Berichte über viele Arbeitsunfälle bei Tesla in Grünheide beunruhigen die IG Metall. Die Gewerkschaft fordert Nachbesserungen beim Arbeitsschutz. Springer Professional sprach mit Jurist Daniel Hammes über die rechtlichen Hintergründe.
Daniel Hammes ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei FPS.
FPS Fritze Wicke Seelig Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mbB
Springer Professional: Medienberichte attestieren Tesla mangelnden Arbeitsschutz in Grünheide, weil die Zahl der Arbeitsunfälle dort über dem Branchendurchschnitt liege. Um die Angaben besser zu verstehen: Was gilt eigentlich alles als Arbeitsunfall und von welchen Zahlen ist im konkreten Fall die Rede?
Daniel Hammes: Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den Arbeitnehmende im Zusammenhang mit ihrer Arbeitstätigkeit oder auf dem Arbeitsweg erleiden. Was zunächst simpel und logisch klingt, kann in der Abgrenzung durchaus Schwierigkeiten bereiten. Insbesondere die Frage, ob die konkrete Handlung bei der sich der Unfall ereignet hat dem privaten oder dem beruflichen Bereich zuzuordnen ist, bereitet oft Schwierigkeiten und führt zu teilweise skurril anmutenden Gerichtsentscheidungen.
Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
Ein aktuelles Beispiel aus diesem Jahr: Das Sozialgericht München hat am 02.05.2023 entschieden, es könne einen Arbeitsunfall darstellen, wenn sich ein Arbeitnehmer während der Arbeit durch einen Sprung in den Pool des Chefs erfrischt und dadurch Verletzungen erleidet. Dies gelte jedenfalls dann, wenn, wie im konkreten Fall, das Bad im Pool mit allen anwesenden Kollegen inklusive des Chefs stattfinde und der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dient. Es kommt also immer auf den konkreten Fall und die Umstände an.
Aber zurück zu Tesla ...
Bestätigte Zahlen zu den Arbeitsunfällen bei Tesla sind mir nicht bekannt. Nach Eröffnung des Tesla-Werks in Grünheide im März 2022 soll im ersten Jahr 247 mal ein Rettungswagen oder Hubschrauber angefordert worden sein. In der Zeit vom Juni 2022 bis November 2022 sind laut "Spiegel" 190 Arbeitsunfälle registriert worden. Schwere Arbeitsunfälle sollen sich seit Eröffnung des Werks in sieben Fällen ereignet haben. Damit lässt sich zumindest die Größenordnung abschätzen.
Sind alle Arbeitsunfälle meldepflichtig? Was sieht der Gesetzgeber hier vor?
Tatsächlich sind nicht alle Arbeitsunfälle meldepflichtig. Eine Meldepflicht besteht nur, wenn Beschäftigte so verletzt werden, dass sie anschließend mehr als drei Tage arbeitsunfähig sind. Die meisten der täglich vorkommenden leichten Arbeitsunfälle - wie etwa durch einen Sturz verursachte Schürfwunden oder Hämatome - werden also nie gemeldet.
Wer muss bei einem Arbeitsunfall vom Arbeitgeber informiert werden?
Der Unfall muss immer dem jeweiligen Unfallversicherungsträger gemeldet werden. Das ist die für das jeweilige Unternehmen zuständige Berufsgenossenschaft. Zudem muss die jeweils örtlich zuständige Landesbehörde für Arbeitsschutz informiert werden. Die Anzeige hat innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Arbeitsunfalls zu erfolgen, wobei die Meldung in der Regel schriftlich eingehen muss. Auf den Homepages der Berufsgenossenschaften finden sich aber häufig auch Online- Formulare. Im Zweifel empfehlen wir, sich bei der zuständigen Berufsgenossenschaft zu informieren. Was oft vergessen wird: Auch der Betriebsrat ist - sofern ein solcher besteht - bei der Anzeige einzubeziehen, sodass dieser ebenfalls informieren ist.
Wer überwacht in Deutschland überhaupt Arbeits- und Gesundheitsschutz in Unternehmen und mit welchen konkreten Maßnahmen?
Die Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bundesministerium des Innern und für Heimat ist für die Überwachung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung ausschließlich in Bundeseinrichtungen zuständig. Im Übrigen, das heißt insbesondere für sämtliche Privatunternehmen, sind die Arbeitsschutzbehörden beziehungsweise Gewerbeaufsichtsämter der Länder zuständig.
Ihr Ziel ist es, die Arbeitnehmer vor berufsbedingten Gefahren und schädigenden Belastungen zu schützen. Die Behörden haben hierzu umfassende Handlungsmöglichkeiten, deren Darstellung den Rahmen sprengen würde. Nur als Überblick: Es bestehen zunächst Auskunftsrechte, sowie Rechte die Vorlage und Überlassung von Unterlagen durch den Arbeitgeber zu verlangen. Außerdem haben sie das Recht die Betriebsstätten wahrend der Arbeitszeit zu betreten und zu besichtigen, um diese im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen vor Ort zu überprüfen.
Was dürfen die Behörden vor Ort prüfen?
In diesem Zusammenhang sind die Behörden befugt, Betriebsanlagen, Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen zu prüfen; Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen, Messungen vorzunehmen, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren festzustellen und zu untersuchen, auf welche Ursachen ein Arbeitsunfall, eine arbeitsbedingte Erkrankung oder ein Schadensfall zurückzuführen ist.
Was viele nicht wissen: Es bedarf keines konkreten Anlasses für solche Maßnahmen beziehungsweise Untersuchungen.
Was sind die häufigsten Verstöße, die gemeldet und geahndet werden?
Die meisten Verstöße sind kleinerer Art und werden oft gar nicht, vielfach nicht einmal von den Arbeitgebern, als Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz erkannt. Ich spreche hier von Fällen unzureichender Beleuchtung oder ungeeigneter Bildschirmarbeitsplätze. Eine offizielle Statistik über die häufigsten gemeldeten Verstöße wird nicht geführt.
Was aber bekannt ist, ist die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle. Dies lassen sich im Jahr 2022 deutschlandweit auf 787.412 beziffern. Allerdings lässt sich hieraus nicht auf die Anzahl der Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz schließen. Arbeitsunfälle sind in erster Linie 'Unfälle' und deshalb nicht zwingend darauf zurückzuführen, dass der Arbeitgeber Arbeitsschutzvorschriften nicht eingehalten hat.
Tesla weist die Vorwürfe zurück. Doch welche Strafen drohen dem Autobauer gegebenenfalls, wenn tatsächlich bei der Sicherheit in der Produktion geschludert wird?
Generell gilt: Wenn Arbeitsunfälle eben doch auf mangelnden Arbeitsschutz zurückzuführen sind, dann kann der Verstoß gegen diese Arbeitsschutzvorschriften mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000,00 EUR geahndet werden. Denkbar ist theoretisch auch eine strafrechtliche Verantwortung wegen (fahrlässiger) Körperverletzung.