Zwischen Feuertaufen und Tauchstationen: Der Elektroautohersteller Tesla durchläuft Höhen und Tiefen, doch mit welchen Werten kann das ehemalige Start-up-Unternehmen sich langfristig behaupten? Eine Momentaufnahme.
Eisenmann
Die Gerüchteküche in der Autoszene kocht. Start-up-Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden, befeuert von finanzstarken Investoren. Fahrzeughersteller suchen Verbündete unter den sogenannten Digitals, und die Digitals wollen mit Autoherstellern oder Entwicklungsdienstleistern kooperieren. Das Personalkarussell dreht schneller, teilweise vor und zurück. Wie im Falle Johann Jungwirth, der 2014 von Daimler zu Apple wechselte, 2015 aber bereits wieder von der etablierten Autoindustrie angeheuert wurde und nun direkt unter dem neuen VW-CEO Matthias Müller arbeitet.
Rechenmodelle
Verliert das ehemalige Start-up-Unternehmen Tesla mit der Abwanderung von Top-Ingenieuren zu Faraday Future - ein wagemutiges aber möglicherweise mit dem Partner Aston Martin nun realistisches Autoprojekt - an Reputation? Kann sich der Elektrofahrzeug-Pionier Tesla als Premiumautohersteller langfristig etablieren? Das Autobauen trauen ihm immer weniger Branchenkenner zu. Elon Musk ist seit Anbeginn seiner Unternehmung in der Kritik, als Vorzeigemanager beklatscht und hochstilisiert, dann wieder fallen gelassen. Das Geld verdienen wird als Maßstab gesetzt. Tesla verdient kein Geld, wie so viele Digitals. Nach Vorbild der klassischen Autoindustrie ein Desaster. Aktionärsgetrieben muss man spätestens mittelfristig in die Gewinnzone kommen. Dennoch, Tesla verdreifacht nach jüngst veröffentlichten Zahlen zwar den Verlust - die Aktie stieg aber um zehn Prozent.
Das Unternehmen muss profitabel werden, sagen Brancheninsider. Die geplanten höheren Stückzahlen würden selbst finanzkräftigen Unternehmen wie Tesla das Rückgrat brechen. Doch was sind die wahren Grundfesten von Tesla? Wo liegen die möglicherweise unterschätzten Werte und die langfristigen Pläne des kalifornischen Unternehmens? Raum für Spekulationen und ein Für und Wieder gibt es genug - vor allem im dem Land, wo ein Scheitern auf dem Weg zum Erfolg dazu gehört.
Keine Spekulationen sondern Hintergründe liefert beispielsweise ein Interview mit einem der Zulieferer von Tesla, dem Security-Unternehmen Utimaco, in der aktuellen ATZelektronik: "Das Erfolgsrezept bei Tesla heißt Führungsstärke". Der deutsche Security-Spezialist sichert unter anderem die bidirektionale Vernetzung zwischen Kundenfahrzeug und dem amerikanischen Elektroautohersteller unter strengen Security-Maßnahmen ab. Das Aachener Unternehmen liefert dafür nach eigenen Angaben seit vielen Jahren Verschlüsselungsgeräte für sensitive, schützenswerte Daten, sogenannte Hardware-Security-Module (HSM). Diese Verschlüsselungs-Appliances kann man sich vorstellen wie eine große programmierbare SmartCard. Malte Pollmann erklärt im Interview, welchen Vorsprung sich Tesla in der IT-Vernetzung gegenüber den traditionellen OEMs erarbeitet hat. Einen enormen, betont der Geschäftsführer von Utimaco, denn die Sicherheitskonzepte und notwendigen Architekturen sind bei Tesla organisatorisch und prozessual seit Jahren verankert, wie er unter anderem auf der 2. Internationale ATZ-Fachtagung Fahrerassistenz - von der Assistenz zum automatisierten Fahren am 13. Und 14. April in Frankfurt am Main ausführen wird. Pollmann ist Teilnehmer der dortigen Podiumsdiskussion zum Thema Security.
Der eigentliche Vorsprung von Tesla
Pollmann vergleicht: "Ein Auto im wahrsten Sinne des Wortes anders herum zu bauen, also bildlich gesehen einen Computer auf vier Räder zu stellen, ist erfolgversprechender, als Informationstechnik Stück für Stück ins Auto zu integrieren." Tesla habe zudem das Grundverständnis zur Vergabe der Rollen und Rechte von fahrzeugbezogenen Daten verstanden, im Unternehmenskonzept verankert und wende es an, sagt Pollmann.
"Ein Computer auf vier Rädern" - ist das ein zu überspitztes Bild? Und braucht man überhaupt einen Greenfield-Ansatz wie Tesla, um erfolgreich zu sein? Der Security-Experte erklärt: "In der klassischen Welt dreht sich alles um den CAN-, Flexray- und Most-Bus, die kritische Daten transportieren und deswegen entsprechend geschlossen oder mit abgesicherten Schnittstellen ausgestattet sind." Im Zuge der komplexeren Fahrerassistenzfunktionen wisse man aber, dass ehemals getrennte Systeme heute vernetzt werden, beispielsweise das Entertainment und die Fahrzeugsteuerung.
Informationsbrücken bauen, das ist sinnvoll", führt Pollmann aus. Das erfordere aber andere Sicherheitsmechanismen, und die gelte es aber erst einmal in der Zulieferkette vertrauensvoll zu implementieren. "So weit ist die Autoindustrie noch nicht, denn sie hat die Vertrauenskette noch nicht durchgängig aufgebaut, in der Steuerungsdaten observiert und zertifiziert werden müssen", meint Pollmann. Sein Fazit: "Die Erkenntnis muss sich in der Autoindustrie noch durchsetzen, dass Fahrzeugsteuerungsdaten auch von anderen Systemen berührt werden dürfen. Das heißt, wir müssen die Daten von einem weniger sicheren Netzwerk in ein sicheres Netzwerk überführen - eine Plattformarchitektur, wie sie Tesla mit Enabler Nvidia konsequent verfolgt."
Eine unangenehme Wahrheit
Welchen Stellwert hat Security überhaupt in den Entscheidungsebenen der Autohersteller? Laut Pollmann sind es immer noch Spezialisten, die sich ausschließlich damit befassen. Dies ist unter anderem auf der für die Automobilindustrie spezialisierten IT-Sicherheitskonferenz escar erkennbar. Dort diskutiert man dann den Ansatz, die Netzwerke gegen Angriffe von außen abzusichern. Dabei handele es sich lediglich um eine Scheinsicherheit, weil erfahrene Angreifer es immer schaffen würden, einzudringen." Das ist eine unangenehme Wahrheit", sagt er im Interview mit ATZelektronik. "Reine Netzwerksicherheit ist wie Wunden heilen mit dem Pflaster - in den meisten Fällen ist es dann schon zu spät." Man möchte zwar keinen Angreifer in seinem Netzwerk haben, doch entscheidend sei, dass kein Schaden entstehe, wenn er eingedrungen sei - also die Daten nicht entschlüsselt werden könnten. Früher baue man Burgen mit möglichst hohen Mauern, um sich zu schützen. "Heute müssen IT-Systeme nicht in dieser vergleichbaren Form geschützt werden. Die IT hat das als Erstes aufgegeben, denn wir arbeiten mobil, von mehreren Orten aus müssen wir uns vernetzen. Da sind Mauern nur im Weg. Es gilt, die Daten zu schützen - und hier hilft nur sichere, starke Kryptografie."
Eine Führungsaufgabe
Nach Meinung von Pollmann muss ein Vorstand oder ein Unternehmensentwickler mit an den Tisch oder auf die Bühne von Konferenzen. Denn es gehe unter anderem nicht nur um Technik, sondern um Geschäftsmodelle, wenn man beispielsweise mit Versicherungen zusammenarbeiten möchte und Rechte für Daten verteilen möchte. "Ich bin sicher, dass dieser Diskurs in den Vorständen der klassischen Autohersteller noch nicht ausreichend geführt wird." Oder vielleicht doch, im Silicon Valley, wo scheinbar alles anders ist? "Hier sind ja nicht allein Autobauer am Werk. Alles ist IT-getrieben. Die Region unterscheidet sich auch von anderen in den USA", diese Meinung Pollmanns teilen viele deutsche Ingenieure, die von Reisen und längeren Aufenthalten aus dem Silicon Valley zurückkommen. Die Offenheit zu kooperieren sei größer, der Wille zur Disruption sei sehr ausgeprägt, der Wettbewerb beispielsweise der Geschäftsmodelle laufe dynamischer und schneller ab, als es für den ein oder anderen gut ist. "Tesla ist progressiv und mutig. Andere Hersteller schauen hingegen nur zu", spitzt Pollmann zu. "Zugebenermaßen haben sie es aber auch schwerer, sich von Fesseln, die ein Start-up nicht hat, zu lösen." Mit dieser Sensibilität und Offenheit wird der Geschäftsführer von Utimaco, der seine Hardware-Security-Module auch in die etablierte Autoindustrie liefert, in die Podiumsdiskussion auf der Fahrerassistenztagung gehen.