China könnte bald schon die Dominanz deutscher Marken auf dem europäischen Markt bedrohen. Im Interview erläutert Publicis Sapient-Berater Matthias von Alten, welche Strategien die chinesischen Wettbewerber in Europa verfolgen.
Matthias von Alten ist VP Strategy Transportation & Mobility beim Beratungshaus Publicis Sapient. Er verantwortet dort die globalen Management-Consulting-Aktivitäten für die Automobil- und Mobilitätskunden. Im Laufe seiner Karriere war von Alten unter anderem als Leiter Marken- und Produktstrategie bei der VW Group und der BMW Group tätig.
Publicis Sapient
Chinas Elektroautohersteller drängen auf den europäischen Markt. Wie sehen Sie die Chancen für die chinesischen Hersteller?
Die chinesischen Automobilhersteller haben sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Hinsichtlich der Produktsubstanz haben sie zum europäischen Standard aufgeschlossen. In Sachen Softwareentwicklung und Konnektivität sind sie teilweise sogar deutlich besser aufgestellt. Um jedoch auf dem europäischen Markt erfolgreich zu sein, müssen sie ihre Hausaufgaben machen und einige wichtige Themen angehen. Dazu gehören unter anderem der strategische Markenaufbau und die Steigerung ihrer Markenbekanntheit. Außerdem gilt es, ein durchgängiges und auf die EU-Kunden ausgerichtetes Kundenerlebnis zu bieten. Hier hapert es bei vielen chinesischen Anbietern noch.
Welche Strategie für den Markteintritt verfolgen die chinesischen Wettbewerber in Europa?
Die Strategien sind recht unterschiedlich, haben jedoch einen gemeinsamen Nenner. Einige Marken, wie zum Beispiel BYD, versuchen es auf dem klassischen Weg über den Händlervertrieb. Dabei gehen sie Partnerschaften ein, bauen jedoch kein eigenes Händlernetz auf. Einen anderen Ansatz verfolgt beispielweise Aiways. Das Unternehmen aus Fernost vermarktet seine Fahrzeuge hierzulande über Euronics und wickelt den Service über ATU ab. Bei beiden Strategien wird eines deutlich. Die chinesischen Autobauer versuchen, die bisherigen hohen Vertriebs- und Marketingkosten zu reduzieren.
Inwieweit werden chinesische Marken mit preisgünstigen Elektrofahrzeugen das Kleinwagen-Marktsegment in Europa übernehmen?
Die chinesischen Automobilhersteller haben es im internationalen Vergleich geschafft, deutlich günstiger Fahrzeuge zu produzieren. Die europäischen Hersteller hingegen tun sich sehr schwer damit, einen profitablen Ansatz für das Kleinwagen-Marktsegment zu finden. Sie geben das Segment in gewisser Weise auf und setzen ihren Fokus auf margenträchtigere Modelle. Sich rein auf Absatz und Marktanteile zu konzentrieren, macht langfristig keinen Sinn mehr. Der Erfolgsgarant für die Zukunft wird allein profitables Wachstum sein.
In welchen Bereichen könnte es Probleme für die chinesischen Marken in Europa geben?
Auf dem europäischen Automobilmarkt herrscht ein starker Wettbewerb und wird durch das geringe Wachstum weiter verstärkt. In den kommenden Jahren werden die neuen Player aus China dazustoßen. Die Herausforderung für die Newcomer aus Fernost wird sein, sich aus der Masse mit einer starken Marke, einem attraktiven Angebot und herausragendem Kundenmanagement hervorzuheben. Dazu kommt ein weiteres Problem. Es ist nicht absehbar, wie sich diese Fahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt schlagen werden. Schon die europäischen Marken kämpfen heute mit Problemen hinsichtlich der Restwerte älterer E-Autos. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der Recyclingfähigkeit der Fahrzeuge.
Wie werden die europäischen Hersteller auf die chinesische Konkurrenz reagieren?
Die europäischen Autobauer haben erkannt, dass sie die Konkurrenz aus Fernost nicht unterschätzen dürfen. Um sich zu behaupten, werden sie auf ihre Historie und Kernkompetenzen setzen: starke Marke, attraktive Produkte, perfekter Service und hohe Innovationskraft. Die Frage, welche Kompetenzen ein Hersteller selbst entwickeln muss und welche durch Partnerschaften erworben werden können, wird von großer Bedeutung sein. Schnelligkeit, Flexibilität und Qualität werden entscheidend sein, um nicht verdrängt zu werden. Für den Erfolg der europäischen Anbieter wird außerdem wichtig sein, wie sie sich auf dem chinesischen Markt schlagen. China ist für viele nach wie vor der größte Einzelmarkt.