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2023 | Buch

Angewandte Filmtheorie

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Über dieses Buch

Welche Filmtheorie ist hilfreich, um eine Erkenntnisfrage zu klären? Wie wirkt sich die theoretische Perspektive auf die Filmanalyse aus? Diese Fragen bestimmen grundlegend jede Untersuchung. Um den besonderen Fokus einer Theorie offenzulegen, stellt dieses Lehrbuch einen Spielfilm ins Zentrum: Blow Up (GB, I, USA 1966) von Michelangelo Antonioni. Blow Up wird wechselweise beleuchtet aus dem Blickwinkel der Narratologie, Bildtheorie und Musiktheorie, der Stil- und Genretheorie, des Neoformalismus und der quantitativen Filmanalyse, der Psychoanalyse und Gender Studies, der Realismustheorie und des Poststrukturalismus, der Intermedialitätstheorie und der Medienkulturtheorie. Welche Konturen des Films treten im Schlaglicht einer Theorie hervor, welche werden durch sie verborgen? Wie können sich zwei Modelle ergänzen? Wo schließen sie einander aus? Die Beiträge führen in die zentralen Positionen und Kategorien jeder Theorie ein und wenden die Modelle unmittelbar auf den Film an. Um die Besonderheiten der Perspektiven herauszustellen, reflektieren die Autor*innen jeweils abschließend die Analogien, Differenzen und Synergien sowie die Vor- und Nachteile komplementärer Theorien.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Die wachsende Präsenz audiovisueller Medien in unserer Gesellschaft fordert zur Reflexion heraus. Dabei hilft der Werkzeugkasten filmanalytischer Begriffe, den uns die Filmwissenschaft bereitstellt. Doch kommen wir damit nicht weit. Es sei denn, wir verbinden die Filmanalyse mit einer theoretischen Perspektive.
Roman Mauer
Theorien und Methoden der (Film)Wissenschaft
Zusammenfassung
Was sind Theorien und Methoden? Wozu dienen sie der Filmwissenschaft? Wie hat sich das Verständnis von Theorien und ihres Geltungsanspruchs in den Wissenschaften verändert? Der erste Teil des Kapitels erklärt Funktion, Aufbau und Bedeutung von Theorien, ihr Verhältnis zur Erfahrungswirklichkeit, ihre Historisierung und Relativierung sowie die Auffächerung zum Theorienpluralismus, um ein Verständnis für die multiperspektivische Annäherung an den Film zu erzielen. Im Anschluss werden die Bedeutung, Vielfalt und die Interrelationen von Filmtheorien erläutert sowie historisierende Parameter in Vor- und Nachteilen vorgestellt: die geographische und nationale Verortung, die zeitliche Einteilung in Epochen und Zäsuren, die Gliederung nach Personen, schließlich die Verständigung nach (geisteswissenschaftlichen) Denktraditionen.
Roman Mauer
Kontext und Rezeption des Films Blow Up
Zusammenfassung
In dem Kapitel wird das zentrale filmische Beispiel dieses Lehrbuchs – Michelangelo Antonionis Blow Up (GB/I/USA 1966) – kontextualisiert, um eine Verständigungsgrundlage für die nachfolgenden Interpretationen zu schaffen. Die Bedingungen der Entstehung, die kunst-, kultur- und sozialhistorischen Einflüsse, aber auch die zeitgenössischen Reaktionen und Nachwirkungen stehen im Mittelpunkt. Auf diese Weise soll die Stellung des Films innerhalb der Kinolandschaft um 1966 und darüber hinaus deutlich werden.
Ann-Christin Eikenbusch
Theorien der Gestaltungsanalyse: Narration, Bild und Ton
Zusammenfassung
Erzählung, Bild und Ton als komplexes filmisches Gewebe sind der Gegenstand des Kapitels. Mit der Narratologie und Dramaturgie (Abschn. 1) werden die Bedingungen des audiovisuellen Erzählens geklärt: Strukturen der Handlung, Zeitgestaltung und perspektivischen Vermittlung stehen im Fokus. Die Besonderheit von  Blow Up (GB/I/USA 1966), die Erzählung zu destabilisieren und zu öffnen, wird als Ausdruck der filmischen Modernisierungsbewegungen der 1960er Jahre gesehen. Zugleich zeigt der Beitrag Anschlussstellen zu anderen Theorien in diesem Buch auf. In der Bildtheorie (Abschn. 2) wird das Spannungsfeld zwischen visueller und narrativer Ebene in den Blick genommen. Fungiert das filmische Bild als Vehikel der Erzählung oder emanzipiert es sich? Die bildhistorische Bedeutung von Blow Up im Diskurs zeitgenössischer Kunstentwicklungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stellt den kontextuellen Rahmen dar: die Relation zwischen Abstraktion und Figuration in der Malerei, die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des fotografischen Bildes und dessen Konkurrenz zu vorangegangenen Bildträgern sowie die Stellung des modernen Filmes im Gefüge der Künste. Im Bereich des Tons wird die Filmmusik untersucht (Abschn. 3). Die Analyse widmet sich der Verwendung intra- und extradiegetischer Musik als handlungsermächtigendes Element. Im Zentrum der Betrachtung steht das in Blow Up vermittelte, durch Michelangelo Antonioni selbst betonte ambivalente Verhältnis zum Einsatz von Musik.
Roman Mauer, Thomas Meder, Larson Powell
Stil- und Genretheorien
Zusammenfassung
Stiltheorie und Autorenpolitik (Abschn. 1) gehen davon aus, dass sich Kunstwerke aufgrund von wiedererkennbaren Merkmalen systematisieren und klassifizieren lassen. Rückschlüsse auf den Urheber oder die Urheberin postulieren ein reziprokes Verhältnis zwischen Biografie und Werk und betreiben damit Filmgeschichtsschreibung im Sinne der Autorentheorie. Antonionis Gesamtwerk und sein Individualstil werden hier auf Basis dieser theoretischen Konzepte und vor dem Hintergrund eines epochalen Wandels reflektiert und einer Stilanalyse unterzogen. Dem entgegengesetzt erklärt die Genretheorie (Abschn. 2) gestalterische Merkmale der Filmproduktion nicht über den Regiestil, sondern über die kollektive Kenntnis der jeweils genutzten erzählerischen Standards. Im Unterschied zu Kategorienbildungen, denen technisch-handwerkliche, zeitliche oder geographische Kriterien zugrunde liegen, orientieren sich Genres an an inhaltlichen Merkmalen oder Merkmalskomplexen, die in den Werken selbst lokalisiert werden. Die Untersuchung des Films klärt die Frage, ob sich Blow Up (GB/I/USA 1966) einem bestimmten Genre zuordnen lässt oder vielmehr unterschiedliche Genremuster verschmilzt.
Claudia Anton, Sebastian Lauritz
Theorien der neoformalistisch-kognitivistischen und der quantitativen Analyse
Zusammenfassung
Neoformalistisch-kognitivistische (Abschn. 1) und quantitative Ansätze der Filmanalyse (Abschn. 2) suchen nach einem Verständnis des Films jenseits psychoanalytischer oder hermeneutischer Zuschreibungen. Wie lässt sich die Gestaltung eines Films untersuchen, wenn wir davon ausgehen, dass Zuschauende den Film aktiv verarbeiten und dass der Film wiederum in dem Wissen um diese aktive Verarbeitung konzipiert wurde, also im permanenten Bemühen, die kognitiven Prozesse des Publikums mit den formalen Mitteln effektiv zu steuern? Antworten suchen die neoformalistische Filmtheorie und die daran anknüpfende kognitivistische Emotionsforschung. Um die unterschiedlichen Zielsetzungen von Filmen im Umgang mit den kognitiven Schemata der Zuschauenden dazustellen, wird Blow Up als ein dem Kunstkino (Art Cinema) zugehöriges Werk beschrieben und in Abgrenzung zu kanonisch erzählten Filmen diskutiert. Mit der genauen Untersuchung der filmischen Form, wie sie der Neoformalismus propagiert, korrespondiert die quantitative Filmanalyse, auch wenn sie nicht die kognitive Verarbeitung des Publikums einbezieht, sondern als Methode das Ziel verfolgt, belastbare und intersubjektiv gültige Informationen zur Schnittfrequenz, zum Bewegungsverhalten der Kamera oder zur Wahl von Einstellungsgrößen (u. a.) zu erheben. Werkzeuge der Digital Humanities – hier die softwarebasierte Auswertung von Kameradaten mithilfe der Programme Cinemetrics und Videana – erleichtern die Erhebung von Daten. Zur besseren Vergleichbarkeit wird hierbei nicht nur Blow Up, sondern das gesamte filmische Werk Antonionis zwischen 1950 und 1975 mit Blick auf die Kontinuitäten und Umbrüche untersucht.
Michael Brodski, Julian Sittel
Theorien der diskursiven Analyse
Zusammenfassung
Die Filmtheorie entlehnt Modelle aus den Gender Studies und aus der Psychoanalyse, um diskursive Bedeutungsebenen im Film herausarbeiten zu können. Psychoanalytisch orientierte Filmtheorie (Abschn. 1) zielt darauf ab, die Tiefensemantik des Filmes und seiner Figuren freizulegen. Sigmund Freuds topographisches Modell der Psyche, Jacques Lacans borromäischer Knoten um Imaginäres, Reales und Symbolisches sowie der Ödipuskomplex stellen dabei Kategorien der klassischen (erste Hälfte des 20. Jhd.) und der strukturalistischen Psychoanalyse (zweite Hälfte) dar. Mit ihnen wird der Entwicklungsprozess des Protagonisten in Blow Up (GB/I/USA 1966) analysiert. Dabei nehmen die Gender Studies (Abschn. 2) das konstruierte Verhältnis von Geschlechtern in den Blick und setzen den Fokus auf körperliche, soziale und kulturelle Dichotomien, Hierarchien und Stereotypen. Im Bereich der Filmwissenschaft sind es vor allem (audio)visuelle Repräsentationen und Konventionen – Körper- und sich daraus ableitende Rollenbilder –, welche im Zentrum der Forschung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stehen. Bei der Analyse von Blow Up im Kontext der feministischen Filmtheorie sind Blickstrukturen zentral sowie deren Implikationen für Fragen nach den Machtkonstellationen sowie Manifestationen von Begehren und Fetischismus.
Gregory Mohr, Oksana Bulgakowa
Theorien der Repräsentation
Zusammenfassung
Das Kapitel reflektiert das Potenzial des Films, die äußere Wirklichkeit wiederzugeben. Realismustheorien (Abschn. 1), die den Film seit seiner Entstehungszeit begleiten, suchen Antworten auf Fragen nach Wirklichkeitskonzepten und dem abbildenden Charakter des Mediums. Solche Theorien auf Blow Up   (GB/I/USA 1966) anzuwenden, bietet sich an, da der Film u. a. das fotografische Medium in seiner Funktion als Beweismittel explizit inszeniert und zugleich in Zweifel zieht. Poststrukturalistische Theorien (Abschn. 2) verstehen das Medium als ein immanentes System aus Zeichen, deren jeweilige Bedeutung nicht aus der Verbindung zur Wirklichkeit, sondern aus der Relation zu anderen Zeichen resultiert. Diese Verwebung von Sprache, Schrift und Bildern, mit denen Filme ihre narrativen Welten konstruieren, gilt es dabei, zu untersuchen und zu problematisieren. Der selbstreflexive und experimentelle Umgang mit der filmischen Form, wie ihn Blow Up praktiziert, also sein ostentatives Medienbewusstsein, zeigt, dass dieser Film gerade die Beziehungen unter den Zeichen sowie zwischen den Zeichen und der Wirklichkeit auflöst und infrage stellt. Untersucht wird dies im Rückgriff auf kanonische Positionen des französischen Poststrukturalismus (Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Michel Foucault) und der Postmoderne (Jean-François Lyotard).
Christoph Hesse, Oliver Fahle, Roman Mauer
Theorien der Intermedialität und Medienkultur
Zusammenfassung
Mit Theorien der Intermedialität (Abschn. 1) lassen sich Wechselwirkungen unterschiedlicher medialer Ausdrucksformen untersuchen. Als Adaption einer Kurzgeschichte weist Blow Up (GB/I/USA 1966) Relationen zur Literatur auf, thematisch beschäftigt sich der Film mit der Fotografie. Das Zusammenspiel der Medienformen im Film – sei es als Konfrontation, Korrelation oder Konvergenz – erzeugt ein Bezugs- und Bedeutungssystem und legt ästhetische Eigenheiten, Qualitäten und Grenzen offen. Die über solche Grenzlinien hinweg durchgeführte Adaption von Erzählungen sowie die Reflexion künstlerischer Konzeptionen der Modernität stehen im Zentrum der folgenden intermedialen Analyse des Films.
Theorien der Medienkultur sowie jüngere Poptheorien (Abschn. 2) enthierarchisieren das Verständnis medialer Ausdrucksformen, fragen nach ihrer Bedeutung und Wirkung, ihrer Performativität und Zeichenhaftigkeit und insbesondere nach dem implizierten Verhältnis von Macht und Widerstand, Utopie und Enttäuschung sowie Authentizität und Vermarktung. Als Kulmination dieser diskursiven Themen und Motive sticht die berühmte Szene mit dem Yardbirds-Konzert in Blow Up hervor. So lässt sich Antonionis Film als Ausdruck seiner Gegenwartskultur lesen, oszillierend zwischen Affirmation und Dekonstruktion.
Bernd Kiefer, Lucas Curstädt, Ivo Ritzer
Metadaten
Titel
Angewandte Filmtheorie
herausgegeben von
Oksana Bulgakowa
Roman Mauer
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-41089-6
Print ISBN
978-3-658-41088-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41089-6