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29.09.2021 | Automobilelektronik + Software | Schwerpunkt | Online-Artikel

So lässt sich der Tachomanipulation vorbeugen

verfasst von: Christiane Köllner

6:30 Min. Lesedauer

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Tachobetrug kann großen Schaden anrichten. Eine EU-Verordnung von 2017 zum Schutz vor Tachomanipulation sollte das eigentlich verhindern. Doch sie greift noch nicht, wie ADAC-Experten herausgefunden haben. 

Kilometerstände sind ein entscheidendes Kriterium, um den Verkaufswert eines Gebrauchtwagens festzusetzen. Doch viele Kilometerstände sind geschönt. Ein Problem, über dessen Lösung seit Längerem diskutiert wird. Eine geltende EU-Verordnung soll die Tachomanipulation bekämpfen. Laut dieser müssen neue Fahrzeugmodelle ab 1. September 2017 durch eine technische Lösung beziehungsweise "systemische Techniken" im Auto geschützt werden. Das wurde im Rahmen der EG-Typgenehmigung 2017/1151 vorgeschrieben. Seit September 2018 gilt das auch für alle Neuwagen. 

Doch laut ADAC greift die geltende EU-Verordnung immer noch nicht. Noch immer lasse sich laut Automobilclub bei vielen aktuellen Autos der Kilometerstand einfach und schnell manipulieren, wie eine Untersuchung des ADAC zeige. Dazu wurden stichprobenartig drei Autos mit einem frei erhältlichen Gerät manipuliert: ein Ford Kuga von 2019, ein Opel Grandland X von 2020 und ein Peugeot 208 von 2019. Der Kilometerstand hätte meist nach wenigen Minuten beliebig verfälscht werden können. Bei zwei der drei untersuchten Autos habe es gereicht, das Manipulationsgerät an die Onboard-Diagnosebuchse anzustecken. Beim Opel hätte das Gerät zusätzlich auch am Tacho fixiert werden müssen. Für über 170 weitere Modelle ab 2019 habe es ebenfalls passende Menüpunkte in den Manipulationsgeräten gegeben, wie der ADAC auf den frei zugänglichen Seiten der Gerätehersteller recherchiert habe. 

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Eine neue EG-Typgenehmigung verlangt „systemische Techniken“, um den Kilometerstand abzusichern. Den Nachweis, welche Schutzziele der IT-Sicherheit wie erreicht werden, kann der Autohersteller über eine Zertifizierung nach Common Criteria erbringen. Für die Automobilbranche wäre das ein einfacher Einstieg in Standardisierungsfragen der IT-Sicherheit, der mit den komplexeren Fragestellungen im vernetzten teil- und vollautonomen Fahren unvermeidlich wird.

Risiken der Tachomanipulation

In Deutschland wird laut Ermittlungen der Polizei bei einem Drittel der Gebrauchtwagen der Kilometerstand nach unten "gedreht". Dieser Betrug führt im Durchschnitt zu einem um 3.000 Euro höheren Preis beim Verkauf eines Pkw. Pro Jahr werden nach Schätzungen der Polizei allein in Deutschland rund zwei Millionen Autos manipuliert. Experten schätzen den jährlichen Schaden, der durch zu hohe Preise entsteht, auf sechs Milliarden Euro. Die Manipulationsgeräte seien laut ADAC frei erhältlich und kosteten ab etwa 150 Euro. Der Besitz von Computerprogrammen, die die Messdaten moderner Kilometerzähler ändern könnten, sowie deren Programmierung sind verboten. Zudem erkennen nur sehr wenige EU-Länder die Manipulation von Kilometerzählern als Straftat an. 

Private Gebrauchtwagenkäufer sind meist die Opfer der Manipulation. "Ihr Schaden geht oft über den überhöhten Kaufpreis hinaus, etwa wenn ein falscher Tachostand dem Besitzer vorgaukelt, dass ein vom Hersteller empfohlener Austausch eines Fahrzeugteils noch Zeit hat. Beispiel: Wenn ein Zahnriemen wegen des nicht erkannten Überschreitens des Wechselintervalls reißt, kann dies zu einem mehrere tausend Euro teuren Motorschaden führen", so der ADAC. Damit ist die Tachomanipulation nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch sicherheitstechnisches Problem. Änderung des Kilometerstandes werden aber nicht nur kurz vor dem Verkauf eines Gebrauchtwagens vorgenommen, sondern häufig auch während der Nutzung des Autos, zum Beispiel bei Leasingfahrzeugen. So werden etwa Leasingfirmen bei der vereinbarten Laufleistung oder beim Restwert betrogen.

ADAC fordert seit Jahren HSM-Chips

Wie lässt sich nun am besten gegen Tachomanipulation vorgehen? Mit der technischen Lösung im Zuge der EG-Typgenehmigung ist ein erster, wichtiger Schritt im Kampf gegen den Tachobetrug gemacht worden. Aus Sicht des ADAC sei aber eine Ergänzung der Verordnung erforderlich, in der eindeutig definiert sei, wie wirksam der Schutz sein muss und wie er überprüft wird. Ein solcher Schutz könne von neutraler Stelle bestätigt werden, etwa per Common-Criteria-Zertifizierung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn.

Der ADAC fordert seit vielen Jahren zum Schutz des Verbrauchers eine technische Lösung, die direkt im Auto und ab Werk verbaut ist. Der Club setzt dabei auf die Nutzung sogenannter Hardware Secure Module (HSM), die auch im Report Tachobetrug – Ein Anstoß für Security-Lösungen aus der ATZelektronik 1-2018 diskutiert werden. Diese sind derzeit schon in Auto-Steuergeräten verbaut. Allerdings werden sie nicht zum Schutz gegen Tachobetrug verwendet, sondern gegen Diebstahl und Chiptuning. Eine Nutzung der HSM-Chips auch gegen Tachobetrug würde nach Einschätzung des ADAC nur wenige Cent pro Auto kosten.

Erweiterte Steuergerätekonfiguration und Datenbanken

Dass eine technische Lösung seit Jahren auf einfache Weise möglich ist, erklärt auch der Halbleiterhersteller Infineon und setzt ebenfalls auf die HSM-Chips.

Die technische Umsetzung ist schon heute möglich, da auf bestehende Elektronikkomponenten zurückgegriffen werden kann, die bereits für Steuerungs- und Überwachungsfunktionen im Fahrzeug zum Einsatz kommen", erklärt das Unternehmen im Artikel Tachomanipulation – Technisch Vorbeugen aus der ATZelektronik 2-2013

Der Automobilhersteller müsse hierzu nur zusätzliche Softwarefunktionalität bereitstellen. Als wesentliche Mikrocontrollerkomponente zum Implementieren der erforderlichen Schutzmechanismen sollen die sogenannte Secure Hardware Extension (SHE) und das Hardware Security Module (HSM) in Frage kommen.

Als weitere Maßnahme gegen Tachomanipulationen werden auch immer wieder Kilometerstands-Datenbanken in die politische Diskussion gebracht. Für den ADAC täuschen die Datenbanken eine Problemlösung allerdings nur vor: Weil ein Kilometerstand nicht auf Manipulation geprüft werden kann, könnten manipulierte Werte Eingang in solche Datenbanken finden – und den Betrug damit "offiziell" machen. Kfz-Versicherer sprechen sich grundsätzlich für eine Datenbank aus. Ein Vorbild ist beispielsweise Belgien, wo Gebrauchtwagen nur mit einem "Car-Pass" verkauft werden dürften, der alle Kilometerstände von Inspektionen und Reparaturen enthält.

Mit Blockchain gegen die Tachomanipulation 

Dem weitverbreiteten Tacho-Schwindel ließe sich auch mit Blockchain ein Ende setzen, wie der Zulieferer Bosch und der TÜV Rheinland demonstrieren. Kommt die Sprache auf Blockchain, so werden meist Finanzindustrie und Logistik als mögliche Anwendungsfelder genannt. Wie sich Blockchain in der Praxis auch in anderen Szenarien einsetzen lassen könnte, zeigen die beiden Partner mit ihrer Kooperation.

Verhindern soll den Tachobetrug ein digitales Fahrtenbuch, das sich auf viele Rechner verteilt. Über einen einfachen Stecker sendet das Auto regelmäßig den Tachostand auf die verschiedenen Rechner. Per Smartphone-App kann der Autobesitzer jederzeit den echten Kilometerstand überprüfen und mit der Tachoanzeige im Auto abgleichen. Wenn er das Auto verkaufen möchte, lässt sich ein Zertifikat erstellen, das dem Käufer die Echtheit der Tachodaten beweist. Es ist auch möglich, das Zertifikat über das Internet zu teilen, beispielsweise auf Online-Verkaufsplattformen für Autos.

Einer Studie von TÜV Rheinland aus dem Jahr 2015 zufolge wären 70 % der Käufer bereit, mehr zu zahlen, wenn sie den tatsächlichen Tachostand durch eine Art digitales Fahrtenbuch nachvollziehen könnten. Auch mehr als 90 % der Verkäufer stimmen zu, dass eine solche Kilometerübersicht ein hilfreiches Tool beim Verkauf eines Fahrzeugs wäre. Sie wären mit einer digitalen Aufzeichnung des Tachostands einverstanden.

Vorstoß des EU-Parlaments

Vor mehr als drei Jahren hat das EU-Parlament einen Vorstoß im Kampf gegen die Tachobetrüger gewagt. Angesichts der dramatischen Zahlen in einigen Ländern und den schwerwiegenden Folgen für die Verkehrssicherheit forderte das EU-Parlament weitergehende Maßnahmen. Als Vorbild sollten dabei Belgien und die Niederlande dienen, die unter anderem mit häufigen Kontrollen und regelmäßigen Ablesen und Speichern der Zählerstände die Manipulation der Kilometerzähler reduzieren konnten. Der Berichterstatter des EU-Parlamentes, der Abgeordnete Ismail Ertug (Bayern, SPD), sprach von 5 bis 12 % manipulierter Kilometerstände der innerhalb der EU verkauften Gebrauchtwagen. Diese Rate könnte bei grenzüberschreitenden Verkäufen auf 30 bis 50 % steigen.

Die Abgeordneten des EU-Parlamentes hatten daher am 31. Mai 2018 per Beschluss die EU-Kommission aufgefordert, binnen Jahresfrist Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Manipulation von Tachometern beim Verkauf von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Die Europaabgeordneten verlangten nach einem neuen Regelwerk, das auch nationale Kilometerzähler-Verzeichnisse umfasst, die grenzüberschreitend zugänglich gemacht werden sollen. Die Stände der Kilometerzähler sollten obligatorisch bei jeder durchgeführten Inspektion, Instandhaltung, Wartung und Reparatur und von anderen Werkstattbesuchen erfasst werden, angefangen mit der Erstzulassung des Fahrzeugs, forderten die Abgeordneten. 

Seitdem hat sich offenbar nicht viel getan. Bisher habe die Kommission Ende 2020 eine Strategie für intelligente Mobilität vorgelegt, wie Springer Professional auf Anfrage beim EU-Parlament erfährt. In dieser Strategie sei festgehalten, dass die Kommission 2021 die Notwendigkeit eines Vorschlags für einen effizienten Austausch von Kilometerständen in der gesamten EU bewerten werde. Die Bewertung steht noch aus.

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