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16.10.2024 | Automobilwirtschaft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Ist die chinesische Autoindustrie innovativer?

verfasst von: Christiane Köllner, dpa

6:30 Min. Lesedauer

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China gilt im Vergleich zu Europa als deutlich innovativer. Ist die Krise bei VW und anderen europäischen Autoherstellern also vor allem hausgemacht? Ja, sagt ein Asien-Experte. 

Die schwache Nachfrage in China macht den deutschen Autobauern BMW und Mercedes-Benz zu schaffen. Die Münchner haben dazu noch große Probleme mit zugelieferten Bremsen, die Stuttgarter fallen bei den E-Autos zurück und leiden unter nachlassendem Interesse bei den Luxusmodellen. Auch Porsche hat in den ersten neun Monaten des Jahres unter anderem wegen des schwächelnden China-Geschäfts weniger Sport- und Geländewagen verkauft. Auch dem VW-Konzern macht die schwache Nachfrage immer mehr zu schaffen. In den vergangenen drei Monaten wurden deutlich weniger Autos verkauft. Vor allem Audi belastet. Eine Preissenkung soll jetzt zumindest dem E-Antrieb helfen.

Tesla hingegen hat im September eine deutliche Steigerung seiner China-Verkäufe verzeichnet, hinkt jedoch im Vergleich zu den Gesamtmarktzuwächsen im chinesischen Elektrofahrzeugsektor hinterher – während Konkurrent BYD den US-E-Autobauer mit einem deutlichen Verkaufsanstieg übertrifft. Dazu kommt: Wettbewerber wie Xpeng und Nio visieren den Markt mit neuen, günstigeren Modellen an.

Europäische Autobranche ist in kritischer Übergangsphase

Die Krise in der Automobilindustrie ist vor allem hierzulande allgegenwärtig. Es betrifft einzelne Hersteller wie Volkswagen oder Länder wie Deutschland. Fest steht: Die europäische Automobilbranche befindet sich in einer kritischen Übergangsphase. Es gibt Rückschläge bei den Elektrofahrzeugen, die durch den Wegfall staatlicher Anreize und geopolitische Spannungen verstärkt werden. Sinkende Absatzzahlen und wachsende Konkurrenz, insbesondere aus China, setzen Deutschlands Autosektor unter Druck. Hohe Investitionen, niedrige Margen, weltweite Abhängigkeiten und Rohstoffengpässe prägen die Branche. Hinzu kommen Änderungen im Verbraucherinteresse, saisonale Nachfragespitzen und wirtschaftliche Unsicherheiten. Schwere Probleme plagen auch die Zulieferer.

Konkret stellen sich laut Creditreform Rating die Entwicklungen des ersten Halbjahrs 2024 in den europäischen Automobilmärkten wie folgt dar: 

  • Gedämpftes Wachstum bei Pkw-Zulassungen in Europa, sogar Rückgang in den USA
  • Rückschlag für Elektrofahrzeuge auf dem deutschen Markt, sinkende Nachfrage nach Pkw mit Verbrennungsmotoren auf europäischer Ebene
  • Rückläufige Produktionsvolumen von Pkw
  • Rückgang der Restwerte auf den fünf großen europäischen Märkten (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien)
  • Massiver Rückgang der Asset-Backed Securities (ABS)-Emissionen, die durch Autofinanzierungen besichert sind. Positiv: Die mit AAA bewerteten ABS-Emissionen nehmen wieder zu.
  • Kaum Wachstum bei Neuwagenverkäufen, ABS-Markt bleibt widerstandsfähig.

Kreditversicherer Atradius: Massiver Anstieg der Schadensmeldungen

Dass die Automobilindustrie die Dringlichkeit zu Handeln erkannt hat, wird seit einiger Zeit deutlich: Stellenabbau und Werksschließungen sowie die Verlagerung der Produktion ins Ausland werden bei vielen Herstellern geplant oder bereits umgesetzt. "Von Werksschließungen sind dabei nicht nur die eigenen Mitarbeiter direkt betroffen, sondern auch die Zulieferer. Wir sehen die Gefahr, dass insgesamt mehrere Zehntausend Stellen wegfallen", sagt Jens Stobbe, der als Manager Risk Service bei Atradius Deutschland die Automobilbranche mitverantwortet. 

Der Kreditversicherer macht einen massiven Anstieg der Schadensmeldungen in der gesamten Branche aus. So habe sich im September die Zahl der Schadensmeldungen, die bei Atradius nach Lieferungen an deutsche Automobilfirmen eingingen, um 25 % gegenüber dem Vorjahresmonat erhöht. "Wir beobachten nicht nur einen drastischen Anstieg an Unternehmen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, sondern auch eine noch deutlichere Erhöhung der Schadenssummen", erklärt Jens Stobbe. Demnach liegt der Wert der Schäden 50 % höher als noch vor einem Jahr. 

Kosten sparen und innovativ bleiben

Die Autobranche ist mit einer Gratwanderung konfrontiert: Wie können Unternehmen Kosten sparen und gleichzeitig innovativ und wettbewerbsfähig bleiben? In puncto Innovation lohnt sich ein Blick nach China, wenn man Karlheinz Zuerl, CEO der German Technology & Engineering Corporation (GTEC), Glauben schenkt. Denn der Asien-Experte wirft europäischen Autoherstellern wiederum mangelnde Innovationskraft vor.

"Die Krise bei VW und anderen europäischen Autoherstellern ist weitgehend hausgemacht", sagt Zuerl und begründet: "Die europäische Industrie ist seit vielen Jahren nicht mehr innovativ genug im Vergleich mit China. Und das gilt nicht nur für den Automobilsektor." Zuerl gibt konkrete Beispiele aus der chinesischen Automobilindustrie. So verweist er auf den großen Erfolg von Range-Extender-Konzepten, mit denen Hersteller wie Li Auto oder Leapmotor ihre Auslieferungszahlen binnen eines Jahres verdoppeln konnten. Als weitere Beispiele nennt er das Batteriewechselkonzept des chinesischen Autoherstellers Nio, die Blade-Batterie von BYD, das autonome Fahrsystem XPilot von XPeng oder das E-Auto MS11 von Xiaomi, bei dem sich das Cockpit individualisieren lässt.

Umdenken in Bezug auf China

"Die europäischen Autohersteller hingegen haben sich die letzten Jahre darauf beschränkt, überhaupt erst einmal eine Plattform für E Fahrzeuge zu entwickeln, um mit Tesla mithalten zu können", zieht Karlheinz Zuerl einen Vergleich. Er argumentiert: "Die Überlegenheit der westlichen Industriewelt gegenüber China ist auf vielen Gebieten dahingeschmolzen. Die Automobilbranche und der Maschinenbau stehen exemplarisch dafür". 

Zuerl rät der Wirtschaft in den westlichen Industrienationen zu einem "fundamentalen Umdenken in Bezug auf China". Statt die Volksrepublik vor allem als Absatzmarkt zu sehen, sollten sich "die westlichen Hersteller – nicht nur aus der Automobilbranche – von der Innovationsfreude Chinas inspirieren lassen", so Zuerl.

Den chinesischen Automobilmarkt verstehen

Dabei gilt es vor allem in einem sich so schnell wandelnden Markt, wie dem chinesischen Automobilmarkt, die Wünsche und Anforderungen der Konsumenten zu verstehen, wie die Automotive-Experten der Digital- und Marketingberatung TD Reply erläutern. So verwandele sich China derzeit von einer Hochburg westlicher Marken in einen dynamischen, von einheimischen Herstellern dominierten Markt. Im Jahr 2023 sei jedes vierte weltweit produzierte Auto aus China gekommen, was die zentrale Rolle des Landes in der Branche unterstreiche.

Insbesondere in den schnell wachsenden Segmenten der Hybrid- und Elektrofahrzeuge seien lokale chinesische Hersteller auf dem Vormarsch. Ihre Vorteile seien wettbewerbsfähige Preise und kurze Entwicklungszeiten. Zu den wichtigsten Erwartungen der chinesischen Verbraucher an Pkw gehörten Infotainment und Sonderausstattungen ("zweites Wohnzimmer"), digitale Services, Reichweite und komfortable Ladelösungen sowie stetig neue Funktionen und Designs.

Das Verständnis der einzigartigen Dynamik des chinesischen Automobilmarktes sei laut TD Reply für den Erfolg internationaler Marken von entscheidender Bedeutung. Durch das Erkennen und Anpassen an sich verändernde Kundenerwartungen und den Einsatz fortschrittlicher Softwarelösungen könnten Automobilhersteller sowie Unternehmen von Trends profitieren und auf diesem wichtigen Markt erfolgreich sein, so die Berater.

Bei E-Autos läuft die Vorbereitung auf 2025 

Doch nicht alles läuft schlecht für die hiesigen Automobilhersteller. Zwar stehen für 2025 zwei wichtige Veränderungen an: Zum einen treten die EU-Strafzölle auf chinesische E-Autos kurz zuvor in Kraft, zum anderen verschärfen sich die CO2-Flottenziele der EU auf 93,6 g/km CO2. Dies rückt Elektrofahrzeuge verstärkt in den Fokus der Hersteller.

Doch der Markt rüstet sich bereits, so das Marktforschungsinstitut Dataforce. "Der Gesamtmarkt steht im September schlecht dar und es fehlt schlichtweg die Nachfrage der Kunden. Doch in Betracht der großen Umstellungen, die nächstes Jahr aufgrund von Regulierungen entstehen, wappnet sich der Markt bereits. In Folge kommen E-Autos zurück und werden nun endlich preislich konkurrenzfähig", so Julian Litzinger, Automotive Analyst bei Dataforce.

Dem Marktforschungsinstitut zufolge würden sich die Hersteller bereits auf die verschärften CO2-Ziele vorbereiten. VW und Tesla hätten die Preise für volumenstarke E-Modelle gesenkt, um ihre Absätze zu steigern und die EU-Ziele zu erreichen. So hat VW den Preis für den kompakten Elektro-Wagen ID.3 ab Oktober gesenkt und bietet ihn bis Ende des Jahres zum Aktionspreis von knapp unter 30.000 Euro an. Bisher lag der Einstiegspreis bei fast 37.000 Euro. Auch der Markt passe sich laut Dataforce bereits an: Im Flottenmarkt, einem Vorreiter für die E-Auto-Adaption, hätten Elektroautos mit 21,6 % ihren bisherigen Höchstwert erreicht. Damit könnte der Übergang ins Jahr 2025 sanfter verlaufen als erwartet.

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