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05.08.2024 | Antriebsstrang | Gastbeitrag | Online-Artikel

Das Antriebs-Dogma

verfasst von: Stefan Randak

7:30 Min. Lesedauer

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Fällt das Verbrenner-Aus? Neue Faktenlage und kritische Rahmenbedingungen. Ein Gastbeitrag von Stefan Randak, Partner und Direktor sowie Leiter der Solution Group Automotive & Mobility bei Atreus.

Die Karten werden neu gemischt. Den Aufschlag hierzu machte kürzlich die neue und alte Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen. Bereits bei ihrer Bewerbungsrede vor der Wahl kündigte sie an, eine "gezielte Änderung der Verordnung" bezüglich des Verbrenner-Aus zu verfolgen. Demnach sei eine Zulassung von sogenannten E-Fuels, die synthetisch hergestellt werden, erforderlich. Es sei ein "technologieneutraler Ansatz" nötig, so von der Leyen. Die Mauer der EU zum Verbrenner-Aus ab 2035 bröckelt also und die einstige "politische Anordnung von oben" beginnt sich der Realität anzugleichen. Wie ist die Faktenlage und welche aktuellen Rahmenbedingungen liegen vor? Und was sollte daraus geschlussfolgert werden? Der folgende Beitrag gibt einen Überblick und liefert Einordnungen.

Schon im Oktober 2022 hat sich die EU auf ein Verbrenner-Aus im Jahr 2035 geeinigt. Ab diesem Datum sollen Autos, die CO2 ausstoßen, keine Typzulassung mehr erhalten. Allerdings wurde auch eine Überprüfung des Beschlusses im Jahr 2026 festgelegt. Bei dieser Überprüfung könnte beschlossen werden, die Zulassungsfähigkeit von Neufahrzeugen nicht nur von den Emissionen beim Betrieb abhängig zu machen, sondern von der Gesamtbilanz des Fahrzeugs. Darüber hinaus ist als Ausnahme noch die Verwendung von E-Fuels im Gespräch.

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Der böse Verbrennungsmotor

Am 16. Januar 1919 wurde unter Präsident Woodrow Wilson der 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ratifiziert. In . Abschnitt 1.1 legte er fest: „Ein Jahr nach der Ratifizierung dieses Artikels sind Herstellung, Verkauf oder Transport berauschender Spirituosen zu Trinkzwecken sowie deren Ein- und Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten und deren Hoheitsgebiet verboten.“

Die EU und das Verbrenner-Aus

Von der Leyen hatte mit ihrem Green-Deal Programm (Klimaneutralität in der EU bis 2050) das Verbrenner-Aus wesentlich getrieben. Ihre Partei, die Teil der EVP-Fraktion ist, sieht das zwischenzeitlich anders: Die CDU, als wichtiges Mitglied der EVP-Fraktion, forderte bereits in ihrem Europa-Wahlprogramm explizit ein Abrücken vom Verbrenner-Verbot. Die "deutsche Spitzentechnologie des Verbrennermotors solle erhalten und technologieoffen weiterentwickelt werden, wobei synthetische Kraftstoffe (also E-Fuels) eine zentrale Rolle spielen sollen".

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hatte sich im Jahr 2022 vehement gegen ein Verbrenner-Verbot ausgesprochen. Zurzeit weist er Spekulationen über ein angeblich diskutiertes "Aus vom Aus" zurück. "Die aktuell kursierenden Berichte bringen einige Thematiken und Zuständigkeiten durcheinander und leiten daraus falsche Schlussfolgerungen ab", sagte ein Verbandssprecher noch im März dieses Jahres gegenüber der Automobilwoche. Es gehe nicht um die CO2-Flottenregulierung und nicht um die CO2-Grenzwerte von Neufahrzeugen, sondern um "eine freiwillige Methodik". Außerdem gehe es nur um die Position des Ausschusses, die Trilog-Verhandlungen mit dem Rat stünden noch aus.

Gesamt-Emissionen berücksichtigen

Gemeint ist der EU-Ausschuss für Umwelt und Transport. Dieser empfiehlt offenbar, auch die Emissionen bei der Produktion der Fahrzeuge zu berücksichtigen. Eine solche Gesamt-Ökobilanz wird von vielen Fachleuten empfohlen. Besonders bei der Herstellung der Batterien können große Mengen an CO2 entstehen, wenn für die Produktion überwiegend Kohle-Strom verwendet wird, wie in China oft der Fall, wo große Hersteller wie CATL oder BYD sitzen. Technologie-Offenheit und Wahlmöglichkeiten für Verbraucher sollen weiterhin sichergestellt werden. Schließlich müsse auch die Industrie weiterhin wählen können, in welche Mobilität der Zukunft sie investiert. Spätestens im Jahr 2026 soll die aktuelle Lage grundsätzlich nochmals auf EU-Ebene bewertet werden, heißt es jetzt aus Brüssel.

Es gibt aber auch noch einen Rechtsweg. Klagen der Mitgliedsländer können die Umsetzung des Verbrenner-Verbots verhindern. Polen kündigte eine solche bereits im Sommer 2023 an. Es bleibt offen, wie viele Mitgliedsländer sich einer solchen Klage, falls nötig, anschließend würden.

Autoindustrie bereits auf E-Mobilität umgeschwenkt

Die großen Automarken haben sich längstens auf die E-Mobilität eingestellt. Sie ist bereits Teil ihrer Zukunftsinvestitionen und eine Abkehr von ihr wäre fatal. Nur die Sichtweise bzw. Herangehensweise der einzelnen Marken ist teils beträchtlich unterschiedlich. Mercedes-Benz will jetzt nur noch dort vollelektrisch werden, wo es die Marktbedingungen zuließen. Entscheidend sei, dass die Menschen neue Technologien annähmen, erklärt der Konzern. Von der ausschließlichen Elektromobilität ist man offensichtlich abgerückt.

In Wolfsburg bei VW herrscht Ungemach: Die Transformation zur reinen Elektro-Marke läuft schleppend, die elektrischen ID-Modelle sind noch nicht annähernd so erfolgreich wie einst Golf und Co. Insofern wird auch hier umgedacht: Ganze 60 Milliarden Euro werden investiert, um Verbrenner-Autos in Zukunft wettbewerbsfähig zu halten. Diese gewaltige Summe ermöglicht den Wolfsburgern – zu denen auch die Marken Porsche, Lamborghini oder Bentley gehören – in Zukunft genug Flexibilität für die Herausforderungen am Markt.

BMW plant keinen festen Termin zum Verbrenner-Aus. Man wolle die etablierte Technik so lange anbieten, "wie es einen Markt dafür gibt". Frank Weber, Entwicklungsvorstand BMW, erklärte hierzu kürzlich in einem Interview mit der Presse: "Unser Ziel ist es, weiterhin die besten Motoren in jeder Kategorie anzubieten, und das erfordert kontinuierliche Investitionen, abgesehen davon, dass es in vielen Regionen der Welt auch nach 2035 noch Verbrennungsmotoren geben wird. Wir wollen nicht, dass unsere Autos mit Elektromotoren diejenigen mit moderner Antriebstechnik und die Verbrennungsmotoren die alten Motoren mit veralteter Technik sind."

Rahmenbedingungen

Die grundsätzliche Frage ist, ob – Stand heute – eine "All-in-Strategie" bei Elektroautos überhaupt gegeben ist. Das heißt: Gibt es genügend Ökostrom? Gibt es genügend nachhaltige Rohstoffe? Wie verhält es sich mit der Sicherheit der Lieferkette? Wie sieht es mit einer ausreichenden Ladeinfrastruktur für alle aus? Gibt es Recycling-Systeme für alle Materialien? Die Antwort auf all diese Fragen lautet heute leider "Nein".

Die Ökobilanz

Es ist mittlerweile unumstritten: Das Elektroauto startet mit einer schlechteren produktionsbedingten CO2-Bilanz, die es nur über die Nutzungsphase wieder "einfahren" kann. Dabei ist die Produktion der Batterie – laut einer Studie des VDI – mit 83 % der Hauptverursacher für die hohen CO2-Emissionen.  Bei der Produktion eines E-Autos wird natürlich auch Strom verbraucht. Dieser ist in Deutschland mit leicht über 50 % nur anteilig grün. Europaweit liegt der Anteil sogar nur bei über 40 %.  

Die Rohstoffe

Lithium und seltene Erden sind ein wichtiger Bestandteil für die E-Mobilität. Lithium für die Akkus und seltene Erden für die Micro-Chips. Beim Lithium-Abbau werden viele Chemikalien zum Lösen des Lithiums eingesetzt und es gelangen nicht brauchbare Schwermetalle in die Umwelt. Beides kontaminiert Grundwasser und gefährdet die Trinkwasser-Sicherheit. Die Auswirkungen von seltenen Erden auf Umwelt und Gesundheit ergeben sich durch ihr vergesellschaftetes Vorkommen mit radioaktivem Thorium und/oder Uran und dem hohen Trennungsaufwand (Energie- und Chemikalieneinsatz).

Die Lieferkette

Deutschland importiert die meisten Lithium-Ionen-Akkus aus China, Japan und Südkorea. Das chinesische Unternehmen CATL war 2023 mit einem Marktanteil von 34 % der führende Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien. Gefolgt von BYD mit 16 % (ebenfalls chinesisch). Weltweit wird das Angebot an Lithium derzeit von Australien, Chile und China dominiert, die zusammen 90 % des Rohstoffs in 2022 produzierten. China ist das Land mit dem höchsten Vorkommen an seltenen Erden. In China werden zum Beispiel 95 % des weltweiten Galliums hergestellt und 67 % des Germaniums.

Das Recycling

Zentraler Punkt ist das Recycling des Akkus. Im Visier stehen dabei Lithium, Mangan, Kobalt, Nickel und Grafit. Eine 50-kWh-Batterie enthält 6 Kilogramm (kg) Lithium, 10 kg Mangan, 11 kg Kobalt und 32 kg Nickel sowie zwischen 50 und 100 kg Grafit. Das Recyceln dieser wichtigen Rohstoffe ist derzeit noch sehr teuer. Bis 2030 sollen nach Berechnungen der Denkfabrik "Agora Energiewende" erst 10 % des Batterie-Rohstoffbedarfs durch Recycling gedeckt werden.

Die Ladeinfrastruktur

Laut einer Auswertung des VDA trifft in Deutschland auf 1.014 Bestandsfahrzeuge genau eine Ladesäule. Europaweit sind es weniger, derzeit 887 Fahrzeuge. Deutschland belegt dabei Rang 12 innerhalb des Rankings. Je mehr Ladepunkte es gibt, desto attraktiver ist es natürlich für den Verbraucher, auf Elektroantrieb umzusteigen. Bis 2030 soll es in Deutschland 1 Million öffentliche Ladepunkte geben, heute sind es nur 105.000.

Fazit zum Verbrenner-Verbot

Es spricht viel für die derzeit beschworene "Technologie-Offenheit". Wir leben in einer Zeit der Transformation. In dieser sind neben der Elektrifizierung nicht nur Wasserstoff und Bio-Kraftstoffe, sondern eben auch E-Fuels ein wichtiger Technologie-Baustein für eine klimaneutrale Mobilität der Zukunft. Derzeit sind weltweit ca. 1,3 Milliarden Verbrennerfahrzeuge zugelassen. Zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor ist die Nutzung von klimaneutralen Kraftstoffen für diese Bestandsflotte unabdingbar.

Noch ist der Wirkungsgrad von E-Fuels niedrig. Das liegt am Energieverlust bei der Umwandlung von elektrischem Strom in synthetischen Kraftstoff. Das heißt, es liegt ein hoher Bedarf an erneuerbarer Energie vor. Hier besteht aber sowieso ein allseits verstandener Handlungsbedarf. Wir leben aber auch in einer Zeit der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Diese sollten beachtet und nicht einem verordnetem und einseitigem "Antriebsdogma" untergeordnet werden.

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