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04.12.2017 | Arbeitsrecht | Schwerpunkt | Online-Artikel

Unternehmensgröße bestimmt Jobchancen für Schwerbehinderte

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

4:30 Min. Lesedauer

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Zu den Autismus-Spektrum-Störungen gehört, dass die soziale Interaktion eigeschränkt sein kann. Aber auch, dass Betroffene häufig über besondere intellektuelle Fähigkeiten verfügen. Wer Codes bildlich sieht, ist ein begehrter Mitarbeiter.

Knapp 30 Jahre ist es her, das Dustin Hofmann in "Rain Main" den Autisten Raymond so sensibel wie anrührend porträtierte. Die speziellen Inselbegabungen von an Autismus erkrankten Menschen wurden durch den Film bekannt. Hohe Konzentrationsfähigkeit, enormes Erinnerungsvermögen und ein nahezu geniales mathematisches Talent gehören dazu. Aber auch stereotype Verhaltensmuster und verzögerte soziale Interaktion.

 Autism at Work nennt sich ein national und international ausgezeichnetes Programm mit dem SAP seit rund vier Jahren gezielt um Mitarbeiter mit Autismus wirbt. Nicht die Defizite, sondern die besonderen Fähigkeiten der neuen Kollegen, werden mit dem Programm gefördert. Analysieren, logische Zusammenhänge erkennen – autistisch begabte Menschen brillieren genau da, wo andere ins Stolpern geraten. Weil sie sich zudem komplett in ihr Fachgebiet vertiefen können, werden sie schnell zu Top-Experten. Der Walldorfer Software-Konzern hat das erkannt. Mittlerweile beschäftigt er über 120 autistische Mitarbeiter, bis 2020 sollen sie ein Prozent der Belegschaft stellen und damit einen außerordentlichen Talentpool bilden. 

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Strafe zahlen statt Teilhabe ermöglichen

SAP gehört zu den großen Arbeitgebern und damit exemplarisch zu jenen, denen die Inklusion von Menschen mit Handicap besser gelingt als kleinen und mittleren Unternehmen. Rund 80 Prozent aller deutschen Unternehmen beschäftigen schwerbehinderte, chronisch kranke oder dauerhaft gesundheitlich eingeschränkte Menschen. Der Gesetzgeber will, dass Unternehmen ab 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Mitarbeiter mit Handicap vergeben. Wer sich darum drückt, ihnen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, zahlt eine Ausgleichsabgabe zwischen 125 und 320 Euro pro Monat an den Staat. Und das scheint den meisten Unternehmen offenbar die attraktivere Variante zu sein. 

Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit (Stand März 2017) beträgt die Inklusionsquote aller öffentlicher und privater Arbeitgeber deutschlandweit 4,7 Prozent. Liegt also knapp unter der Mindestgrenze. Die Quote der privaten Arbeitgeber beträgt 4,1 Prozent, bei den  öffentlichen Arbeitgebern ist sie mit 6,6 Prozent deutlich erfüllt. Insgesamt sind in Deutschland 144.362 private Arbeitgeber verpflichtet, 842.253 Stellen mit behinderten Menschen zu besetzen. Die Ausgleichsabgabe mussten nach jüngstem Stand im Jahr 2015 rund 38.900 Unternehmen zahlen, mehr als 250.000 Pflichtarbeitsplätze sind nicht besetzt.

Inklusion in kleinen Betrieben hinkt hinterher

Am ehesten finden Menschen mit Behinderung in Unternehmen und Organisationen mit 500 bis 999 Mitarbeitern eine Beschäftigung. Zu diesem Ergebnis kommt die Umfrage "Inklusion in Unternehmen" des Medizinprodukte-Herstellers Coloplast und dem IMWF - Institut für Management- und Wirtschaftsforschung. Befragt wurden branchenübergreifend 527 Führungskräfte beschäftigungspflichtiger Unternehmen. Rund 28 Prozent aller Arbeitgeber mittlerer Größe erfüllen der Erhebung zufolge die Inklusionsquote. Unter Arbeitgebern mit mehr als 1.000 Mitarbeitern wird sie zu 26 Prozent erfüllt. In Belegschaften von 20 bis 99 Mitarbeitern haben Menschen mit Behinderungen die schelchtesten Karten. Hier beteiligen sich nur 19 Prozent an der Teilhabe. Separiert nach Branchen führt die öffentliche Verwaltung die Rangliste mit einer Inklusionsquote von 12,5 Prozent an. In Transport- und Logistikunternehmen sind durchschnittlich nur 5,8 Prozent der Mitarbeiter beeinträchtigt. 

Inklusion, so zeigt das Beispiel SAP, gibt Arbeitgebern die Chance, unterschiedliche Begabungen und Potenziale von Menschen in kreativen Denk- und Talentpools zu vereinigen und sich damit im Unternehmensinteresse neue Wege zu erschließen. Dass Teams aus diversen Talenten zusammengesetzt sind, wird in einem zunehmend auf die Individualisierung von Produkten und Services ausgerichteten Markt zur Bedingung für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. "Die Berücksichtigung vielfältiger Erfahrungen, Perspektiven und Hintergründe in der Problemlösung, Forschung und Entwicklung bringt erfolgreichere und nachhaltige Ergebnisse", ist sich Springer-Autor Hans W. Jablonski über die positiven Effekte von Diversity Management sicher (Seite 314). Doch wie lässt sich Inklusion in Unternehmen gestalten – auch dann, wenn die Belegschaft klein und damit naturgemäß weniger vielfältig ist? 

Inklusion versteht Handicaps als Variation

Die Springer-Autorinnen Iris Koall, und Verena Bruchhagen machen in "CSR als Beitrag zur Inkusions- und Diversitätsdebatte" die Wahrnehmung und Nutzung des Fremden von der Fähigkeit zur Selbstbeobachtung abhängig. Inklusion entstehe zunächst als "Irritation und Zumutung" für die bisherige Operationsweise des Systems und wird dort durch langwierige Aushandlungen in anschlussfähige Programme umgewandelt. Gelingen kann das nur über eine sinnvolle Verständigung. Das von der Norm abweichende Verhalten wird als "regulär vorkommende Variation, also als Bestandteil eines reichen Lebens" kommuniziert und verstanden (Seite 91). Die Funktionen im Unternehmen werden an diese Sinnkonstruktion angeschlossen. Inklusion findet nach Ansicht der Autorinnen in drei Schritten statt (Seite 93):

  1. Ignoranz: Das Differente wird innerhalb des Systems verleugnet.
  2. Integration: Aus der Umwelt des Systems entsteht ein Druck, das Differente wahrzunehmen.
  3. Inklusion: Die Anforderungen zur Inklusion werden durch internen Druck oder externe Rahmenbedingungen so dringlich, dass es dem System unmöglich wird, sich nicht zu verändern.

Dass die Aufgabenerfüllung von Inklusion Unternehmen an die Grenzen ihrer Bewältigungsressourcen bringen kann und sie sich deshalb der Verantwortung durch Ausgleichsabgaben entziehen, wissen auch die Autorinnen: "Es gibt sehr wenige organisationale Systeme, die für sich den Vorteil erkennen, sich lernend den Anforderungen der Heterogenität stellen" (Seite 93). Dennoch: Fachkräftemangel, Innovation und Unternehmensimage liefern wichtige Impulse zum Umdenken.

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