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21.10.2019 | Auslandsgeschäft | Nachricht | Online-Artikel

Brexit-Deal auf dünnem Eis

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4:30 Min. Lesedauer

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Nach den Ergebnissen der Brexit-Verhandlungen blickten am Wochenende alle Augen nach London. Doch das britische Parlament weigerte sich, den neuen Deal abzunicken. Die Folge ist eine weitere Verzögerung.

Die Unterhändler der Europäischen Union und Großbritanniens haben sich auf einen Brexit-Deal geeinigt, der im Wesentlichen dem Vorschlag von Johnson-Vorgängerin Theresa May folgt. Der entscheidende Unterschied ist, dass der sogenannte Backstop darin nicht mehr vorkommt. Vielmehr soll Nordirland sowohl im britischen Zollgebiet sein als auch EU-Regelungen unterliegen. Künftig werden Waren, die ins Land kommen, danach bewertet, ob sie nach Großbritannien oder in ein EU-Land gehen. Die Nordiren sollen im Vier-Jahres-Rhythmus über den Deal abstimmen. Darüber hinaus, so sieht es die Einigung vor, wollen beide Seiten von Quoten und Zöllen absehen. 

Während Kontinentaleuropa dem neuen Deal bereits zugestimmt hat, sieht es in Großbritannien gewohnt anders aus. So ist das Abkommen erneut beim Unterhaus durchgefallen. Bereits Johnsons Vorgängerin Theresa May hatten die Nein-Sager in der Opposition und Hardliner in den eigenen Reihen drei Mal die Zustimmung verweigert. Im Umfeld seiner ersten Samstagssitzung seit 37 Jahren stießen bei Großdemonstrationen erneut tausende von Brexit-Gegnern auf Befürworter eines schnellen Austritts. 

Nun will Boris Johnson spätestens am Dienstag den neu ausgehandelten Deal ratifizieren lassen, damit der Weg für einen geregelten Brexit bis Monatsende frei ist. Dabei betonte der Premierminister, dass die am Samstagabend beantragte Verlängerung der Austrittsperiode nicht von ihm, sondern vom Parlament komme.

Auf die Detailregelungen kommt es an

Ob damit der harte Brexit abgewendet ist, daran hegt Bert Van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik (CEP) in einem aktuellen Kommentar zur Lage seine Zweifel. Dennoch lobte er die Flexibilität bei den Verhandlungen vergangener Woche. Mit der Verpflichtung, in Nordirland weite Teile des EU-Rechts anzuwenden, habe Premier Boris Johnson ein Stück Souveränität aufgegeben. "Wichtig war, dass auch die EU sich bewegte und zulässt, dass britische Beamten darüber entscheiden, ob ein Risiko besteht, dass Importe aus Drittstaaten nach Nordirland weiter in die EU transportiert werden", so Van Roosebeke. Das sei für die Europäer lange unvorstellbar gewesen. 

Werde das Austrittsabkommen angenommen, müssten sich beide Seiten der Herausforderung stellen, die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu regeln. "Auch diese Verhandlungen dürften alles andere als einfach werden. Zu klären ist etwa die Frage, ob und unter welchen Umständen London bestehendes EU-Recht übernehmen will. Ohne eine solche regulatorische Angleichung dürfte ein umfassender freier Handel mit der EU schwierig werden. Dabei war die Möglichkeit, eigenes Recht zu setzen, gerade ein wichtiger Beweggrund für den Brexit", prognostiziert Van Roosebeke.

"Wahrscheinlich werden die Konservativen einen sehr hohen Preis zahlen müssen, um den Deal über die Ziellinie bringen zu können", vermutet Sébastien Galy, Senior-Makrostratege bei Nordea Asset Management. Bekommt der Plan grünes Licht, wäre ein "nicht zu vernachlässigender Aufwärtstrend für das Pfund Sterling und risikoreiche Anlagen in Großbritannien" die Folge, heißt es. Aber auch für europäische Aktien würde das kurz- und mittelfristig beflügeln, "da sich die Schockstarre, die die britische Wirtschaft aktuell lähmt, auflösen würde".

Neuer Deal ist alter Wein in neuen Schläuchen

Weniger positiv sieht Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW Kiel, die Lage. Zwar sei erfreulich, dass sich die EU-Kommission und die britische Regierung bewegt und auf einen neuen Deal geeinigt haben. "Ob damit allerdings ein harter Brexit vom Tisch ist, bleibt weiter unklar. Denn der Deal scheint leider in der Tendenz alter Wein in neuen Schläuchen zu sein", bemängelt der Wirtschaftsfachmann. 

Falle der Deal am Ende aus, werde dies den Briten als auch der EU schaden. "Die Regierung Johnsons hat schon durchblicken lassen, im Falle eines No-Deals weitestgehend auf Zölle und Zollkontrollen zu verzichten. Dies würde dazu führen, dass der ökonomische Schaden auf beiden Seiten prozentual ungefähr gleich ist", vermutet Felbermayr. Auch wären ausstehende Zahlungen Großbritanniens an die EU oder die Rechte von EU-Bürgern auf der Insel nicht geregelt.

"Ob mit oder ohne Deal – die Unsicherheit der vergangenen Wochen und Monate wird uns erhalten bleiben. Auch wenn der Deal das britische Unterhaus passiert, er wäre ja zeitlich begrenzt und soll innerhalb eines definierten Zeitraumes durch den Abschluss eines Handelsabkommens abgelöst werden", mein der IfW-Experte. So sei mit der nächsten Hängepartie zu rechnen. "Denn ob dies klappt, und mit welchem Ergebnis, ist völlig offen. Die Einigung auf ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ist mindestens so schwierig und kompliziert wie im Falle der Übergangslösung."

Einfluss auf Volks- und Raiffeisenbanken gering

"Wirtschaftlich würde ein ungeregelter Brexit das Vereinigte Königreich in eine schwere Rezession führen. Zudem ist der Brexit-Prozess bereits jetzt eine der größten politischen Krisen in der Geschichte Großbritanniens", erklärte Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), am Rande der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds in Washington. Sie rief die beteiligten Parteien zur Besonnenheit auf. Wichtigstes Ziel sei ein geregelter Austritt Großbritanniens. 

Die BVR-Präsidentin warnt vor allem vor den hohen Kosten eines ungeregelten Brexit für Großbritannien: "Der Güterhandel dürfte massiv einbrechen, wenn an den Grenzen zum Vereinigten Königreich Zölle erhoben und Kontrollen der Produktstandards durchgeführt werden müssten." Hierfür fehle es an der nötigen Infrastruktur sowie an geschultem Personal. Auch würde die Bereitschaft, auf der Insel zu investieren, weiter sinken - mit Auswirkungen auf das Pfund und die Inflation im Land. Wenig zu befürchten hat laut Kolak hingegen der genossenschaftliche Bankensektor in Deutschland, da nur wenige direkte Handelsbeziehungen nach Großbritannien bestehen. 

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