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30.06.2025 | Artensterben | Interview | Online-Artikel

"Biodiversität ist ein Wirtschaftsfaktor"

verfasst von: Andrea Amerland

5:30 Min. Lesedauer

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Nachhaltig oder Greenwashing? Diese Frage trifft Unternehmen, wenn sie Bienenstöcke auf das Firmendach stellen. Wie Biotope auf dem Betriebsgelände CSRD-konform werden und zur Artenvielfalt beitragen, sagt Expertin Aline Kamke im Interview.

Aline Kamke ist DGNB Biodiversitätsmanagerin, Landschaftsarchitektin und Projektleiterin bei Stadtbienen. Sie unterstützt Unternehmen bei der Planung artenreicher Lebensräume für ihr Firmengelände, die sowohl die Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erfüllen als auch aktiv zur Förderung der lokalen Biodiversität beitragen.


springerprofessionale.de: Biodiversität scheint für Unternehmen noch ein Nischenthema zu sein. Inwiefern ist Artenvielfalt überhaupt ein Wirtschaftsfaktor?

Aline Kamke: Oft werden 'Artenvielfalt' und 'Biodiversität' synonym verwendet - dabei ist Biodiversität der umfassendere Begriff. Biodiversität umfasst nicht nur die Vielfalt der Arten, also Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen, sondern auch die genetische Vielfalt innerhalb dieser Arten sowie die Vielfalt der Lebensräume, in denen sie vorkommen. Kurz gesagt: Artenvielfalt ist ein Teil der Biodiversität.

Biodiversität ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor, denn sie bildet die Grundlage für sogenannte Ökosystemleistungen wie Bestäubung, sauberes Wasser, fruchtbare Böden oder Hochwasserschutz. Dennoch ist es schwierig, den Wert von Biodiversität präzise zu quantifizieren. Schätzungen zufolge liegt ihr wirtschaftlicher Wert bei 125 bis 140 Billionen US-Dollar pro Jahr - mehr als das eineinhalbfache des globalen BIP.

Der Verlust an Biodiversität kostet uns hingegen jährlich Milliarden: etwa durch geringere Ernteerträge, Schäden durch Naturkatastrophen, oder steigende Gesundheitskosten aufgrund von Umweltverschmutzung. Biodiversität ist also kein Nischenthema, sondern ein Fundament für wirtschaftliche Stabilität und Resilienz, auch wenn Ökosystemleistungen oft nicht direkt in den Bilanzen abgebildet werden.

Was können Unternehmen tun, um Risiken auf dem Gebiet der Biodiversität zu reduzieren, etwa in Bezug auf die Lieferketten, damit sich die eigene Resilienz verbessert?

Unternehmen stehen in vielfältiger Weise in Wechselwirkung mit der biologischen Vielfalt. Direkt zum Beispiel durch Landnutzung und indirekt, etwa über ihre Lieferketten. Biodiversitätsverlust bedeutet nicht nur ökologischen Schaden, sondern erhöht auch das wirtschaftliche Risiko: Ernteausfälle, steigende Rohstoffpreise, Versorgungsengpässe oder Reputationsverluste können direkte Folgen sein.

Um Risiken zu mindern und die eigene Resilienz zu stärken, sollten Unternehmen Biodiversität strategisch mitdenken und zwar auf mehreren Ebenen:

  • Lieferketten prüfen: Viele Risiken entstehen vorgelagert, etwa durch Abholzung, Monokulturen oder Wasserverbrauch. Biodiversitäts-Hotspots lassen sich identifizieren und durch Umweltstandards für Lieferanten gezielt steuern.
  • Standortdiversität stärken: Globale Lieferketten sind anfällig für Naturkatastrophen oder politische Instabilität. Wer ökologisch verantwortungsvoll diversifiziert, macht sich langfristig robuster.
  • Eigene Flächen nutzen: Auf Betriebsgeländen können strukturreiche Grünflächen oder lokale Biotopschutzmaßnahmen zur Biodiversität beitragen, zum Beispiel durch die Renaturierung von Flächen, das Anlegen strukturreicher Grünflächen oder das Einbinden lokaler Arten- und Biotopschutzmaßnahmen. Solche Maßnahmen stärken auch das Engagement der Mitarbeitenden und das Vertrauen von Kunden.
  • Strategisch verankern: Das Thema Biodiversität sollte Teil der unternehmerischen Risikoanalyse und Entscheidungsprozesse werden. Das bedeutet: Biodiversität nicht nur als Nachhaltigkeitsprojekt behandeln, sondern als Faktor unternehmerischer Resilienz - mit klaren Zielen, Verantwortlichkeiten und Kennzahlen.
  • Wissen teilen, Kooperationen suchen: Fachpartner aus Naturschutz, Wissenschaft oder Zertifizierung helfen, Maßnahmen wirksam umzusetzen und glaubwürdig zu kommunizieren.

Wer Biodiversität schützt, schützt auch seine Geschäftsgrundlage. Unternehmen, die heute in biodiversitätsschonende Prozesse investieren, schaffen sich morgen einen strategischen Vorsprung - ökologisch, ökonomisch und reputativ.

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) schafft für Firmen einen klaren rechtlichen Rahmen, ihre Wirkung auf Umwelt, Gesellschaft und Governance (ESG) offenzulegen. Maßgeblich für die biologische Vielfalt ist der Standard ESRS E4. Was regelt dieser Standard auf eine allgemeinverständliche Kurzformel gebracht?

Der Standard ESRS E4 verpflichtet Unternehmen dazu, offenzulegen, wie sie von Biodiversität und Ökosystemleistungen abhängen, wie sie diese beeinflussen und welche Risiken und Chancen sich daraus ergeben. Er erfasst beispielsweise Auswirkungen durch Landnutzung, Lebensraumzerstörung, invasive Arten oder Umweltverschmutzung und verlangt, dass Unternehmen hierzu konkrete Ziele, Maßnahmen und Kennzahlen formulieren. So soll sichergestellt werden, dass Unternehmen im Sinne globaler Biodiversitätsziele handeln und ihre Verantwortung gegenüber Natur und Gesellschaft transparent machen.

Wie werden vor diesem Hintergrund die Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen messbar und wirkungsvoll? Oder anders gefragt: Wie können Unternehmen den eigenen Impact auf die Artenvielfalt ermitteln?

Um den eigenen Beitrag zum Schutz der Biodiversität messbar zu machen, braucht es geeignete Instrumente, denn bisher existiert keine einheitliche Standardmetrik, die für alle Unternehmen gleichermaßen anwendbar wäre. Dennoch gibt es praxiserprobte Ansätze, um den Einfluss wirtschaftlicher Aktivitäten auf Biodiversität zu quantifizieren.

Zum Beispiel erfasst der Corporate Biodiversity Footprint (CBF), wie stark ein Unternehmen mit seinen Produkten, Prozessen und Lieferketten auf Biodiversität einwirkt, etwa durch Flächenverbrauch, Schadstoffemissionen oder Eingriffe in Ökosysteme. Global Biodiversity Score (GBS) oder Product Biodiversity Footprint ermöglichen eine Bewertung entlang des gesamten Produktlebenszyklus von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung und machen die Auswirkungen auf Arten, Lebensräume und biologische Prozesse sichtbar.

Mit Hilfe solcher Werkzeuge lässt sich nicht nur der Verlust von Arten, sondern die komplexen Wechselwirkungen innerhalb ganzer Ökosysteme erfassen. Das macht sie zu einem wichtigen Bestandteil der unternehmerischen Steuerung, um Nachhaltigkeitsziele glaubwürdig zu verfolgen und Berichtspflichten wie im Rahmen der CSRD zu erfüllen.

Konkretes Beispiel: Bienengärten oder Biotope auf dem Firmengelände anzulegen, wird schnell als Feigenblattaktion oder Greenwashing abgetan. Wie müssen solche Maßnahmen ausgestaltet werden, damit Firmen damit die Anforderungen der CSRD erfüllen und auch die lokale Biodiversität fördern?

Firmeneigene Biotope können einen wertvollen Beitrag zur lokalen Biodiversität leisten, vorausgesetzt, sie werden fachlich fundiert und standortangepasst geplant, langfristig gepflegt und transparent kommuniziert. Damit sie CSRD-konform und nachhaltig wirken, sollten Unternehmen folgende Punkte beachten:

  • Fachlich fundierte Maßnahmen statt Symbolik: Wildbienen benötigen mehr als blühende Wiesen, nämlich spezifische Nistplätze, regionale Pflanzen und ungestörte Rückzugsräume. Maßnahmen sollten daher mit Experten geplant und auf lokale Gegebenheiten abgestimmt werden.
  • Messbare Ziele und Monitoring: Maßnahmen sollten klare Zielsetzungen haben, zum Beispiel Anzahl heimischer Pflanzenarten, Fläche extensiver Nutzung, und regelmäßig evaluiert werden. Nur so lässt sich der Beitrag zur Biodiversität glaubwürdig nachweisen, etwa im Rahmen des ESRS E4. Die Belegschaft könnte auf kreative Weise ins Monitoring einbezogen werden. 
  • Umweltbildung: Die Umgestaltung des Firmengeländes bietet eine hervorragende Gelegenheit, Mitarbeitende, zum Beispiel durch Umweltbildungsangebote, einzubeziehen.
  • Transparente Kommunikation und Berichterstattung: Begriffe wie 'grün', 'naturnah' oder 'bienenfreundlich' reichen nicht. Unternehmen sollten konkrete Daten, Maßnahmen und Fortschritte offenlegen, etwa im Nachhaltigkeitsbericht.
  • Einbettung in eine übergeordnete Biodiversitätsstrategie: Ein firmeneigenes Biotop sollte im besten Fall Teil einer Gesamtstrategie sein, die sowohl den eigenen Betrieb als auch die Lieferketten und Geschäftstätigkeit berücksichtigt.

Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmen, artenreiche Lebensräume zu schaffen. Ob Dach- oder Fassadenbegrünung, kleine oder große Freiflächen: Firmen schaffen damit nicht nur Lebensräume, sondern Orte für Bildung und Begegnung. Zahlreiche Förderprogramme unterstützen Unternehmen, ungenutzte Flächen in lebendige Biotope zu verwandeln.

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