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Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management 3/2021

Open Access 23.04.2021 | Schwerpunkt

Anwendung des Konzepts der „Customer Journey“ zur Gestaltung von bürgerzentrierten Bürgerhaushalten

verfasst von: Achim Reiz, M.Sc., Prof. Dr. Michael Fellmann, Prof. Dr. Peter Lorson, Dr. Ellen Haustein, Hans-Henning Schult, M.Sc.

Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management | Ausgabe 3/2021

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Bürgerhaushalte geben einen Teil des kommunalen Haushalts in die Verantwortung der Bürger. Diese können (je nach Ausprägung) Vorschläge einreichen, über die öffentlich abgestimmt wird. Diese direkte Partizipation erlaubt, öffentliche Mittel effizient und demokratiefördernd zu allokieren. Dazu ist ein Umdenken auf mehreren Ebenen nötig: Zum einen müssen Entscheidungsträger ihre Macht teilen. Zum anderen müssen Bürger zur Beteiligung motiviert werden. Im Hinblick auf die freiwillige Beteiligung können wir Parallelen zwischen der Bürgerbeteiligung und dem Kundenmanagement von Unternehmen ziehen.
Unternehmen betreiben bereits seit geraumer Zeit aktive Kommunikationskanäle, um von ihren Kunden direktes Feedback für die Produktentwicklung zu erhalten (bspw. über Design Thinking oder Open Innovation), um schnell auf etwaige Probleme reagieren zu können sowie letztendlich Kunden langfristig an das Produkt oder die Marke zu binden. Hierbei kommen auch sog. Customer Journeys zu Anwendung. Ein Konzept, welches sich auf Angebote der öffentlichen Hand übertragen lässt.
Im staatlichen Bereich rücken die Bürgerzentriertheit und partizipative Elemente vermehrt in den Fokus. Werden analog zur Kundenzentrierung im privaten Bereich „Bürger als Kunden“ angesehen, können deren Erfahrungen mit Politik und Verwaltung z. B. in ihrer Heimatgemeinde unter Rückgriff auf den methodischen Rahmen einer Customer Journey systematisch hinterfragt werden. Im Rahmen einer solchen Citizen Journey sind dann alle Prozesse und Kontaktpunkte der Einwohner mit Politik und Verwaltung auf kommunaler Ebene zu identifizieren und zu visualisieren, wobei auch emotionalen Reaktionen Beachtung zu schenken ist.
In diesem Beitrag stellen wir eine Customer Journey im Kontext eines beispielhaften Bürgerhaushaltsprozesses (englisch „Participatory Budgeting“ oder PB) dar. Für unsere fiktive Persona „Gabi Müller“, wohnhaft in Bützow (Mecklenburg-Vorpommern), gehen wir auf sämtliche Kontaktpunkte (online und offline) mit dem neu gestalteten Bürgerhaushalt ein – beginnend bei der Erstinformation der Verwaltung bis zur Umsetzung der gewählten Ideen. Dabei beleuchten wir sowohl objektive Handlungen als auch emotionale Reaktionen. Bei dem zu durchlaufenden Prozess handelt es sich um ein Bürgerbudget als eine der zahlreichen individuellen Ausprägungen eines Bürgerhaushalts. Die im Beitrag gezeigte Analyse von Bürgerhaushalten über eine Customer Journey ist auf andere Kommunen übertragbar und kann dazu beitragen, die Bürgerzentrierung der Verwaltung sowie letztlich die Zufriedenheit der Bürger mit ihrer Gemeinde zu erhöhen.

Der Kunde ist König

Die Wettbewerbslandschaft hat sich für viele Unternehmen durch die zunehmende Digitalisierung grundlegend und teilweise disruptiv verändert. Konkurrenz auf Offline- und Online-Kanälen erfordert eine Ausdifferenzierung des eigenen Angebots in Verbindung mit einer konsequenten Kundenorientierung. An die Stelle des Customer Relationship Management, also der aktiven Beeinflussung des Kunden und der Kundenbeziehungen durch ein Unternehmen, tritt nun eine Customer Managed Relationship, da der Kunde diese Beziehungen heute vermehrt selbst in die Hand nimmt. Diese Umkehr macht es unabdingbar, die eigene Zielgruppe aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und das Zustandekommen des Absatzaktes aus Kundenperspektive zu analysieren. Dabei gilt es, nicht nur die direkten Kontaktpunkte zwischen Kunde und Unternehmen zu betrachten, sondern auch jene mit etwaigen Händlern, Lieferanten etc. – seien sie on- oder offline – miteinzubeziehen [1].
Customer Journeys als Teil des Touchpoint Management sind ein etabliertes Mittel, diese Kontaktpunkte systematisch zu erfassen, um deren Auswirkungen auf Kunden zu hinterfragen. Sie erlauben die Identifikation der verschiedenen Kontaktpartner, die Erfassung der Interaktionen verschiedener Kunden miteinander und wirken der Gefahr entgegen, dass Unternehmen einzelne Teilschritte überbewerten, die aus der Gesamtbetrachtung der Kundenerfahrungsperspektive nicht essenziell sind [2].
Von zentraler Bedeutung im Touchpoint Management ist die Definition von Personas. Diese repräsentieren einen typischen Kunden und sind, im Gegensatz zur klassischen Kundengruppensegmentierung, als fiktive Person genau beschrieben hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Motive, Vorlieben und ihres Verhaltens. Personas erlauben, die Zielgruppe greifbar zu machen, um Aktivitäten wie Marketing, Entwicklung und Strategie hierauf auszurichten [2].

Der Kunde ist Bürger

Während Unternehmen sich in einem kompetitiven Markt behaupten müssen, gilt dies für die Erstellung und das Angebot öffentlicher Dienstleistungen von Gemeinden bestenfalls bedingt. Für die angebotenen Dienstleistungen, wie z. B. für das Ausstellen eines neuen Personalausweises, existiert aufgrund des staatlichen Monopols kein Alternativanbieter. Dennoch wurde in den 1990er-Jahren ein Bedarf an höherer Bürger- und Kundenfreundlichkeit sowie größerer Effektivität und Effizienz erkannt, welcher zur Einführung des neuen Steuerungsmodells (NSM) führte. Kernidee ist eine Output orientierte, kundenzentrierte Verwaltung mit unternehmensähnlichen Führungs- und Organisationsstrukturen [3].
Auch wenn die Implikationen des NSM auf die Organisationsstruktur und der Fokus auf betriebswirtschaftlichen Erfolgskriterien teilweise durchaus kritisch betrachtet werden [3], sind die Vorteile für den Bürger allgemein anerkannt [3, 4]. Die Idee, den Bürger nicht nur als (machtlosen) Nachfrager, sondern als Kunden, oder gar Co-Produzenten, einer (staatlichen) Dienstleistung zu sehen, erlaubt eine ganzheitliche Betrachtung und lenkt den Blick auf die Qualität des Angebots- und Erstellungsprozesses von staatlichen Dienstleistungen sowie deren Nutzungs- und Mitwirkungserlebnis. Die erlebte Qualität kann zur Zufriedenheit der Bürger bspw. mit ihrer Gemeinde bzw. mit Politik und Verwaltung beitragen sowie aus Gemeindesicht Verbesserungspotenziale aufzeigen. Dies gilt auch für Programme einer partizipativen Demokratie, wie einen Bürgerhaushalt.
Zur Realisierung von Bürgerhaushalten reichen politischer Wille und die Unterstützung der Verwaltung nicht aus. Vielmehr kommt es vor allem darauf an, dass sich Bürger aktiv beteiligen und die aktiven Bürger einen repräsentativen Durchschnitt aller Bürgergruppen bilden. Mithin gilt es nicht nur, auf die Bereitschaft einer sehr aktiven Minderheit, die sich praktisch von selbst an solchen Projekten beteiligt, zu setzen, sondern möglichst alle Bürger zum Mitmachen zu bewegen. Ein proaktives Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, kann die auf den Anwendungsbereich adaptierte Customer (hier Citizen) Journey bilden. Dabei wird der Prozess der Beteiligung an einem Bürgerhaushalt aus der Perspektive von (fiktiven) Personas mit dem Ziel des antizipativen Touchpoint Management durchlaufen.
Die Methoden des Customer Experience Management lassen sich auf die Angebote der öffentlichen Hand übertragen.

Bürgerhaushalte

Bürgerhaushalte sind international weitverbreitet und unter dem Begriff „Participatory Budgeting“ bekannt. Ausgehend von Brasilien (Porto Alegre, Ende der 1980er-Jahre) und Neuseeland (Christchurch, Anfang der 1990er-Jahre) haben Bürgerhaushalte weltweite Verbreitung und auch Anwendung in deutschen Städten und Kommunen gefunden. Im Anwendungsbereich von Bürgerhaushalten wird das traditionelle Modell „Verwaltung plant, Politik entscheidet“ durchbrochen, indem Bürger bzw. Einwohner an der Planung der Einnahmen und Ausgaben aktiv mitwirken dürfen. Kennzeichnend sind eine Informationsphase (Wer darf wann, wie, in welchen Bereichen des Haushalts mitwirken?), eine Beteiligungsphase (Bürger machen Vorschläge, diskutieren diese und stimmen hierüber ab) sowie eine Rechenschaftsphase (betreffend eingereichter Ideen, Abstimmungsergebnisse, umzusetzender bzw. umgesetzter Vorschläge etc.). Ungeachtet dessen sollen Bürger mobilisiert werden, ihre Expertise zu nutzen, ihr Interesse an Haushaltsbelangen zu wecken, einen Dialog zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung zu initiieren und einer Politikverdrossenheit entgegenzuwirken [5].
Weltweit können sich die Bürgerhaushaltsverfahren in Bezug auf die spezifischen Zielsetzungen (Basisdemokratie, Verbesserung von Lebensbedingungen sowie öffentlichen Dienstleistungen, Modernisierung der Verwaltung usw.) und Verfahrensalternativen (Bürger entscheiden, wie in Porto Alegre, oder beraten, wie in Christchurch usw.) sehr stark unterscheiden. Verfassungsbedingt sind Bürgerhaushaltsverfahren in Deutschland grundsätzlich konsultativ (wie in Christchurch), weil das Budgetrecht bei Parlamenten bzw. Gemeinderäten liegt. Daher ist ein Haushalt ohne Zustimmung dieses Gremiums nicht verfassungsgemäß. Einen Ausweg bietet eine Ausgestaltung als Bürgerbudget, über dessen Verwendung die Bürger, vorbehaltlich der finanziellen, rechtlichen und technischen Machbarkeit der Projekte, ohne Zustimmung von Politik und Verwaltung entscheiden dürfen. Bürgerbudgets finden in Deutschland zunehmend Anwendung [5]. Dies gilt auch für unsere Beispielkommune Bützow in Mecklenburg-Vorpommern, in der 2020 ein Bürgerhaushalt erstmalig eingeführt wurde.

EmPaci Projekt (www.empaci.eu)

Bützow ist die deutsche Partnerkommune des EU-finanzierten Projektes „Empowering Participatory Budgeting in the Baltic Sea Region“ (kurz EmPaci), dessen Lead Partner die Universität Rostock ist. Ziel des EmPaci-Projektes ist die gemeinsame modellhafte Einführung von Bürgerhaushalten in ausgewählten Gemeinden und Ländern (Deutschland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Russland), um deren Verbreitung im Ostseeraum durch Senkung von Implementierungshürden zu fördern. Das länderübergreifende Konsortium, bestehend aus Kommunen, Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen, erlaubt voneinander zu lernen, etwaige Probleme zu diskutieren, Lösungen aufzuzeigen und zu dokumentieren.
Die Dokumentation besteht aus gebrauchsfertigen Materialien, z. B. Schulungs- und Trainingsmaterial oder IT-Referenzarchitekturen und richtet sich dabei in erster Linie an Verwaltungen und Kommunen im baltischen Raum, die selbst planen, einen Bürgerhaushaltsprozess aufzusetzen oder ihren bereits bestehenden zu verbessern. Indes haben die erstellten Materialien auch Relevanz über den baltischen Raum hinaus. Dies gilt auch für die nachfolgende Customer (Citizen) Journey, die Gegenstand eines Projekttreffens war.
Kommunen möchten die Bürger vermehrt aktiv in Entscheidungsprozesse einbinden.

Customer Journey

Persona

Gabi Müller ist 27 Jahre alt und wohnhaft in Bützow, zusammen mit ihrem 10 Monate alten Sohn Sebastian und ihrem Ehemann Dominik. Sie lebt seit 6 Jahren im Ortsteil Wolken in einem Eigenheim und ist begeisterte Kanutin. In diesem Zusammenhang engagiert sie sich im Kanuclub Bützow in der Jugendabteilung als Trainerin. Sie arbeitet als Teilzeitkraft in einem örtlichen Supermarkt. Sie geht regelmäßig zur Wahl, darüber hinaus ist sie nicht politisch aktiv. Ihre Interaktionen mit der Stadtverwaltung beschränkten sich bisher auf organisatorische Fragestellungen und Genehmigungen beim Hausbau sowie auf Behördengänge bei der Geburt ihres Sohnes (Abb. 1).

Gabi Müllers Reise durch den Bürgerhaushalt

Im Folgenden stellen wir Gabis Reise durch den Bürgerhaushalt vor. Dabei interessieren wir uns vor allem dafür, wie wir Bürger für die Teilnahme an einem Bürgerhaushalt begeistern können, welche Marketingaktivitäten zum Erfolg führen und welchen Einfluss das Zusammenspiel zwischen Online- und Offline-Aktivitäten auf die emotionale Stimmung unserer Persona gegenüber der Teilnahme am Bürgerhaushalt hat.

Der erste Kontakt

Auf kommunaler Ebene wurde die Einführung des Bürgerhaushalts beschlossen. Insgesamt stehen 5% des städtischen Doppelhaushalts zur Verfügung. Das Gesamtbudget von 100.000€ ist zu verteilen auf Einzelprojekte, deren Realisierung maximal 10.000€ kosten darf1. Gabi erhält einen ersten, farbig gestalteten Brief der Verwaltung über den neu eingeführten Bürgerhaushalt. Dieser enthält Informationen über die Teilnahmemöglichkeiten und politischen Ziele. Da sich ihre Interaktionen mit der Verwaltung bisher auf organisatorische Angelegenheiten beschränkten und der Brief nicht den Anschein einer Rechnung macht, hält sie ihn zunächst jedoch für klassische Werbung und schenkt ihm keinerlei weitere Beachtung. Tage vergehen, in dem der Bürgerhaushalt verwaltungsseitig anläuft, ohne dass Gabi Müller davon weiß.
Zwei Wochen später finden in Bützow die Gänsemarkttage, ein jährliches Volksfest, statt. Gabi schlendert mit ihrer Familie durch die vollen Straßen und Gassen. Ihr fällt der Stand des Pferdemarktquartiers e. V. auf, einem örtlichen Kunst- und Kulturverein, an dessen Veranstaltungen sie in der Vergangenheit bereits teilgenommen hat. Das Pferdemarktquartier wirbt vor Ort für den Bürgerhaushalt. Gabi kommt mit den Ehrenamtlichen ins Gespräch. Sie erfährt dort die Funktionsweise des Bürgerhaushalts, ihre Beteiligungsmöglichkeiten und auch, welche ersten Vorschläge bereits eingereicht wurden. Mit Beendigung des Gesprächs erhält sie einen Flyer mit weiteren Informationen und der Internetpräsenz des Bürgerhaushalts.
Das Gespräch hat ihr Interesse geweckt. Zu Hause angekommen, besucht sie die angegebene Internetseite mit ihrem Smartphone. Sie scrollt durch die Liste der bereits abgegebenen Vorschläge. Sie ist überrascht, dass sich viele der Verbesserungen auf Orte beziehen, die sie selbst kennt, und fühlt sich mit diesen Vorschlägen verbunden. Manche findet sie richtig gut.
Handlungsempfehlung
Auch ein gut gestalteter Internetauftritt braucht zunächst Aufmerksamkeit und ein einzelner Brief garantiert keine hohe Conversion-Rate hin zu einer aktiven Partizipation am Bürgerbudget. Wichtig ist die Präsenz der Verwaltung auf verschiedenen Kanälen, sowohl on- als auch offline.

Gabi Müller beteiligt sich

Der erste, und vielleicht wichtigste Schritt ist: In unserer Persona besteht nun ein Bewusstsein für die Bürgerhaushaltsinitiative. Angetan und inspiriert von den bereits eingereichten Vorschlägen, beschließt Gabi nun, auch selbst eine Idee einzureichen. Vor ihrer Tür befindet sich eine größere öffentliche Grünfläche. Für ihren Sohn Sebastian schlägt sie daher einen Spielplatz vor. Die Registrierung für das Portal und das Formular für Einreichungen bereiten ihr keinerlei Schwierigkeiten. Direkt nach dem Absenden des Formulars erhält sie eine E‑Mail der Verwaltung über die nächsten Schritte. Sie freut sich, dass die Freischaltung ihres Vorschlags bereits am nächsten Tag abgeschlossen ist und nutzt die „teilen“-Funktion der Website. Sie bittet in den sozialen Medien um Beteiligung und Abstimmung. In der Folge besucht sie täglich, verbunden mit ein bisschen Stolz, wiederholt den Link zu ihrer Einreichung.
Zwei Wochen später endet die Einreichungsphase. In einem weiteren Brief erhält Gabi die Wahlunterlagen. Diese erklären den weiteren Prozess und enthalten eine Broschüre mit den zur Wahl stehenden Vorschlägen sowie einen alphanumerischen Code, welcher eine geheime und sichere Wahl ermöglicht. Erneut bewirbt sie im Bekanntenkreis ihren Vorschlag. Auch berichtet sie ihren wenig technikaffinen Eltern von ihrer Einreichung und bittet diese, offline im Rathaus „für sie und ihren Enkel“ zu stimmen.
Handlungsempfehlung
Engagierte Bürger und Bürgerinnen können als Micro-Influencer den Erfolg von Bürgerhaushalten maßgeblich mit beeinflussen. Wichtig ist jedoch, die Hürde für die virale Verbreitung niederschwellig anzusetzen – z. B. durch einen konsequenten Mobile-First-Ansatz sowie eine Integration der sozialen Netzwerke.

Die Abstimmung

Die Einreichungsphase ist abgeschlossen. Die Bürger werden nun eingeladen, mit insgesamt drei Stimmen die besten Vorschläge zu wählen. Gabi blättert durch die Broschüre mit den zur Wahl stehenden Vorschlägen und findet dort mit Stolz auch ihren eigenen Vorschlag. Sie entscheidet sich, nicht nur ihren Vorschlag zu unterstützen, sondern stimmt auch noch für zwei weitere Projekte. Gabi besucht anschließend den bereits bekannten Internetauftritt und loggt sich dort mit dem Mobiltelefon und den in dem Brief befindlichen Zugangsdaten ein. Nach der Abstimmung ist sie überrascht, wie einfach das war.
Zwei Wochen später erhält Gabi das Ergebnis per Mail. Ihr eigener Vorschlag hat es leider nicht auf die Siegerliste geschafft. Doch einer der Vorschläge, für die sie gestimmt hat, wurde angenommen. Gabi fühlt sich durch den partizipativen Prozess von der Verwaltung gehört. Sie findet es zwar schade, dass ihr Vorschlag nicht realisiert wird, ist aber letztendlich froh, Teil des Verbesserungsprozesses gewesen zu sein. Mittels eines Newsletters informiert die Stadtverwaltung über den Stand der Durchführung der gewählten Vorschläge.
Handlungsempfehlung
Der Abstimmungsprozess sollte möglichst einfach gestaltet sein und die verschiedenen Fähigkeiten und Präferenzen der Bürger berücksichtigen (z. B. durch On- und Offline-Abstimmungen und -Informationen). Weiter soll der Fortschritt der Implementierung klar kommuniziert werden. Dies bildet eine gute Gelegenheit, einen direkten Kommunikationskanal mit dem Bürger aufzubauen und zu halten.
Die Beteiligung von Bürgern an politischen Prozessen ist nicht selbstverständlich. Angebote müssen niedrigschwellig an den Bedürfnissen des Bürgers ausgerichtet sein.

Schlussbemerkungen

Bürgerhaushalte sind nicht per se bürgerzentriert, sondern sind planvoll auf den Bürger auszurichten. Durch Customer Journeys wird die Perspektive des Bürgers eingenommen und damit die Bürgerzentrierung bei Bürgerhaushalten für die Verwaltung erlebbar gemacht. Die hier exemplarisch vorgestellte Persona kann in eine Vielzahl anderer Personas abgewandelt werden. Die Ausgestaltung dieser Personas sollte die Bevölkerung der Kommune möglichst repräsentativ darstellen. Dies ermöglicht es der Verwaltung, die verschiedenen Kontakte zum Bürgerhaushalt zu visualisieren und an Bürgerbedürfnisse anzupassen. Das hier vorgestellte Beispiel zeigt, dass
  • eine gut gestaltete Website online, aber auch offline zu bewerben ist,
  • Bürger eine essenzielle Funktion als Micro-Influencer einnehmen,
  • niedrigschwellige Kontaktpunkte und eine leichte Einbindung in soziale Medien wichtig sind,
  • die Abstimmung einfach und multimedial gestaltet werden sollte und
  • die Rechenschaft ein wesentlicher Faktor im Prozess ist.
Zusammenfassung
  • Eine hohe Beteiligung der Bürger an Bürgerbeteiligungsprogrammen der öffentlichen Hand ist nicht selbstverständlich.
  • Methoden des Kundenmanagements im privaten Sektor können auf den staatlichen Sektor übertragen werden.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Zahlen und Prozess sind fiktiv. Zwar hat Bützow einen ersten Bürgerhaushalt durchgeführt, zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Customer Journey war dieser im Detail jedoch noch nicht ausgearbeitet.
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Goldhausen, K. (2018). Customer Experience Management – Der Weg ist das Ziel. In A. Rusnjak & D. R. A. Schallmo (Hrsg.), Customer Experience im Zeitalter des Kunden (S. 41–94). Wiesbaden: Springer.CrossRef Goldhausen, K. (2018). Customer Experience Management – Der Weg ist das Ziel. In A. Rusnjak & D. R. A. Schallmo (Hrsg.), Customer Experience im Zeitalter des Kunden (S. 41–94). Wiesbaden: Springer.CrossRef
2.
Zurück zum Zitat Keller, B., & Ott, C. S. (2018). Touchpoint Management – inkl. Arbeitshilfen online: Entlang der Customer Journey erfolgreich agieren (2. Aufl.). München: Haufe Fachbuch. Haufe Lexware Verlag. Keller, B., & Ott, C. S. (2018). Touchpoint Management – inkl. Arbeitshilfen online: Entlang der Customer Journey erfolgreich agieren (2. Aufl.). München: Haufe Fachbuch. Haufe Lexware Verlag.
3.
Zurück zum Zitat Jann, W. (2019). Neues Steuerungsmodell. In S. Veit, C. Reichard & G. Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform (Bd. 13, S. 127–138). Wiesbaden: Springer.CrossRef Jann, W. (2019). Neues Steuerungsmodell. In S. Veit, C. Reichard & G. Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform (Bd. 13, S. 127–138). Wiesbaden: Springer.CrossRef
4.
Zurück zum Zitat Möltgen, K., & Lorig, W. H. (2009). Die kundenorientierte Verwaltung – zu den Facetten eines Leitbildes der Verwaltungsmodernisierung. In E. Czerwick, W. H. Lorig & E. Treutner (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland (Bd. 13, S. 225–246). Wiesbaden: VS.CrossRef Möltgen, K., & Lorig, W. H. (2009). Die kundenorientierte Verwaltung – zu den Facetten eines Leitbildes der Verwaltungsmodernisierung. In E. Czerwick, W. H. Lorig & E. Treutner (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland (Bd. 13, S. 225–246). Wiesbaden: VS.CrossRef
Metadaten
Titel
Anwendung des Konzepts der „Customer Journey“ zur Gestaltung von bürgerzentrierten Bürgerhaushalten
verfasst von
Achim Reiz, M.Sc.
Prof. Dr. Michael Fellmann
Prof. Dr. Peter Lorson
Dr. Ellen Haustein
Hans-Henning Schult, M.Sc.
Publikationsdatum
23.04.2021
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Wirtschaftsinformatik & Management / Ausgabe 3/2021
Print ISSN: 1867-5905
Elektronische ISSN: 1867-5913
DOI
https://doi.org/10.1365/s35764-021-00334-x

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