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05.07.2016 | Automatisiertes Fahren | Kommentar | Online-Artikel

Ein Assistent ist kein Pilot

verfasst von: Christiane Brünglinghaus, Markus Schöttle

6 Min. Lesedauer

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Tesla hat seinen Autopiloten immer als Roboterfahrzeug inszeniert. Das rächt sich nun, wie der Unfall des Tesla Model S deutlich macht. Das ist Anlass zum Innehalten und zur Kritik. Ein Kommentar.

Die Medienberichte von vergangener Woche zum verunglückten Tesla Model S überschlugen sich: "Erster tödlicher Unfall mit selbstfahrendem Auto", hieß es. "Wie sicher sind autonom fahrende Autos?", fragten viele Medien und einige Meldungen titelten: "Todesfalle autonomes Fahren?". Dass es dieser Verkehrsunfall in die internationalen Nachrichten geschafft hat, überrascht nicht. Er hat es in die Medien geschafft, weil der Unfall unter besonderen Umständen passierte. Denn während des Unfalls war die Autopilot-Funktion des Teslas aktiviert. Der Unfall hat es aber auch in die Medien geschafft, weil sich der Elektroauto-Hersteller Tesla perfekt selbst inszeniert.

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Wie erst jetzt bekannt wurde, ist bereits im Mai in Florida ein Tesla Model S verunglückt, während der Autopilot aktiviert war. Der Fahrer wurde dabei tödlich verletzt. Die US-amerikanische Verkehrsaufsicht NHTSA ermittelt. Zum Unfallhergang berichtet Tesla selbst, dass ein Model S in den Anhänger eines die Straße überquerenden Lkw gefahren sei. Mutmaßlich habe der Autopilot die weiße Außenhülle des Lkw nicht vom taghellen Himmel unterscheiden können. Jüngsten Erkenntnissen zufolge hielt das Fahrerassistenz-System den querenden Lastwagen-Anhänger für ein hohes Autobahn-Schild, sodass keine automatische Bremsung ausgelöst wurde.

Begriff "Autopilot" führt in die Irre

Weltweit wurde der Autopilot von Tesla als der große Schritt zum selbstfahrenden Auto gefeiert. Vollmundige Versprechen von Elon Musk schürten den Hype um neue Formen der Mobilität und das automatisierte Fahren. Allerdings: Der Name "Autopilot" verspricht mehr als er hält. Gerade deshalb wird Musk ihn wohl gewählt haben. Der Begriff "Autopilot" führt nämlich in die Irre, denn er suggeriert, dass es hier bereits um autonomes Fahren im Sinn eines Roboterautos geht. Tatsächlich handelt es sich um ein teilautomatisiertes System. Das heißt: Es übernimmt die Quer- und Längsführung des Fahrzeugs, also im Wesentlichen das Lenken und Bremsen. Dabei muss der Fahrer das System ständig überwachen und die Fahraufgabe parallel zur Automatisierung der Fahrzeugsteuerung permanent ausführen. Macht das Auto einen Fehler, muss der Mensch eingreifen.

Das System des Tesla ist nicht "selbstfahrend"

Dass man das System nicht als "Autopilot" verkaufen kann, betont auch Andre Seeck, Leiter der Abteilung Fahrzeugtechnik der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast). "In der Bast haben wir uns nie Illusionen hingegeben, dass es sich bei dem System des Tesla Model S um ein 'selbstfahrendes' Auto - also ein System des Level 5 - handelt. Der Tesla besitzt lediglich ein System der Teilautomatisierung (Level 2)", kommentiert Seeck. Der Fahrer muss also die Kontrolle und Verantwortung über das Fahrzeug behalten. So argumentiert jetzt auch Tesla und betont, dass sich die Autopilot-Funktion noch in der Betaphase befindet.

"Der 'Autopilot' von Tesla suggeriert dem Verbraucher trotz mancher Warnhinweise hochautomatisiertes Fahren", schlussfolgert auch der ADAC. Grund dafür: Die Hände bräuchten längere Zeit nicht am Lenkrad zu sein. Außerdem könne der großflächige Bildschirm während der Fahrt zum Surfen im Internet verführen. Der Automobilclub hat den Autopiloten des Tesla Model S Anfang des Jahres überprüft.

Wie sorglos viele Fahrer tatsächlich sind, zeigen zahlreiche Videos, in denen Menschen sich dabei filmen, wie sie freihändig über Highways und Landstraßen fahren. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Wie wurde und wird dem (Tesla-)Fahrer vermittelt, dass das Fahren mit Autopilot eine ständige Kontrolle seitens des Fahrers erfordert? Wie aufmerksam der Fahrer des Tesla war, ist daher eine der Schlüsselfragen, um die Schuld am Unfall zu klären.

Knackpunkt Mensch-Maschine-Schnittstelle

Gerade dieser Übergang vom automatisierten zum manuellen Fahren ist ein hochaktueller Gegenstand der Forschung - und er birgt Gefahren. Denn wie holt man den Fahrer im Notfall wieder in den Loop zurück? "Das ist in der Tat gefährlich. Deswegen betone ich, dass Szenarien, in denen sich der Fahrer zurücklehnen darf oder sich anderen Dingen während der Fahrt widmen kann, meiner Ansicht nach noch in ferner Zukunft liegen", sagt Dr. Peter Mertens, Senior Vice President, Research & Development der Volvo Car Group, im Interview Der Aufbau eigener Software- und IT- Kompetenz ist ein Wettbewerbsvorteil aus der ATZ 4-2016.

Doch diese ferne Zukunft scheint wohl für die Gemeinde der Tesla-Jünger Gegenwart zu sein. Das Versagen von Tesla besteht daher vor allem darin, seinen Kunden wohl nicht klar genug gemacht zu haben, dass sie sich nicht einfach zurücklehnen können. Wie richtig sich daher die eher defensiv wie verantwortungsvollen Einschätzungen der etablierten Autohersteller in puncto automatisiertem Fahren in der Vergangenheit erwiesen, macht nun der Tesla-Unfall deutlich. Sollte der Unfall für Elon Musk ein Weckruf zu mehr Vorsicht und Bescheidenheit sein, hätte er vielleicht schon etwas bewirkt.

Aufklärungsarbeit

Bescheidenheit und Bodenhaftung galt es selbst in Ingenieurskreisen und bei Entscheidungsträgern zu üben, um den Hype des automatisierten Fahrens einzuordnen. Die entsprechend notwendige Aufklärungsarbeit wird mit Branchenexperten seit Jahren von ATZ und ATZelektronik initiiert und moderiert. So beispielsweise auf der 1. ATZ-Fahrerassistenztagung 2015 in Frankfurt am Main. Dort provozierte die Podiumsdiskussion, die Roadmap in Richtung des automatisierten Fahrens doch zu überdenken. Schützenhilfe leistete die Keynote von Professor Dr. Thomas Form, Leiter Forschung Elektronik und Fahrzeug der Volkswagen Konzernforschung. Und noch deutlicher die von Stephan Wolfsried, Leiter Fahrzeugfunktionen und Fahrwerk bei Daimler. Er mahnte zu einer realistischeren Einschätzung der verantwortlichen Umsetzung von hochautomatisierten Fahrfunktionen. Man habe eine zu hohe Erwartungshaltung geweckt, in Kreisen von Entwicklern sowie auch bei potenziellen Kunden und Erstanwendern. "Nicht nur die Gesetzgebung, sondern unser Anspruch an funktionale Sicherheit wird das automatisierte Fahren begrenzen", machte Wolfsried deutlich.

Zur Aufklärungsarbeit trägt auch Elmar Frickenstein bei, im Interview Das automatisierte Fahren wird die Automobilindustrie revolutionieren aus der ATZelektronik 3-2016 sowie in seiner Eröffnungsrede der 2. ATZ-Fahrerassistenztagung 2016 in Frankfurt am Main. "Wir müssen unbedingt zu einer agilen Software- und Funktionsentwicklung kommen. Das ist meine Aufgabe. Die agilen Prozesse haben wir noch nicht eingeführt", erklärt der neu ernannte BMW-Bereichsleiter für vollautomatisiertes Fahren und Fahrerassistenz. Dies sei einer der wichtigsten Schlüssel zum hochautomatisierten Fahren. "Ebenso gilt es, eine neue Backendinfrastruktur aufzubauen. Wir brauchen zudem ein leistungsfähigeres Energie- und Datennetz. Machine Learning und Deep Learning, das sind die Disziplinen der Zukunft. Erst sie versetzen uns in die Lage, neue Algorithmen und neue Funktionen zu erschließen, die mit heutiger Softwaretechnik undenkbar sind."

Darüber hinaus benötige die Branche eine neue Chipgeneration, sogenannte Super-Computer, die es heute allerdings noch nicht gebe, ebenso einen verlässlichen Mobilfunkstandard 5G für sichere Connectivity. "Wir wissen erst in fünf Jahren, wie gut die Industrien hier bezüglich der genannten Zukunftsdisziplinen vorangekommen sind", sensibilisiert Frickenstein. Vorher gibt es keine Zusagen für Realisierungszeiträume für das hoch- und vollautomatisierte Fahren. "Wir müssen mit der IT-Industrie gemeinsam herausfinden, inwieweit uns die Zukunftstechnologien der IT- und CE-Welt tragen", ergänzt der BMW-Mann. Man fahre mit einem sogenannten Stretched Target. "Das heißt, die Grundfunktionen müssen wir abbilden können. Und dann werden wir sehen, was die nächsten Schritte sind", gibt Frickenstein vor.

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