Totgesagte leben länger: Galten Anleihen noch vor kurzem als renditeloses Risiko, erleben sie nun dank der Zinswende eine unerwartete Renaissance. Doch viele Vermögensverwalter bleiben vorsichtig. Andere hingegen halten die Zeit für reif, um wieder eine geeignete Anleihe-Allokation aufzubauen.
Die Zinsflaute der vergangenen Jahre hat viele Anleger vor große Probleme gestellt. Anleiherenditen waren vielfach so tief gefallen, dass die vermeintlichen sicheren Papiere zum Renditekiller wurden. Und damit nicht genug: Durch den enormen Anstieg der Kurse waren sie so teuer geworden, dass zu der negativen Realrendite noch erhebliche Risiken traten. Als Stabilitätsanker in diversifizierten Portfolios waren Anleihen damit kaum geeignet, wie das geflügelte Worte vom renditelosen Risiko zeigt.
US-Leitzinsen werden weiter steigen
Mit der Zinswende hat sich die Lage jedoch grundlegend verändert. Dank der entschiedenen Zinsschritte der US-Notenbank ist die Zinsflaute zumindest in Übersee vorbei. Die Europäische Zentralbank folgt den USA zwar mit erheblicher Verzögerung, doch Staatsanleiherenditen einzelner europäischer Länder sind bereits wieder deutlich gestiegen. Ist es also an der Zeit, die Portfolios neu auszurichten? Vermögensverwalter äußern sich zurückhaltend. So hält Jan Viebig, Chief Investment Officer der Privatbank Oddo BHF, den richtigen Zeitpunkt noch nicht für gekommen: "Wir werden das Kreditrisiko vermutlich erst Anfang 2023 erhöhen, da wir weiterhin von steigenden Zinsen und Risikoaufschlägen ausgehen."
Die jüngsten Aussagen aus Kreisen der US-Währungshüter bestätigen Viebig. So betonte der Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis, James Bullard, dieser Tage, dass die US-Leitzinsen mindestens auf 5,00 bis 5,25 Prozent steigen müssen, um die Inflation wirksam zu bekämpfen. Damit machte er Hoffnungen auf ein baldiges Ende der US-Zinsanhebungen einen Strich durch die Rechnung. Die Renditen am US-Staatsanleihemarkt zogen darauf spürbar an.
Uneinigkeit bei Unternehmensanleihen
Bei Unternehmensanleihen warnt Marcus Hüttinger, Marktstratege beim Vermögensverwalter GANÉ, vor steigenden Ausfallraten. "Kostensteigerungen, Margendruck und notwendige Anschlussfinanzierungen zu völlig veränderten Zinskonditionen fressen sich erst allmählich in die Unternehmensbilanzen." Gerade am Markt für die riskanteren Hochzinsanleihen könnten sich die derzeitige Ruhe damit als trügerisch erwiesen. "Eine Bereinigung der Unternehmenslandschaft, die geprägt ist von zahlreichen Zombie-Unternehmen, hat noch nicht stattgefunden", betont Hüttinger.
Nicht ganz so zurückhaltend ist Chris Iggo, Chief Investment Core Investments Officer bei Axa Investment Managers. Er stimmt den Bedenken seiner Kollegen zwar zu, setzt aber auf die Tendenz der Märkte, Entwicklungen vorwegzunehmen: "Viele sagen, dass die Inflation immer noch hoch ist, die Zentralbanken immer noch die Zinsen erhöhen und eine Rezession noch bevorsteht. Dem stimmen wir zu. Aber diese Dinge sind bekannt und eingepreist." Iggo hält daher den aktuellen Situation für geeignet, "wieder eine Anleihe-Allokation aufzubauen und und so einen besseren Einnahmestrom für Portfolios zu schaffen, als dies seit vielen Jahren der Fall war".
Gerade bei Unternehmensanleihen macht der Anlageexperte über alle Laufzeiten hinweg attraktive Kurse aus. "Sowohl das Renditeniveau als auch die Höhe der Credit-Spreads (Risikoprämie) sind auf dem höchsten Stand seit der globalen Finanzkrise", betont der Experte. Anlegern, denen derartige Papiere zu heiß sind und die lieber auf langlaufende Staatsanleihen solider Emittenten setzen, sollten dagegen abwarten und die Aussagen der Notenbanken sorgfältig beobachten. "Wenn wir wirklich kurz vor dem Zinshöchststand stehen, könnte das Schlimmste der negativen Renditen bei Vermögenswerten wie langlaufenden Staatsanleihen hinter uns liegen", prognostiziert Iggo. Investoren werden dann vielleicht nicht den attraktivsten, aber dafür den sichersten Einstiegspunkt erwischen.