Der Einsatz autonomer Fahrzeuge beschränkt sich hierzulande auf spezielle Events oder punktuelle Einsatzszenarien. Das liegt vor allem an unterschiedlichen Ansätzen, aber auch an Sicherheitsfragen.
Im kalifornischen San Francisco sind sie quasi schon etablierte Verkehrsteilnehmer, obwohl im eigentlichen Sinn von einem "Teilnehmer" nicht die Rede sein kann. Gemeint sind fahrerlose, also autonome Taxis, die sich ganz selbstverständlich im Getümmel aus Autos, Fahrrädern, Lkw und Fußgängern bewegen. Per App bestellen Nutzerinnen und Nutzer das selbstfahrende Taxi an einen bestimmten Ort, steigen ein und lassen sich zum Zielpunkt chauffieren.
Das ist auch in den USA noch keine Selbstverständlichkeit, und in Deutschland schon gar nicht. Das hat ganz wesentlich mit den beiden grundverschiedenen Herangehensweisen an das autonome Fahren zu tun, die in der Branche vorherrschen. Der evolutionäre Ansatz baut vereinfacht gesagt auf Fahrerassistenzsystemen (FAS) der Stufe 2 auf, und die Autos werden stetig weiterentwickelt, bis sie die Stufen 3, 4 und irgendwann einmal 5, also das unbeschränkte, autonome Fahren erreichen. Der Hersteller nutzt also die Daten aus der Kundenflotte für die Verbesserung der Systeme in der Entwicklung. Beim evolutionären Ansatz sind deutsche Hersteller führend und bieten bereits autonomes Fahren der Stufe 3 bis zu bestimmten Geschwindigkeiten, zum Beispiel 60 km/h, an.
Dagegen beruht der disruptive Ansatz auf der Einsicht, dass autonomes Fahren grundsätzlich etwas anderes ist als nur ein verbessertes FAS. Hier setzt man auf die Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Forschung in künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik: Erreichbar sind KI-Anwendungen in "schmalen Domänen", das heißt sehr genau und sehr eng definierten Anwendungsbereichen. Sehr schwierig dagegen sind sogenannte "Open-world"-KI-Anwendungen, die allgemeines Weltwissen und gesunden Menschenverstand benötigen. Die Fahrzeuge im evolutionären Ansatz sind in der "open world" unterwegs; die entsprechend hohe Schwierigkeit der Automatisierungs-Aufgabe wird dadurch vermindert, dass man den menschlichen Fahrer als Back-up-Lösung benutzt. Beim disruptiven Ansatz hingegen braucht man keinen Menschen im Fahrzeug; man vereinfacht die Automatisierungs-Aufgabe, indem man die Einsatzszenarien (die sogenannte Operational Design Domain) einschränkt.
Simulation gewinnt an Bedeutung
Der evolutionäre Ansatz wird noch lange Zeit auf Level 2 oder auf eingeschränktem Level 3 verharren. Dieser Ansatz unterschätzt, welche Intelligenzleistung wir Menschen beim Open-world-Autofahren erbringen. Der disruptive Ansatz dagegen wird in den nächsten Jahren auf vielfältige Weise den Markt erobern: als Robotaxis oder auf bestimmte Strecken beschränkte Shuttles in Städten, aber insbesondere auch für schmal definierte Anwendungen in Bereichen ohne öffentlichen Verkehr, zum Beispiel in Logistikzentren, Flughäfen und Schiffshäfen. Laut Waymo haben im Jahr 2023 Autos mit Passagieren ohne Fahrer 700.000 Fahrten zurückgelegt. Die fahrerlos gefahrene Strecke summiert sich auf mehr als sieben Millionen Meilen, und zwar in den amerikanischen Städten Phoenix, San Francisco und Los Angeles. Und neben Waymo gibt es eine ganze Anzahl weiterer Player, die diesem Ansatz folgen.
Beiden Herangehensweisen an das autonome Fahren ist gemeinsam, dass sie zumindest teilweise neue Ansätze und Methoden der Absicherung und Safety erfordern. Insbesondere wird die Simulation für das autonome Fahren an Bedeutung gewinnen. Und das aus folgendem Grund: Wenn man eine einzelne Fahrerassistenz-Funktion absichert, kann man gut beschreiben, was diese Funktion können soll und in welchem Kontext sie operiert. Beispielsweise muss ein Adaptive Cruise Control (ACC)-System über einen Sensor ein vorausfahrendes Fahrzeug als solches erkennen, dessen Geschwindigkeit und den Abstand messen und daraus abgeleitet die eigene Geschwindigkeit regeln. In der Entwicklung kann man die technische Wirkungsweise des ACC-Systems beschreiben und seine Komponenten und das Gesamtsystem testen. Eine gewisse Variabilität des Kontexts ist zwar vorhanden, aber sie beschränkt sich auf unterschiedliche Arten des vorausfahrenden Fahrzeugs, unterschiedliche Wetterverhältnisse und so weiter.
Komplexität bremst autonomes Fahren
Beim autonomen Fahren dagegen ist sowohl das entwickelte technische System wie auch der Kontext, in dem das System operiert, um ein Vielfaches komplexer. Das beginnt beim Erkennen der Verkehrssituation (Fahrbahnen, Kreuzungen, Ampeln, Verkehrszeichen) und Verkehrsteilnehmern (Fahrzeugen, Fußgängern) und deren Intentionen und reicht bis zum Planen und Ausführen der eigenen Bewegung (Beschleunigen, Bremsen, Lenken). Das gesamte Verhalten des autonomen Fahrzeugs muss in allen denkbaren Verkehrssituationen ("Szenarien") getestet werden.
Dabei stellen sich folgende, entscheidende Fragen:
- Wie akkurat ist das reale Szenario im Simulationsszenario abgebildet? Mit anderen Worten, wie sicher bin ich, dass ein Unfall, der im realen Szenario passieren würde, auch in der Simulation auftritt? ("Fidelity").
- Kommen alle Szenarien, die in der Realität auftauchen können, auch in der Simulationsszenarien-Datenbank vor? Mit anderen Worten, werden alle Situationen, in denen sich das Fahrzeug falsch verhält, schon in der Simulation entdeckt? ("Coverage").
- Was sind geeignete Tools, um aus Millionen von Simulationsergebnissen schnell automatisch die richtigen Schlüsse für die weitere Entwicklung zu ziehen? ("Triage").
Schließlich muss in der Gesamt-Bewertung des entwickelten Systems die richtige Gewichtung von Simulation, Tests auf einer geschlossenen Teststrecke und Tests im öffentlichen Verkehr gefunden werden. Alle diese Arten von Testergebnissen tragen zu einer statistischen Sicherheitsbewertung bei.
Hinzu kommt, dass die Entwicklung dieser autonomen Systeme in schnellen Zyklen erfolgt. Dies wiederum erfordert neue architektonische Ansätze, wie man die Erkenntnisse aus der Erprobung kontinuierlich weiterverwendet, statt mit jeder Software-Version die gesamte Absicherung neu anzufangen.
Forschung ebnet autonomen Autos den Weg
Die notwendigen Kompetenzen zur Lösung dieser Aufgaben kommen (nicht nur, aber hauptsächlich) aus dem Software-Engineering, also der Frage: Wie baut und beherrscht man große, komplexe Software-Systeme? Die Forschung des Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme (IKS) setzt hier an der Schnittstelle von Software-, Systems- und Safety-Engineering an und erweitert bewährte Vorgehensweisen auf Systeme mit künstlicher Intelligenz. Zum Beispiel beruht die Perzeption, das heißt die Umfeldwahrnehmung des Fahrzeugs, sehr stark auf Verfahren des maschinellen Lernens (ML). Das Fraunhofer IKS nutzt seine Erfahrung bei der Beurteilung von ML-Modellen bezüglich Eigenschaften wie Robustness, Confidence und anderer Funktionsmerkmale, die für sicherheitsrelevante Systeme entscheidend sind.
Darüber hinaus wird ML zunehmend auch für die Fahrplanung eingesetzt. Da werden die Erfahrungen des Fraunhofer IKS an der Schnittstelle von intelligenten Systemen und Safety noch wichtiger. Die Ingenieure müssen sich und andere davon überzeugen, dass die entworfenen Systeme sicher sind. Bei beidem – Entwurf und Nachweis – kann man teilweise die Methoden aus traditionellen Systemen verwenden, muss aber auch mit neuen Methoden den besonderen Eigenschaften von KI-Systemen gerecht werden.