären Stufen des Land‑/Großhandels und besonders der Malzwirtschaft angewiesen sind. Die Mälzereien als Flaschenhals müssen sich durch konstante Qualitäten auszeichnen, da sie ein austauschbares Massengut herstellen. Hier liegt vermutlich die größte Barriere für die Implementierung von regionalen Zuliefersystemen. Wo die entsprechenden strukturellen Voraussetzungen gegeben sind, sollten zukünftige Praxisprojekte auf einen schrittweisen Aufbau von Beziehungen sowie zielorientierte, aber ergebnisoffene Aushandlungsprozesse zwischen Brauereien und Gerstenerzeugern hinwirken. Weiterführende Untersuchungen sollten die Konsumentenseite in den Blick nehmen, um Hinweise auf das Vermarktungspotenzial entsprechender Biere zu erhalten.
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Literatur
Zurück zum Zitat Burkert M, Chilla T (2018) Neue Erkenntnisse aus der Bier-Geographie. Regionalökonomische Bedeutung der Herstellung von Bier in Ober- und Mittelfranken. In: Institut für Entwicklungsforschung im Ländlichen Raum Ober- und Mittelfrankens (Hrsg) 31. Heiligenstädter Gespräche, S 35–42 Burkert M, Chilla T (2018) Neue Erkenntnisse aus der Bier-Geographie. Regionalökonomische Bedeutung der Herstellung von Bier in Ober- und Mittelfranken. In: Institut für Entwicklungsforschung im Ländlichen Raum Ober- und Mittelfrankens (Hrsg) 31. Heiligenstädter Gespräche, S 35–42
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Zurück zum Zitat Patterson M, Hoalst-Pullen N (Hrsg) (2014) The geography of beer. Regions, environment, and societies. Springer Netherlands, Dordrecht Patterson M, Hoalst-Pullen N (Hrsg) (2014) The geography of beer. Regions, environment, and societies. Springer Netherlands, Dordrecht
Zurück zum Zitat Piller W (2016) Braugerste braucht die hohe Prämie. Bayer Landwirtsch Wochenbl 206:78 Piller W (2016) Braugerste braucht die hohe Prämie. Bayer Landwirtsch Wochenbl 206:78
Metadaten
Titel
Alternative Zuliefersysteme im Brauereisektor – Regionalmodelle des Braugerstenbezugs in Bayern
verfasst von
Philipp Maier, M.A.
Dr. Oliver Klein
apl. Prof. Dr. Kim Philip Schumacher
Publikationsdatum
13.11.2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Standort / Ausgabe 1/2021
Print ISSN: 0174-3635
Elektronische ISSN: 1432-220X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00548-020-00682-7