Weiterbildung ist A und O in der VUCA-Welt. Doch wissen Unternehmen oft nicht, welche Kompetenzen in der Belegschaft fehlen und künftig benötigt werden. Experte Sebastian Duda spricht in diesem Zusammenhang von einer Workforce-Readiness-Lücke.
Dr. Sebastian Duda ist Senior Regional Sales Manager bei Cornerstone.
Cornerstone OnDemand Global Operations, Inc.
springerprofessional.de: Sie haben in einer Studie eine Workforce-Readiness-Lücke identifiziert. Was verbirgt sich hinter dem Begriff und was ist daran genau das Problem?
Sebastian Duda: Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Skill-Anforderungen an Mitarbeitende nehmen nicht nur ständig zu, sondern verändern sich auch schneller, da durch technologische Fortschritte und Marktveränderungen berufliches Wissen und Kompetenzen rascher veralten. Unternehmen müssen daher ihre Mitarbeitende schneller und häufiger schulen und können hier kaum Schritt halten.
Der Learning & Developement-Bereich hat sich auch in der DACH-Region in Folge der Pandemie rasant digitalisiert. Durch das Arbeiten im Homeoffice, findet eine Abkehr vom klassischen Präsenztraining statt, sodass Unternehmen zu asynchronen, digitalen Formaten tendieren. Das Spannende ist allerdings die veränderte Erwartungshaltung der Lernenden. Diese ist stark durch den Umgang mit sozialen Medien geprägt und fordert nicht nur Möglichkeiten zur Interaktion, sondern auch aktive Vorschläge seitens der Lernsysteme. Der Lernende wird folglich aktiver und steuert nicht nur den Rhythmus, sondern auch die Auswahl der Inhalte aktiv.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Aus Sicht der Unternehmen ist diese Wende eine große Herausforderung, da sie die Art wie gelernt wird, grundlegend verändert und ein weiteres Problem offenbart: Die meisten Unternehmen wissen nicht, wo sie ansetzen sollen, da sie zu wenig Daten über die aktuellen Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden haben. In der Regel werden Themen, die über Compliance und Arbeitssicherheit hinausgehen, nicht erfasst. Dies stellt besonders angesichts der sich schnell ändernden Anforderungen ein Risiko dar.
Die Summe dieser Entwicklungen macht aus unserer Sicht die Workforce-Readiness-Lücke aus, da die Unternehmen häufig den aktuellen Kenntnisstand nicht erfassen und daher nicht wissen, wo sie anfangen sollen.
Auch Mitarbeiterbedürfnisse und die Wirksamkeit von Weiterbildungsprogrammen scheinen nicht im Einklang miteinander zu stehen. Was hat Ihre Studie dazu genau ergeben und wie können Unternehmen an dieser Stelle am besten gegensteuern?
Während 73 Prozent der Arbeitgeber in unserer Studie angaben, angemessene Schulungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bereitzustellen, glauben nur 36 Prozent der Arbeitnehmenden, dass sie die richtige Art und den richtigen Umfang an Schulungen erhalten, um ihre Arbeit gut auszuführen. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass eine Kluft zwischen der von den Arbeitgebern wahrgenommenen Effektivität der Schulungsprogramme und den tatsächlichen Bedürfnissen und Erwartungen der Arbeitnehmer bestehen könnte.
Die Anforderung seitens der Lernenden geht eindeutig in Richtung Individualisierung und selbstbestimmtes Lernen. Für viele Organisationen ist das eine große Überwindung, einen Bereich, der vorher auf der direkten Zuweisung von Lerninhalten beruht hat, in Teilen loszulassen. In diesem Zusammenhang spreche ich bewusst von einem teilweisen Loslassen, da wir gleichzeitig eine verstärkte Rückkehr zum Siebzig-Zwanzig-Zehn Modell beobachten. Dabei stehen die zehn Prozent für die Pflichtschulungen, 20 Prozent für das Lernen durch soziale Interaktion und 70 Prozent für erfahrungsbasiertes Lernen am Arbeitsplatz.
Zudem ist essenziell für Unternehmen, die Lernkultur als fortlaufenden und kontinuierlichen Prozess im Unternehmen zu etablieren, der in den Arbeitsalltag integriert ist. Dadurch werden Innovations- und Anpassungsfähigkeit in einem sich schnell wandelnden Umfeld gefördert, während gleichzeitig die Mitarbeitendenbindung und -zufriedenheit durch persönliche und berufliche Wachstumschancen erhöht werden.
Welche Skills fehlen aktuell in Unternehmen und müssen daher noch gezielt aufgebaut werden?
Viele Unternehmen sehen sich mit den Herausforderungen der Workforce-Readiness-Lücke konfrontiert und möchten diese überwinden. Leider ist es so, dass es kein universelles Skill-Set gibt, das hier Abhilfe schaffen kann. Wichtig ist eher, wie man auf diese Herausforderungen reagiert. Ein Unternehmen, das die Transformation zu einer skill-basierten Organisation in Angriff nehmen möchte, kann dies immer nur in Verbindung mit einer starken Lernstrategie erreichen. Dies beinhaltet, dass wir traditionelle, zugewiesene Schulungen nur als einen kleinen Teil des Lernens verstehen müssen. Dadurch verändert sich berufliche Weiterbildung von einem punktuellen Ereignis, etwa der Pflichtschulung am Jahresende, zu einer kontinuierlichen Erfahrung.
Wie können Unternehmen Fähigkeiten und Kompetenzen ermitteln, die sie für die Zukunft benötigen?
Ein wichtiger Aspekt liegt hier im Bereich der Daten. Für die Unternehmen ist es wichtig, Transparenz in Bezug auf die Skill-Daten der Mitarbeitenden zu haben, da sie die Grundlage für alle weiteren Aktivitäten sind. Erst wenn die Frage "Wo stehen wir heute?" beantwortet ist, kann auch die Frage "Was brauchen wir in fünf bis sechs Monaten?" beantwortet werden. Technologie ist hier allerdings nur ein Baustein, da wir über einen großen Veränderungsprozess reden. Dieser kann nur über eine transparente Kommunikation und Begleitung erfolgreich sein. Auch das Thema Künstliche Intelligenz kann hier nur ein Beschleuniger sein, aber nicht das alleinige Mittel zum Ziel.
Was können Beschäftigte selbst tun, um ihre Erwerbsfähigkeit zu sichern - gerade auch in Hinblick auf Künstliche Intelligenz?
Die Geschwindigkeit, mit der KI Einzug in unseren Arbeitsalltag gehalten hat und immer noch findet, ist schon sehr erstaunlich. Daher überrascht es mich nicht, dass viele Arbeitnehmende sich Gedanken darüber machen, wie dies ihren Arbeitsalltag verändern wird. Tatsache ist aber auch, dass wir in vielen Bereichen unseres Lebens bereits mit KI umgehen und es ein Hilfsmittel ist, Dinge zu beschleunigen und zu automatisieren.
In diesem Zusammenhang finde ich die Aussage von Karim Lakhani von der Harvard Business School wichtig "AI won’t replace humans - but humans with AI will replace humans without AI", die er im "Harvard Business Review" Ausgabe 08/2023 machte. Aus diesem Grund steckt hier ein riesiges Potenzial. Zu erkennen, wie man im eigenen Arbeitsalltag KI nutzen kann und welche Vorteile es mit sich bringen kann, hat zumindest meine Neugier geweckt. Und genau in diesem Punkt liegt der Kern des Lernens und der Veränderung - in der Neugier auf das Neue und Unbekannte.