Volkswagen muss sich in China einheimischen Herstellern geschlagen geben. Der Grund liegt vor allem im Umgang mit Software – hier setzte man zu lange auf Perfektion statt Innovation. Das rächt sich jetzt.
VW kämpft mit internen Problemen bei seiner Software-Tochter Cariad.
Timon / Stock.adobe.com
Sie sollte das Aushängeschild des Konzerns werden und entwickelte sich dann mehr und mehr zum Sorgenkind: Die Rede ist von Volkswagens Software-Tochter Cariad. Diese macht überwiegend mit ihrer Personalpolitik und Verzögerungen Schlagzeilen statt mit beeindruckenden Tools – auch, weil man ein perfektes Ergebnis anstrebt. Das ist in der Softwarebranche allerdings nicht realistisch.
Im Gegensatz dazu zeigen die Chinesen, wie es gemacht wird. Ihre Art der Softwareentwicklung erinnert an Tech-Konzerne und setzt auf Over-the-Air-Updates, kurz OTA-Updates. Dadurch bleiben Autobauer aus China flexibel und bieten ihren Kunden dennoch Innovation. Die Entwicklung auf dem chinesischen Automarkt, der als wichtigster weltweit gilt, zeigt, dass das ankommt, denn auf den vordersten Plätzen stehen ausschließlich chinesische Marken wie BYD, Xpeng oder Nio. Doch woran liegt das?
Ursachen für den Rückstand bei VW
Bei Volkswagen stand lange Zeit die Hardwareentwicklung im Vordergrund. Ziel war es immer, das perfekte Produkt zu entwickeln, um sich als Beispiel für Qualität zu präsentieren. Mit demselben Ziel ging man auch bei der Software-Tochter Cariad ans Werk. Der Anspruch war hoch: Es sollten umfangreiche Plattformen entwickelt werden, die schon beim Launch alle Kundenanforderungen vollumfänglich abdecken – ein perfektes System passend zu den perfekten Produkten eben.
Das Problem: Softwareentwicklung funktioniert gänzlich anders. Die besten Programme und Anwendungen entstehen durch kontinuierliches Überprüfen, Anpassen und Weiterentwickeln. Die chinesischen Autohersteller arbeiten nach genau diesem Prinzip – und konnten sich dadurch an die Spitze des chinesischen Automarktes kämpfen.
Die Krux am Streben nach Perfektion
Bei der Hardwareentwicklung ist Perfektion ein hohes, aber kein unerreichbares Ziel. Gerade die deutsche Automobilindustrie war für ihre hochwertigen und zuverlässigen Fahrzeuge bekannt, bei denen auch noch das kleinste Detail optimiert wurde. Der Versuch, dieses Prinzip auf die Softwareentwicklung zu übertragen, muss allerdings scheitern.
In einer Zeit, in der sich die Anforderungen und Bedürfnisse von Kunden so schnell verändern wie noch nie zuvor, muss Software flexibel bleiben und durch Updates kurzfristig angepasst werden können – ein Prinzip, das bei Smartphones längst Standard ist. Und auch die chinesischen Autobauer schalten mit ihren OTA-Updates bei Bedarf weitere Funktionen frei oder fügen Features hinzu. Auf Kundenbedürfnisse kann so rasch reagiert werden.
Strukturelle Probleme bei Software-Hersteller Cariad
Bei Volkswagens Software-Tochter Cariad verfolgte man von Beginn an einen Ansatz, der nicht funktionieren konnte. Das Ziel war eine riesige Plattform – ein Projekt in dieser Größenordnung führt aber auch zu einem enorm hohen Bedarf an Abstimmungen unter verschiedenen Beteiligten. Die Folgen: Wichtige Releases konnten nur stark verzögert veröffentlicht werden, beteiligte Entwickler waren frustriert, weil sie nicht selbstständig und innovativ arbeiten konnten und Technologien waren schon wieder veraltet, sobald sie endlich fertig waren.
Bei Cariad braucht man mit dieser Vorgehensweise ungefähr 18 bis 24 Monate, um einen Prototyp zu veröffentlichen. Chinesische Start-ups hingegen sind in der Lage, innerhalb eines halben Jahres eine Softwareversion final zu entwickeln.
Die Notwendigkeit eines Umdenkens bei Cariad
Um den Anschluss nicht dauerhaft zu verlieren, muss man bei Cariad jetzt umdenken. Imperfektion darf nicht mehr länger mit Minderwertigkeit gleichgesetzt werden; stattdessen muss man verstehen, dass Softwareentwicklung ein fortdauernder Prozess ist. Chinesische Hersteller zeigen eindrücklich, wie das funktioniert: Der Autobauer Xpeng beispielsweise entwickelte 2021 ein Assistenzsystem für Fahrten auf der Autobahn. Seitdem werden regelmäßig OTA-Updates durchgeführt, durch die die Präzision immer weiter zunimmt. Die Grundlage dafür sind einfache Hypothesen, etwa Aussagen darüber, was der Kunde wirklich benötigt. Anschließend wird ein passendes System entwickelt und schon nach wenigen Wochen getestet – und dann entweder bestätigt oder korrigiert.
Maßnahmen, die Volkswagen jetzt ergreifen sollte
VW ist nicht untätig geblieben und hat deutliche Umstrukturierungen bei Cariad vorgenommen. Darüber hinaus braucht es allerdings weitere Veränderungen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Softwareentwicklung sollte beispielsweise auf der Basis von Hypothesen erfolgen, und es braucht Möglichkeiten, um die Entscheidungswege deutlich zu verkürzen. Zudem sollte man sich nicht länger den Vorzügen einer Update-Option verschließen. In diesem Zusammenhang muss Imperfektion als Chance gesehen werden – das beinhaltet auch eine veränderte Fehlerkultur, in der Fehler genutzt werden und zu neuen Erkenntnissen führen.