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24.01.2017 | Automatisiertes Fahren | Schwerpunkt | Online-Artikel

Europäer sehen autonomes Fahren kritisch

verfasst von: Thomas Siebel

5 Min. Lesedauer

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Viele Europäer wollen sich die Straße nicht mit selbstfahrenden Autos teilen. Besonders kritisch sind einer Studie zufolge die deutschen Autofahrer. 

Über die Zukunft des Autofahrens sind sich die meisten Experten einig: Schrittweise wird sich das Fahren vom teilautomatisierten, über das hochautomatisierte bis hin zum vollautomatisierten – oder autonomen – Fahren entwickeln. Offen ist allein der Zeitrahmen und die Ausprägung dieser Entwicklung: "Werden Lkw-Fahrer schon in zehn Jahren während des Fahrens die Füße hochlegen? Bearbeiten 2025 auch schon Autofahrer ihre E-Mails auf der Autobahn, während sie im Stadtverkehr noch die Hände am Steuer halten? – Die Vorteile des autonomen Fahrens drängen sich auf: Künftig sollen deutlich weniger Unfälle passieren, es ist bereits von "Vision Zero" die Rede, also einer Zukunft ohne Verkehrsunfälle. Das autonome Fahren verspricht zudem weniger Stau und somit auch geringere verkehrsbedingte Umweltbelastungen. Und so mag es doch verwundern, dass viele Europäer dem autonomen Fahren skeptisch gegenüber stehen – und dass diese Skepsis in Deutschland offenbar besonders ausgeprägt ist. 

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Gesellschaftliche und individuelle Akzeptanz des autonomen Fahrens

„ A good science fiction story should be able to predict not the automobile but the traffic jam“, meint Frederik Pohl ([41], S. 287).

Dies ist zumindest ein Ergebnis der ThinkGoodMobility-Studie, die die London School of Economics in Kooperation mit dem Reifenhersteller Goodyear erstellt hat. Damit wollten die Studienleiter herausfinden, wie Menschen die Interaktion mit selbstfahrenden Fahrzeugen einschätzen. Insgesamt haben sich 12.000 Menschen  an der Online-Befragung beteiligt. Kerstin Flötner, Director PR & Communications bei Goodyear und Co-Autorin der Studie hat am 19. Januar in München die Ergebnisse präsentiert – und widmete sich dabei besonders den Antworten der etwa 1500 deutschen Teilnehmer. 

Deutsche verlangen nach Fahrspaß

Dass autonom fahrende Autos bessere Entscheidungen treffen als Menschen, bezweifeln die meisten Studienteilnehmer. Nach Ansicht von rund 60 Prozent der Befragten fehlt Maschinen der "gesunde Menschenverstand", der im Straßenverkehr nötig sei, um mit menschlichen Fahrern zu interagieren. Die Straße sei nämlich ein soziales Umfeld: Neben den Verkehrsregeln herrschten hier auch ungeschriebene Regeln, etwa die durch Maschinen kaum zu erschließende Verständigung per Blickkontakt.   

Während die Deutschen mit dieser Einschätzung in etwa dem Durchschnitt aller Länder entsprechen, sehen sie einen anderen Aspekt deutlich kritischer: 72 Prozent der Deutschen finden, dass man während der Fahrt in der Lage sein muss, mit anderen Verkehrsteilnehmern zu kommunizieren (Gesamtstudie: 51 Prozent). 65 Prozent erachten den Augenkontakt zu anderen Fahrern als ein wichtiges Element beim Fahren (Gesamtstudie: 55 Prozent). Insgesamt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Deutschen von allen elf befragten Ländern dem autonomen Fahren gegenüber am wenigsten aufgeschlossen sind.  

Dies sei angesichts eines weiteren Ergebnisses der Studie jedoch nicht überraschend. Eines ist den Deutschen demnach nämlich wichtiger als den Teilnehmern aller anderen Länder: Der Spaß am Fahren. Und dieser verlöre mit dem fahrerlosen Auto wohl seine Grundlage. 
Flötner bereitet die deutsche Skepsis mit Hinblick auf die heimischen OEMs und Zulieferer keine Sorge. Die betreffenden Unternehmen seien international aufgestellt, also nicht allein vom deutschen Markt abhängig. Zudem würden ohnehin zunächst kommerzielle Fahrzeuge mit Funktionen für das automatisierte Fahren ausgestattet, etwa Landmaschinen, Stadtbusse und Lkw. Die Ergebnisse der Studie zeigten zudem, dass die Fahrer eher bereit sind, sich auf autonome Fahrzeuge einzulassen, wenn sie einen Nutzen für die Verkehrssicherheit und die eigene Mobilität sehen. Mit einer entsprechenden Kommunikation wüchse dann auch die öffentliche Zustimmung.

Bessere Kommunikation führt zu höherer Akzeptanz

Eine Schwierigkeit bei der Ergründung der öffentlichen Meinung zum autonomen Fahren sehen Eva Fraedrich und Babara Lenz in der uneinheitlichen Verwendung des Begriffs "autonomes Fahren". Bevor nicht klar sei, wie sich das autonome Fahren auf die Gesellschaft und die einzelne Person auswirke, so die Autorinnen in Gesellschaftliche und individuelle Akzeptanz des autonomen Fahrens aus dem Buch Autonomes Fahren, könne man die allgemeine Akzeptanz der neuen Technik nur erahnen.

Und dennoch ist es laut Professor Dr. Stefan Bratzel wichtig, die öffentliche Meinung neben den technischen Aspekten des autonomen Fahrens nicht zu vernachlässigen. Bereits in der ATZelektronik 5-2012 stellt er in seinem Gastkommentar fest, dass technische Probleme des autonomen Fahrens vielfach bereits gelöst sind. Für eine hohe Akzeptanz und eine schnelle Verbreitung müssten jedoch gleichzeitig auch die Vorteile des autonomen Fahrens kommuniziert werden. 

Durch autonomes oder pilotiertes Fahren wird die Idee eines 'wirklich' selbst fahrenden Automobils schrittweise Realität. Dabei gilt es aber, Ängste abzubauen und Nutzwerte nachhaltig herauszustellen," betont Bratzel.

Auch Dr.-Ing. Peter Rößger warnt in Autonomes Fahren – Wie viel Autonomie das Autofahren verträgt in der ATZelektronik 2-2015 vor einer rein technikgetriebenen Entwicklung des autonomen Fahrens. Insbesondere drängt er auf die Klärung einiger kritischer Punkte im Verhältnis von Fahrer und Fahrzeug; etwa die Frage, wie der Fahrer sicher wieder in die Fahraufgabe zurückgeholt werden kann und wie sich Fehlalarme reduzieren lassen. 

Trotz verbreiteter Bedenken hält Armin Grunwald die technischen Risiken des autonomen Fahrens für überschaubar – und blickt optimistisch auf die künftige gesellschaftliche Akzeptanz. Im Kapitel Gesellschaftliche Risikokonstellation für autonomes Fahren – Analyse, Einordnung und Bewertung im Buch Autonomes Fahren rechnet er zwar auch bei selbstfahrenden Autos weiterhin mit Unfällen, jedoch stelle dies in Anbetracht der dann geringen Zahl involvierter Menschen und betroffener Sachwerte kein hohes gesellschaftliches Risiko dar. Risiken im Zusammenhang mit der digitalen Vernetzung – systemische Risiken, Datenschutz, Überwachung –  wirken sich seiner Ansicht nach nicht auf die Akzeptanz des autonomen Fahrens aus, da sie zeitgleich auch in zahlreichen anderen Handlungsfeldern auftreten. Als unberechenbar beschreibt Grundwald hingegen eine Bereitschaft der Medien zur Skandalisierung, die sich seiner Ansicht nach jedoch weniger gegen die Technik des autonomen Fahrens richten dürfte, sondern eher gegen jeweils betroffene Marken. Schlüssel für eine hohe Akzeptanz sieht Grunwald in einer frühzeitigen und offenen Kommunikation mit Gesellschaft und Medien.

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