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16.08.2017 | Automatisiertes Fahren | Interview | Online-Artikel

"Künstliche Intelligenz mit Bedacht einsetzen"

verfasst von: Andreas Burkert

7 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
David Paja

ist seit Februar 2017 Senior Vice President und Leiter des Geschäftsbereiches Electronics & Safety (E&S) von Delphi.

David Paja von Delphi erklärt im Interview, welche wesentlichen Eigenschaften autonom fahrende Fahrzeuge beherrschen müssen und warum er künstliche Intelligenz mit Bedacht einsetzen möchte.

ATZ _ Herr Paja,Sie haben sich kürzlich zu einer Zusammenarbeit mit BMW, Intel und Mobileye entschlossen. Auch, um die gemeinsame Entwicklung einer Kooperationsform voranzutreiben, mit der skalierbare Lösungen für die gesamte Automobilindustrie angeboten werden können. Was ist darunter zu verstehen?

Paja _ Im Juli 2016 kündigten die BMW-Gruppe, Intel und Mobileye an, dass sie durch die Bündelung ihrer Kräfte ein hoch- und vollautomatisiertes Fahrsystem bis hin zur Serienreife im Jahre 2021 liefern können. Bei diesem gemeinsamen Projekt eines automatisierten Fahrzeugs hat Delphi die Rolle des Systemintegrators und Entwicklungspartners übernommen. Unter dieser Partnerschaft entsteht eine skalierbare Architektur, die von anderen Automobilherstellern und Mobilitätsanbietern für ihre Konstruktionen nach dem neuesten Stand der Technik und zur Markendifferenzierung übernommen werden kann. Dabei steuert Delphi das Fachwissen auf den Gebieten automatisiertes Fahren, Systemintegration und Komponentenentwicklung bei.

Welche Aufgabe übernimmt Delphi?

Unsere Aufgabe besteht in der Integration dieser Lösung in die unterschiedlichen Fahrzeugarchitekturen der Autohersteller. Ziel ist die Lieferung einer skalierbaren Plattform für automatisiertes Fahren der Stufen 3 und 4, die auf unterschiedlichen Ebenen zugänglich beziehungsweise einsetzbar ist. Das kann die komplette, schlüsselfertige Lösung einschließlich Sensoren, Hardware, Architektur, Erfassung des Fahrzeugumfelds, Regeln zum Fahrverhalten und aller weiteren Faktoren zur Ausführung eines Systems der Stufe 3 oder 4 sein. Oder lediglich Architektur und Grundplattform, auf der der Kunde seine eigene Lösung zum automatisierten Fahren installiert. 

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Schwerpunkt skalierbaren Architektur. Was sind denn deren wesentlichen Merkmale?

Unsere skalierbare Architektur ist so angelegt, dass sie von einfachen Fahrerassistenzsystemen bis hin zum autonomen Fahren der Stufe 5 anwendbar ist. Sie kann an Eingangsanwendungen wie auch voll ausgestattete Premiumanwendungen angepasst werden. Für das automatisierte Fahren auf Autobahnen und im Stadtverkehr wird das Basis-System durch Sensoren und redundante Rechenplattformen ergänzt. Das System ist flexibel, sicher, robust, ausbaufähig, kosteneffektiv und entspricht dem jeweils aktuellen Leistungsstand …

… und besteht im Wesentlichen aus welchen Hardware- und Software-Komponenten? 

Die Hauptbestandteile der Architektur enthalten unser skalierbares Sensoren-Set zur Fahrerassistenz (Radar- und Lidargeräte sowie Kameras), unsere Intel-basierten Steuergeräte mit Ottomatika-Software, und Technik von Mobileye Vision. Die Software wird zur Erzeugung eines virtuellen Modells des Fahrzeugumfelds und zur Vorausplanung des menschlichen Fahrverhaltens eingesetzt. Die Architektur berücksichtigt auch die größten Herausforderungen des automatisierten Fahrens, einschließlich wachsender Anforderungen, funktionaler Sicherheit (Redundanz) und Datensicherheit.

Wie wichtig ist die Straßeninfrastruktur außerhalb des Fahrzeugs im Hinblick auf das automatisierte Fahren und welchen Erfordernissen muss sie gerecht werden?

Automatisierte Fahrzeuge müssen in der Lage sein, die wesentlichen Elemente der Infrastruktur zu erkennen (Fahrbahnmarkierungen und -begrenzungen, Ampeln, Verkehrszeichen et cetera). Allerdings ist die Beschaffenheit dieser Infrastrukturpunkte entscheidend für die Fähigkeit des Fahrzeugs, sie lückenlos und genau in dem für den Einsatz im Verkehr erforderlichen Abstand zu erkennen. Wir wissen natürlich, dass die Infrastruktur nicht überall in idealem Zustand sein kann; deshalb muss unser System so ausgelegt sein, dass es mit dem Fahrzeugumfeld zurechtkommt, auf das ein menschlicher Fahrer jeden Tag trifft. Es gibt Fälle, in der neue Technik wie Car-to-X bei Ampeln, entscheidend zur verbesserten Leistung eines automatisierten Fahrzeugs beitragen kann. Aber nochmals: Das System muss auch einem Umfeld gerecht werden, in der diese Technik noch nicht vorhanden ist.

An dieser Stelle vertrauen viele Entwickler auf Systeme mit künstlicher Intelligenz. Welche Rolle spielen entsprechende Algorithmen bei der Bewältigung der komplexen Herausforderungen des automatisierten Fahrens?

Künstliche Intelligenz ist ein weit gefasster Begriff, der auf viele Bereiche in der Entwicklung automatisierter Systeme zutrifft und kann von der Erfassung einer Verkehrssituation bis zum Fahrverhalten eingesetzt werden. Künstliche Intelligenz verfügt über eine Methodik, die entscheidend zur einer verbesserten Einordnung von Objekten und dem Erkennen menschlichen Fahrverhaltens beiträgt, da sie über Verfahren zur Datenanalyse und Identifizierung von Faktoren verfügt, die für einen Menschen nicht erkennbar sind.

Allerdings sollte künstliche Intelligenz mit Bedacht eingesetzt werden. Automatisierte Fahrlösungen sollten in einzelne Elemente zerlegbar sein, die plangesteuert und validierbar sein müssen. Gibt man der künstlichen Intelligenz die Aufgabe, ein bestimmtes Fahrverhalten menschenähnlich zu gestalten, so ist dies eine gute Lösung, die verstanden und als Baustein validiert wird. Erhält die künstliche Intelligenz hingegen die Aufgabe, den gesamten Fahrvorgang zu bewältigen, so wird dies nicht gleichermaßen verstanden und eine Validierung ist äußerst schwierig.

Damit rückt auch geeignetes Datenmaterial in den Fokus? Wie aber kann es gesammelt oder qualifiziert werden?

Die Validierung der Tatsache, dass automatisierte Fahrzeuge sicherer und besser als ein durchschnittlicher menschlicher Fahrer operieren, ist eine entscheidende Herausforderung und bedingt die Erfassung abertausender realer Fahrsituationen unter Berücksichtigung unterschiedlichster Wetter-, Beleuchtungs-, Straßen- und Verkehrssituationen. Dazu müssen Millionen von Daten aus der Automobilwelt gesammelt werden. Die Erfassung und Analyse dieser Daten und Prüfung auf ihre Verwertbarkeit ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Delphi hat sich darauf mit der Entwicklung von Programmen und Verfahren zur Datenerfassung und Datenspeicherung sowie der Einrichtung von Rechenkapazitäten zur Analyse dieser Daten vorbereitet – jedoch bleibt noch sehr viel mehr zu tun.

Welches sind die organisatorischen Voraussetzungen bei den Automobilherstellern zur Integration von Systemen für das automatisierte Fahren in ihren Fahrzeugen? 

Automatisierte Systeme sind Systeme mit der höchsten Komplexität, die jemals in der Automobilindustrie entwickelt wurden. Viele dieser organisatorischen Voraussetzungen bestehen schon heute, jedoch müssen sie fortwährend an die Komplexität angepasst werden. So sind beispielsweise in den Bereichen funktionale Sicherheit, Datensicherheit, Validierung und Fahrzeugtest erhebliche Investitionen und Kapazitäten (Ausrüstung, Verfahren, Ressourcen) gefordert. Zusätzlich benötigen die steigenden Anforderungen an die Software fortwährende Updates, was wiederum zusätzliche Investitionen in die IT- und Kundenbetreuung bedingt. Mit der Einführung der neuen Fahrzeugeigenschaften benötigen auch die Händler zusätzliche Unterstützung zur Unterrichtung der Endkunden.

Verfügt denn Ihrer Meinung nach die Automobilindustrie über genügend Fachleute auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und Datenverarbeitung, um der Nachfrage nach automatisierten Fahrzeugen innerhalb des geplanten Zeitraums nachzukommen?

Die Nachfrage nach Schlüsselsystemen und Software-Kompetenzen (von denen künstliche Intelligenz nur eine ist) ist niemals so hoch gewesen. Die Automobilindustrie konkurriert mit vielen anderen Industriezweigen mit ähnlichem Bedarf um diese Talente. Obwohl dies nur einen Teil der Umsetzung von Systemen/Software in der Automobilindustrie darstellt, müssen wir und andere sehr hart daran arbeiten, dieser entscheidenden Anforderung durch Kompetenzentwicklung und Akquisition von Talenten zu begegnen. 

Entsprechen die aktuell verfügbaren optischen Systeme den Anforderungen künftiger Systeme automatisierter Fahrzeuge? Falls nicht, inwiefern müssen sie optimiert werden?

Noch nicht. Maschinelle Sicht-/Kameralösungen erhalten immer schneller höhere Auflösungen (ähnlich, aber noch mit Verzögerung hinter dem Trend, der bei Konsumgütern zu beobachten ist) und die Nachfrage nach optischen Komponenten steigt gleichermaßen. Die Fahrzeuge müssen mit neuen Sensoren (wie Lidar) ausgestattet werden; infolge dessen entstehen neue Anforderungen an optische Komponenten (Linsen, Empfänger, Laser, Scanner). Zwar schreitet die Entwicklung zur Erreichung dieser technischen Voraussetzungen voran, aber wir sind noch nicht da, wo wir sein müssen.

Welche Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach zum Schutz der Systeme gegen Missbrauch/Hackerattacken ergriffen werden?

Diese Angriffe können auf unterschiedliche Art erfolgen: Erstens durch das Hacking des Kommunikationssystems entweder von innerhalb des Fahrzeugs oder über fahrzeugeigene beziehungsweise fahrzeugfremde Kommunikationskanäle zur Einleitung zweckwidriger Verhaltensweisen. Und zweitens durch "manipulierte" Sensoren, um das System mittels eines Tricks zu zweckwidrigem Verhalten zu bringen. Bei der ersten Form eines Angriffs kann die Automobilindustrie schnell Lösungen zur Datensicherheit implementieren und so die Fahrzeuge vor derartigen Aufschaltungen schützen. Bei der zweiten Form ist die Sensorkonstruktion entscheidend, also die Entwicklung eines Sensors, der unempfindlich gegen einfache Manipulationsverfahren ist (Laserpointer zu Irreführung eines Lidars, RF-Rauschen zur Täuschung eines Radars). Systeme mit kohärenter Erkennung oder integrierter Signalkodierung sind genau für solcherlei Simulationsmethodik nicht empfänglich.

In welchen Ländern sollte das automatisierte Fahren zuerst eingeführt werden?

Wir beobachten große Aktivitäten in aller Welt. Sie wissen sicher, dass wir an Pilotprojekten in Singapur und Frankreich arbeiten. Es gibt enorme globale staatliche und private Investitionen, alle mit dem Ziel, auf diesem Gebiet die Führung zu übernehmen. Das vollautomatisierte Fahren wird wohl zuerst bei kommerziellen Anwendungen zum Tragen kommen.

Herr Paja, herzlichen Dank für das Gespräch

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