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23.09.2013 | Automobil + Motoren | Nachricht | Online-Artikel

Forschungsinitiative Ko-Fas: Vision vom unfallfreien Verkehr im 21. Jahrhundert

verfasst von: Katrin Pudenz

8 Min. Lesedauer

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Funkbasierte, kooperative Technik kann zur Steigerung der Sicherheit im Straßenverkehr beitragen: durch den Einsatz dieser Techniken soll es künftig möglich sein, kritische Verkehrssituationen an innerstädtischen Gefahrenpunkten, insbesondere auch mit ungeschützten Verkehrsteilnehmern, frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. So lautet die grundlegende Erkenntnis, die Wissenschaftler im Rahmen der Forschungsinitiative Ko-Fas - Kooperative Sensorik und kooperative Perzeption für die Präventive Sicherheit im Straßenverkehr gewonnen haben.

Seit September 2009 arbeiten 17 Partner, darunter die Automobilhersteller BMW und Daimler, die Fahrzeugzulieferer Continental, Delphi, SICK sowie Forscher aus Universitäten, Hochschulen und Fraunhofer-Instituten in ganz Deutschland gemeinsam an einem Ziel: Neuartige elektronische Assistenzsysteme auf Basis von kooperativer Technik sollen es ermöglichen, potenzielle Gefahrensituationen künftig schon rechtzeitig zu erkennen und den Fahrer zu warnen. Dadurch können Unfälle vermieden oder zumindest Unfallfolgen entscheidend gemildert werden. Mit einem Gesamtvolumen von 23,6 Millionen Euro gilt die Initiative als ein großes nationales Kooperationsprojekt im Bereich der automobilen Verkehrssicherheit. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) förderte die Projektpartner mit 14,9 Millionen Euro, 8,7 Millionen Euro trugen die Industriepartner bei.

"Um der Vision vom unfallfreien Verkehr wirklich näher zu kommen, müssen wir kritische Verkehrssituationen frühzeitig und umfassend erkennen können", fasst Stephan Zecha von Continental, Gesamtkoordinator von Ko-Fas, die Herausforderungen des Projekts zusammen. "Die in Ko-Fas entwickelten Technologien ermöglichen es Verkehrspartner bereits wahrzunehmen, auch wenn der Fahrer diese noch gar nicht sehen kann. Damit lassen sich zum Beispiel auch solche Unfälle vermeiden, wenn ein Fußgänger aus einer Verdeckung heraus plötzlich auf die Fahrbahn tritt."

3 Teilprojekte: Ko-Per, Ko, Tag und Ko-Komp

Untergliedert in drei Teilprojekte - Ko-Per, Ko, Tag und Ko-Komp - wurden im Rahmen der Teilprojekte Ko-Per und Ko-Tag sowohl Systeme zur Erhöhung der Sicherheit an Kreuzungen als auch im Längsverkehr entwickelt. Ziel war es dabei, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer (ob in Autos, auf Zweirädern oder zu Fuß) zu erhöhen. Im Rahmen des Teilprojekts Ko-Komp wurden ausgewählte Systeme hinsichtlich ihrer Wirksamkeit analysiert und hierfür neuartige Testverfahren entwickelt. So greifen die Entwicklungsergebnisse der drei Teilprojekte optimal ineinander. Die wichtigsten Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit hat das Ko-Fas-Konsortium Ende vergangener Woche präsentiert.

Autos kommunizieren mit Kreuzungen

Im Projektbereich Ko-Per haben beispielsweise Ingenieure der Universität Ulm, aber auch von Daimler und BMW, zu kooperativen, miteinander kommunizierenden Sensornetzwerken geforscht. Der Fokus lag auf Kreuzungen. Dort besteht die Problemstellung, dass Gefahren an solchen Unfallschwerpunkten aufgrund von Verdeckungen oft nicht rechtzeitig erkannt werden können. Ein Beispiel wären Fußgänger, die zwischen parkenden Autos auf die Fahrbahn treten. Hier setzt die kooperative Technik an: Zusätzlich zu Fahrzeugen werden Kreuzungen mit Lasersensoren und Kameras ausgestattet - beispielsweise an Ampeln und Laternenmasten. Die aus verschiedenen Perspektiven aufgenommenen Daten werden an Fahrzeuge übermittelt und zu einem Gesamtbild zusammengefügt. "Mithilfe dieser neuen Technik im Bereich der kooperativen Sensorik, Umfelderkennung und Sensorfusion kann das Verkehrsgeschehen an Kreuzungen ganzheitlich erfasst und drahtlos an andere Verkehrsteilnehmer kommuniziert werden. Letztlich erhalten alle Beteiligten ein umfassendes Bild der Situation und können reagieren", erklärt Professor Klaus Dietmayer, Teilprojektleiter für die Kreuzungsperzeption und Direktor des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik an der Uni Ulm. Mithilfe der Situationsanalyse, die Automobilhersteller Daimler beigesteuert hat, werden darüber hinaus die aktuelle Konstellation an der Kreuzung sowie Handlungsoptionen der Verkehrsteilnehmer untersucht.

Durch die Situationsanalyse werden die aktuelle Verkehrssituation sowie mögliche Handlungsoptionen der Verkehrsteilnehmer exploriert und bewertet, erläutern die Experten des Sindelfingener Automobilherstellers. So sei es möglich, den Fahrer vor Gefahren zu warnen, die aufgrund von Unaufmerksamkeit oder Sichtbehinderungen für ihn noch gar nicht zu erkennen sind.

Ebenfalls beteiligt im Projekt Ko-Per waren Spezialisten der BMW Group. Im Speziellen fokussierten sich die Forscher der BMW Group auf die Verbesserung der Fahrzeugeigenlokalisierung, die fahrzeuglokale und die fahrzeugübergreifende Perzeption, die Situationsinterpretation und die Risikobewertung. Zusätzlich wurden Mensch-Maschine-Interaktionskonzepte entwickelt, welche dem Fahrer die verbesserte Vorausschau in geeigneter Form im Fahrzeug darstellen.

Das reale Unfallgeschehen im Blick

"Mithilfe neuer Technik im Bereich kooperativer Sensorik, automatisierter Umfelderkennung und Sensorfusion wird das Verkehrsgeschehen gesamtheitlich erfasst. Vorausschauende und intelligente Fahrerassistenzsysteme können auf dieser Basis kritische Verkehrssituationen frühzeitig erkennen und mit vorbeugenden Maßnahmen Unfallsituationen vermeiden oder Unfallfolgen wesentlich vermindern", erläutert Dr. Martin Fritzsche, Teamleiter Sensorfusion in der Forschung und Vorentwicklung bei Daimler. Daimler ist in der Forschungsinitiative Ko-Fas neben dem Unterprojekt Ko-Per (Kooperative Perzeption) auch am Projekt Ko-Tag (Kooperative Transponder) beteiligt.

Kooperative Perzeption

Einzelne Fahrzeuge mit eigener Sensorik erfassen ihr Verkehrsumfeld sehr genau, allerdings mit eingeschränktem Blickwinkel auf die Gesamtsituation, so die Initiative. Die Umfeldwahrnehmung in Ko-Fas werde durch verschiedene fahrzeugeigene Sensoren, durch kooperative Sensoren auf Basis aktiver Ko-Tag-Transponder zur Detektion ungeschützter Verkehrsteilnehmer, durch infrastrukturbasierte Umfeldwahrnehmung in der Forschungskreuzung sowie durch fahrzeugübergreifende Umfeldwahrnehmung, basierend auf den mittels ITSG5-Standard ausgetauschten Informationen, realisiert. Das heißt: Durch die schnelle, drahtlose Kommunikation dieser verteilten Sensornetzwerke untereinander kann für alle ein Gesamtbild der Verkehrssituation rekonstruiert werden, erläutern die Experten der Initiative.

Aktive Transponder

Das Projekt Ko-Tag zeigt somit auf, wie mittels aktiver Transpondertechnik die Sicherheit schwächerer Verkehrsteilnehmer (Fußgänger oder Radfahrer) auch in Verdeckungssituationen verbessert werden kann. Damit werde eine Lücke geschlossen, die durch andere Sensortechnik bisher nicht abgedeckt werden konnte, betonen die Fachleute der Initiative. Fußgänger und Radfahrer könnten darüber hinaus eindeutig als solche klassifiziert und deren Bewegungen anonymisiert verfolgt werden, so dass eine optimale Risikoabschätzung und passende Eingriffsstrategien ohne Fehlauslösungen möglich sind.

Auch für kritische Situationen zwischen Fahrzeugen soll die Technik eingesetzt werden können, indem mit Transpondern versehene Fahrzeuge von Verkehrspartnern geortet und deren Position und Bewegungsrichtung berechnet wird.

Im Rahmen des Verbundprojektes Ko-Tag entwickeln die Spezialisten der beteiligten Forschungspartner kooperative Sensortechnik auf Basis von Transpondersystemen. Diese Technik wurde vor allem unter dem Aspekt "Schutz von verletzlichen Verkehrsteilnehmern" und "Fahrzeug-Fahrzeug-Sicherheit" erforscht, ergänzen die Projektpartner aus Sindelfingen.

Im Projekt Ko-Tag würden Sende-/Empfangseinheiten (Transponder) verwendet, mit deren Hilfe die Verkehrsteilnehmer Ortungs- und Bewegungsdaten per Funksignal untereinander austauschen, sowohl gestützt auf die GPS-Technik als auch auf eine direkte Messung der Relativpositionen, verdeutlichen die Sindelfinger. Damit soll die Ko-Tag-Technik eine eindeutige Bestimmung und Zuordnung der Bewegungsmuster der Verkehrsteilnehmer untereinander ermöglichen, auch wenn diese sich nicht direkt sehen können. Je nach Gefährlichkeit der Situation können aufgrund dieser Bewegungsmuster Reaktionen bis hin zu einem Bremseingriff zur Minderung der Schwere von Kollisionen erfolgen. Dies eröffnet die Möglichkeit, den Fahrer eines Fahrzeugs vor einer drohenden Kollision mit einem anderen, querenden und verdeckten Verkehrsteilnehmer zu warnen, selbst wenn dieser für ihn noch nicht erkennbar ist, erläutern die Forscher des Sindelfinger Automobilherstellers.

Solche Situationen treten häufig im Zusammenhang mit Fußgängern beziehungsweise querenden Fahrzeugen auf, die an Kreuzungen durch andere Fahrzeuge verdeckt sind. Diese verdeckten Fußgänger konnten bisher mit der verfügbaren Onboard-Sensorik alleine nicht erkannt werden.

Kooperative Technik

Das in Ko-Tag entwickelte Transpondersystem orientiert sich stark an dem W-Lan-Standard IEEE 802.11p, erläutern die Entwickler des beteiligten bayrischen Automobilherstellers BMW und weist große Synergien mit der Car-to-x-Kommunikation auf.

Bei einer weiteren Miniaturisierung auf Chipgröße könnte der Transponder zukünftig beispielsweise in eine Schultasche oder in einen Gehstock integriert werden, so die Münchner.

Teilprojekt Ko-Komp

Ebenso wurde bei der Abschlusspräsentation der Schwerpunkt Funkkanaluntersuchungen vorgestellt, berichtet die Forschungsinitiative. Denn im Teilprojekt Ko-Komp wurde theoretisch und experimentell untersucht, wie sich die Funkkommunikation zwischen Fahrzeugen in Innenstädten verhält und wie solche Systeme ausgelegt werden müssen, um die Zuverlässigkeit kooperativer Assistenzsysteme zu gewährleisten.

Gemeinsames Szenenverständnis

Auf der Basis der jeweils lokal ermittelten Information kann ein Gesamtbild der Verkehrssituation erstellt werden, betrichten die Experten der Initiative. Damit können die Positionen und Bewegungsrichtungen aller erfassten Verkehrsteilnehmer für die unmittelbare Zukunft voraus berechnet werden. Auf dieser Basis können mögliche Kollisionen ermittelt und bewertet werden, womit eine gemeinsame Wahrnehmung der aktuellen Verkehrssituation generiert werden kann. Präventive Sicherheitssysteme, die mit dieser Wahrnehmung ausgestattet sind, können durch Fahrempfehlungen oder aktive Eingriffe zur Unfallvermeidung beitragen.

Informationsfusion in Kombination mit Situationsanalyse

Grundsätzlich soll die fahrzeugübergreifende Umfeldwahrnehmung dazu dienen, eine kritische Verkehrssituation bereits ein bis zwei Sekunden früher zu erkennen, um in dieser gewonnenen Zeit den Fahrer noch warnen zu können. Wie die beteiligten Ulmer Forscher betonen, haben Studien gezeigt, dass mangelnde Aufmerksamkeit und schlechte Sicht die häufigsten Unfallursachen darstellen. Im Zuge von Ko-Fas haben Experten hierfür technische Lösungen entwickelt. Dank der im Projekt erstmals realisierten fahrzeugübergreifenden Informationsfusion in Kombination mit der Situationsanalyse werden Gefahren auch in unübersichtlichen Lagen frühzeitig erkannt. "So kann der Fahrer vor schwierigen Konstellationen gewarnt werden, die er aufgrund von Unaufmerksamkeit oder Sichtbehinderungen noch gar nicht erkennt. Man gewinnt wertvolle Zeit für eine angemessene Reaktion. Gefährliche Situationen, zum Beispiel Notbremsungen, werden vermieden", erläutert Dietmayer. Wie der Fahrer gewarnt werden muss, damit er sich unterstützt und nicht bevormundet fühlt, wurde im Zuge der Initiative im Fahrsimulator erforscht.

Die Sensorausstattung der Kreuzung sowie Sensorverarbeitungsalgorithmen zur Erfassung und Verfolgung aller Verkehrsteilnehmer sind am Ulmer Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik entwickelt worden. Zur Erfassung anderer Verkehrsteilnehmer im Fahrzeug sowie zur fahrzeugübergreifenden Fusion haben die Wissenschaftler um Klaus Dietmayer im Innovationszentrum driveU geforscht, das sie gemeinsam mit Daimler betreiben.

Alle Entwicklungen in Ko-Fas wurden unter Berücksichtigung existierender und in Diskussion befindlicher Kommunikationsstandards und -protokolle durchgeführt - eine zwingende Voraussetzung für eine spätere erfolgreiche Markteinführung.

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