Das Bundesarbeitsgericht hat Ende 2022 entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch verjähren und damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt. Über die genauen Rahmenbedingungen informiert Anwalt Fabian Nickel.
Urlaub nicht rechtzeitig beantragt, also verfällt er, Pech gehabt? Ganz so leicht ist es nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht.
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Egal ob Strandurlaub, Städtetrip oder doch lieber Balkonien - der Urlaub ist für viele Arbeitnehmende das Highlight des Jahres. Doch gerade in den Führungsetagen kommt es häufig vor, dass der zustehende Jahresurlaub nicht in vollem Umfang genommen wird - zum Beispiel, weil die Abgabe eines großen Projekts Vorrang hat oder ein Auftrag reinkommt, der alle verfügbaren Ressourcen braucht. Die Folge: Es bleiben Urlaubstage übrig - jedes Jahr. Doch was passiert mit diesen nicht in Anspruch genommenen Urlaubstagen? Können sie mit in das nächste Jahr genommen werden oder verfallen sie einfach?
Grundsätzlich gilt: Der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt neben den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes auch der gesetzlichen Verjährung. Folgerichtig würden nicht genommene Urlaubstage am Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf den Urlaub entsteht, zu verjähren beginnen. Nach drei Jahren wäre die Verjährungsfrist abgelaufen und damit der ursprüngliche Anspruch auf die bis dahin nicht frei gemachten Tage weg.
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers
Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az.: 9 AZR 266/20) jedoch klargestellt: Ein Anspruch auf Jahresurlaub verjährt nur dann nach drei Jahren, wenn der Arbeitgeber seiner "Mitwirkungsobliegenheit" nachkommt. Demzufolge obliegt es dem Unternehmen, seinen Angestellten ausdrücklich auf das Bestehen und den Umfang des Urlaubsanspruchs hinzuweisen.
Der Arbeitgeber muss darüber hinaus ausdrücklich auf die Fristen zur Urlaubsbeantragung sowie die Verjährungsfrist hinweisen. Die dreijährige Verjährungsfrist des Urlaubsanspruchs beginnt erst dann am Ende des Kalenderjahres, wenn das Unternehmen seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist und der Beschäftigte den ihm zustehenden Urlaub dennoch freiwillig nicht genommen hat. Bleibt die Aufklärung aus, verjähren Urlaubsansprüche nicht.
Ohne Aufklärung Urlaub rückwirkend geltend machen
Viele Beschäftigte dürfte das freuen, denn damit können etwaige Ansprüche auch rückwirkend aus den vergangenen Jahren gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Übrig gebliebene Urlaubstage, über die das Unternehmen nicht aufgeklärt hat, können nachträglich eingefordert werden. Wie lange genau die rückwirkende Einforderung der Urlaubstage möglich sein soll, ist bislang noch offen.
Nicht ausreichend ist die einmalige Aufklärung durch einen Hinweis im Arbeitsvertrag, um die Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zu erfüllen.
Urlaubsansprüche bei langfristigen Erkrankungen
Eine Besonderheit besteht für den Verfall von Urlaubsansprüchen bei langfristigen Erkrankungen. Grundsätzlich verfällt der Urlaubsanspruch eines Jahres in diesem Fall nach 15 Monaten, wenn der Arbeitnehmer vom Jahresbeginn bis zum 31. März des folgenden Jahres den Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten konnte. Auf eine Aufklärung des Unternehmens kommt es in diesem Fall nicht an.
Nach einem weiteren Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Dezember 2022 (Az.: 9 AZR 245/19) muss differenziert werden: Hat der Beschäftigte im gesamten Kalenderjahr krankheitsbedingt nicht gearbeitet oder hat er teilweise gearbeitet? Hat er oder sie Arbeitsleistung erbracht, verfällt der Urlaubsanspruch nur dann nach 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmende entsprechend aufgeklärt hat.
Was Arbeitnehmende beim Urlaubsanspruch beachten sollten
Doch was genau sollten Arbeitnehmenden aus diesen neuen Regelungen mitnehmen und was gibt es zu beachten? Mit den folgenden drei Tipps, können Beschäftigte das unrechtmäßige Verfallen von Urlaubsansprüchen vermeiden:
- Die eigene Dokumentation: Grundsätzlich sollten Beschäftigte explizit darauf achten, ob der Arbeitgeber seiner Aufklärungspflicht nachkommt. An dieser Stelle empfiehlt es sich, derartige Hinweise des Unternhemns genauestens zu dokumentieren.
- Die eigenen Ansprüche im Blick behalten: Anknüpfend an den ersten Tipp sollte man als Arbeitnehmende die eigenen, noch bestehenden Urlaubsansprüche unbedingt kennen, um diese rechtzeitig und gegebenenfalls auch noch nachträglich geltend machen zu können.
- Zeitpunkt und Form der Aufklärung beachten: Auch wenn im Zweifelsfall der Arbeitgeber die ordnungsgemäße Aufklärung zu beweisen hat, empfiehlt es sich zu kontrollieren, ob die Aufklärung des Unternehmens ordnungsgemäß und vor allem fristgerecht erfolgt ist. Wann, wie und wo wurde also auf das Bestehen restlicher Urlaubsansprüche und die drohende Verjährung hingewiesen? Erfolgte die Aufklärung erst am Ende des Kalenderjahres, kurz vor Ablauf der Frist für den Urlaubsantrag? War der Hinweis ausdrücklich genug oder versteckte er sich kaum wahrnehmbar auf der letzten Gehaltsabrechnung?
Fazit: Das Bundesarbeitsgerichts räumt den Beschäftigten mit seiner jüngsten Rechtsprechung einen erhöhten Schutz ihres Resturlaubes ein, indem es den Arbeitgeber zu einer umfassenden und rechtzeitigen Aufklärung verpflichtet. Beschäftigte sollten die Anforderungen an diese Aufklärung kennen und eigenständig kontrollieren. Ansonsten gilt es wachsam zu sein und weitere Urteile zu diesem Thema abzuwarten.