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17.11.2020 | Arbeitswissenschaft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Beschäftigte zwischen Digitalisierungsfreud und -leid

verfasst von: Annette Speck

4:30 Min. Lesedauer

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Wissensarbeitende erleben mehr Selbstbestimmung durch die Digitalisierung. Für andere Berufsgruppen bringt sie Autonomieverluste. Für das Gelingen der Veränderungsprozesse braucht es kompetente Führungskräfte.

Die Einen preisen die Segnungen der Digitalisierung – etwa den vereinfachten Zugriff auf Informationen weltweit oder die Flexibilisierung des Arbeitens. Sie glauben, die digitale Technik führe systematisch zu höherer Autonomie und mehr Selbstbestimmung der Beschäftigten. Die Anderen befürchten hingegen umfassende Kontrollen und Standardisierung der Arbeitprozesse. Dies münde in einen "digitalen Taylorismus", der die Autonomie in der Arbeitswelt systematisch verringere.

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Quo vadis Digitale Revolution?

Eine gesamtwirtschaftliche Analyse von Auswirkungen der Digitalisierung

Der Beitrag setzt sich aus der volkswirtschaftlichen Perspektive mit den zu erwartenden Auswirkungen der „Digitalen Revolution“ auseinander. 

Gefährdet die Digitalisierung die Demokratie?

Die Sorge ist keineswegs abwegig. Experte Hans Köchler äußert in seinen Ausführungen über "Selbstbestimmtes Handeln im Digitalzeitalter – Philosophische und anthropologie Überlegungen" sehr tiefgreifende Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der digitalen Technologien auf Demokratie und Freiheit.

Im Sinne der [...] thematisierten Spannung zwischen Autonomie (Selbstbestimmtheit) und Instrumentalisierung (Objektivierung) des Individuums kann digitale Technik das unverzichtbare Vehikel moderner Demokratie in einer immer komplexeren arbeitsteiligen Gesellschaft sein, aber auch – wenn in ihren Folgen nicht verstanden und beherrscht – ein Instrument zur Absicherung von Herrschaft, das zur Errichtung einer Art totalitärer Kontrolle des Alltags im Sinne von Aldous Huxleys 'Brave New World' (1932) verwendet werden kann. Es geht hier in der Tat um die größte Bewährungsprobe für Demokratie und Menschenrechte im beginnenden 21. Jahrhundert." Hans Köchler, Seite 40

Mehr Autonomie primär für Wissensarbeitende

Angesichts der gravierenden Veränderungen, die die Digitalisierung für das Arbeitsleben und die Beschäftigten bedeutet, ist es umso wichtiger, die Effekte genauer zu betrachten. Eben dieses Ziel verfolgt die dem Bericht "Digitaler Taylorismus für einige, digitale Selbstbestimmung für die anderen?" zugrunde liegende Analyse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Darin geht es um den Zusammenhang zwischen Autonomie und digitaler Technik in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern "Wissen“, "Produzieren“ und "Dienstleisten“. Um die Autonomie zu beschreiben, wurden die Variablen "berufliche Computernutzung", "die Möglichkeit, die Arbeit selbst einzuteilen/zu planen" sowie die Frage nach "detailliert vorgeschriebener Arbeit" einbezogen. In die Untersuchung flossen Daten von über 16.000 abhängig Beschäftigten aus der BIBB/BAuA-Befragung von 2012 ein.

Die Auswertung zeigt nun, dass in den drei betrachteten Tätigkeitsdomänen eine Polarisierung existiert: Personen mit stärker wissensbezogenen Tätigkeiten berichten hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung häufiger von systematischen Vorteilen durch die intensive Nutzung von Computertechnik. Wenngleich deutlich abgeschwächt, finden auch Beschäftigte in der Produktion die Digitaltechnologie immerhin tendenziell vorteilhaft für ihre Autonomie. Im Tätigkeitsfeld Dienstleistung schrumpft der Handlungsspielraum hingegen systematisch, wenn Erwerbstätige die digitale Technik häufig nutzen.

Autonomie als wichtiger Zufriedenheitsfaktor

"Insgesamt weisen die Ergebnisse damit auf eine deutliche Polarisierung und eine entsprechende soziale Ungleichheit entlang von Tätigkeitsbereichen hin, wenn digitale Technik zum Einsatz kommt. Damit zeigen sich im Prozess der Digitalisierung erhebliche Ungleichheiten in der Arbeitsqualität", heißt in dem Bericht. Autonomie könne sowohl eine Ressource als auch ein Stressor sein. Entscheidend sei die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der Digitalisierung.

Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch die digitale Kompetenz aller Beteiligten. Diese muss Springer-Autor Köchler zufolge komplett neu gedacht werden: "Es geht nicht nur um die schulmeisterliche Vermittlung von Fertigkeiten (skills), sondern um die Reflexion der Nutzung der Digitaltechniken und die Abschätzung ihrer sozialen Folgen." (Seite 42)

Moderne Führungskonzepte contra starre Digitalstrukturen

Problematisch ist auch, dass Digitalisierungsprozesse häufig ohne Beteilung der betroffenen Mitarbeitenden ablaufen. Dabei ist es eine zentrale Führungsaufgabe, sie angemessen an der Neugestaltung von Arbeitsprozessen zu beteiligen. Erst recht, da moderne Führungskonzepte statt auf starre Fomalstrukturen zunehmend auf Befähigung und Selbststeuerung der Beschäftigten setzen, um der unberechenbaren VUCA-Welt beizukommen. Allerdings geben digitale Prozesse oft genau solche Formal- und Ablaufstrukturen vor.

In diesem Zwiespalt brauchen Führungskräfte entsprechende Fähigkeiten, um die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden zu fördern, wie Melanie Malczok und Sabine Kirchhoff in dem Buchkapitel "Digitalisierung und Partizipatio - Brauchen wir ein neues Skill Set für Führungskräfte?" feststellen. Denn gerade bei Berufsgruppen, die aufgrund starker Reglementierung in Sachen Selbstbestimmung und Autonomie eher außen vor sind, gehe es auch darum, das Gefühl der Beteiligung und des Gebrauchtwerdens aufrecht zu erhalten.

Mitarbeitende müssen in Veränderungen einbezogen werden

"Aufgabe der Führungskraft ist es nun dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze sich über kurz oder lang durch Digitalisierung und Automatisierung völlig verändern oder gar wegfallen, nicht das Gefühl entwickeln, über kurz oder lang zu Digitalisierungsverlierern in der eigenen Organisation zu werden", schreiben die Springer-Autorinnen auf Seite 224. Sie empfehlen, die Mitarbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung zu beteiligen.

Handlungsempfehlungen für Führungskräfte

Gemeinsam mit den Mitarbeitenden Probleme und Anwendungsfälle definieren, die sehr nah an der täglichen Leistungserstellung sind. Dies bedeutet vor allem, Definitionsmacht abzugeben.

Die Führungskraft muss nicht programmieren können, aber sie sollte die Potenziale der Digitalisierung für die Leistungserstellung ihrer Mitarbeitenden erkennen können.

Gestaltung von Arbeitsprozessen, die die Mitarbeitenden wirklich als besser erleben, statt auf Biegen und Brechen eine bestimmte Technologie durchzusetzen.

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