ADAC-Tests zufolge sind chinesische Autos auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Doch ein Asien-Experte meint: China ist nicht so stark bei E-Autos wie häufig angenommen.
Autos von chinesischen Herstellern regen in der Öffentlichkeit immer häufiger Aufsehen. Ihr Marktanteil ist vor allem im E-Auto-Segment in den letzten Jahren stark gestiegen. Knapp 9 % der batterieelektrischen Fahrzeuge in Deutschland kommen von Nio, BYD, MG und Co. Und chinesische Fahrzeuge sind ernstzunehmende Konkurrenten, wie jetzt ADAC-Autotest-Ergebnisse von 13 Modellen aus den letzten drei Jahren ergeben haben.
Demnach würden chinesische Autos in vielen der Testkategorien überzeugen. Bis auf zwei Ausnahmen hätten alle Pkw fünf von fünf Sternen im Euro-NCAP-Crashtest erreicht. Auch im Ausweichtest, bei dem das Sicherheitsverhalten und insbesondere das ordnungsgemäße Funktionieren des ESP überprüft werden, hätten die Testkandidaten überzeugt. Viele Fahrzeuge europäischer Hersteller würden schlechtere Ergebnisse erzielen. Die ADAC-Experten hätten zudem größtenteils gute Materialqualität und versierte Verarbeitung von Karosserien und Innenräumen erkannt. "Unsere Tests zeigen: Die chinesischen Hersteller haben in den vergangenen Jahren stark aufgeholt und können mit etablierten Marken inzwischen mithalten", so ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze.
China ist Hauptmarkt und Hauptkonkurrent
China ist für die deutsche Automobilindustrie sowohl Hauptmarkt als auch Hauptkonkurrent. Gerade der Wettbewerb um die Vorherrschaft im Markt der Elektroautos wird immer intensiver geführt. Nach einer neuen Analyse von Transport & Environment (T&E) sollen 2024 voraussichtlich ein Viertel der in Europa verkauften Elektrofahrzeuge in China hergestellt werden. Während es sich bei den chinesischen Importen bisher größtenteils um dort produzierte Tesla-, Dacia- und BMW-Fahrzeuge handele, gehe T&E davon aus, dass chinesische Marken 2024 einen Anteil von 11 % am europäischen Elektromarkt erreichen könnten. 2027 wäre ein Anstieg auf 20 % möglich.
Oftmals gelten die Strukturen deutscher OEMs als starr und komplex und als Hindernis für den Übergang zu E-Fahrzeugen. Gleichzeitig tauchen neue, agilere Unternehmen auf dem Markt für Elektroautos auf, die den Verbrauchern vor allem günstigere Alternativen anbieten. Und gerade die Verbraucher blicken skeptisch auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Autoindustrie, wie eine Umfrage von AutoScout24 zeigt. Demnach sollen drei Viertel der deutschen Autofahrer die deutschen Hersteller als bedroht einstufen. Die Gründe: Bürokratie, Lieferketten, mangelnde Innovationsfähigkeit und nicht zuletzt China. So würden sich deutsche Automarken auf dem chinesischen Markt schlecht entwickeln und subventionierte ausländische Modelle vermehrt auf den europäischen Markt drängen.
Die Europäische Union (EU) hat daher erste Schritte eingeleitet: Aktuell zieht sie Importzölle in Erwägung, um Subventionen für Chinas Elektroautoindustrie entgegenzuwirken. Kurzfristig könnten Zölle den EU-Herstellern zwar helfen, meint T&E. Allerdings seien Produktionssteigerungen von Elektroautos für den Massenmarkt und Investitionen in die europäische Batterielieferkette die einzige Möglichkeit für EU-Automobilhersteller, mit chinesischen Marken zu konkurrieren.
China nicht so stark bei E-Autos wie oft gedacht
Doch wie stark ist China wirklich? Glaubt man Karlheinz Zuerl, CEO von German Technology & Engineering Corporation GTEC, dann ist China nicht annähernd so leistungsfähig bei der Elektromobilität wie im Westen oftmals dargestellt. "Die deutsche Autoindustrie steht nicht so schlecht dar wie häufig beschrieben. Die chinesischen Wettbewerber werden zuhauf wieder vom Markt verschwinden", so der Asien-Experte Zuerl. Er verweist darauf, dass 2023 lediglich BYD und Tesla Nettogewinne auf dem chinesischen Markt erzielt hätten, während "die anderen Autohersteller in China um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen". Zwar habe Tesla-Chef Elon Musk kürzlich die Leistungen der chinesischen Wettbewerber BYD, Nio, Xpeng und Polestar öffentlich hervorgehoben, aber alle vier Firmen würden bei der Betriebsgewinnmarge um 14 bis 74 Prozentpunkte hinter Tesla zurückliegen, analysiert Zuerl. Beim Cashflow betrage der Abstand zu Tesla zwischen 16 und 20 Milliarden US-Dollar.
Der GTEC-CEO illustriert die Lage: "Vor über fünf Jahren gab es einmal mehr als 480 eingetragene Unternehmen in China, die angetreten waren, um Elektrofahrzeuge herzustellen. Über 400 davon sind längst verschwunden, die meisten davon, ohne jemals auch nur einen Prototypen zu bauen. Allein in den letzten vier Jahren haben mehr als 75 chinesische Automarken aufgeben müssen. Es ist absehbar, dass weitere 60 bis 70 Prozent der heute noch existierenden rund 40 Marken vor dem Aus stehen." Als Beispiel für den wirtschaftlichen Niedergang der chinesischen E-Autoindustrie nennt er die "katastrophale Lage" von China Evergrande NEV.
Bei den meisten chinesischen Herstellern von "New Energy Vehicles", wie die E-Autos in China genannt werden, sei die Kapitaldecke "bedenklich dünn", sagt Zuerl. Aufstrebende Automobilhersteller der zweiten und dritten Ebene wie Aiways, Leapmotor, Weltmeister, Skywell, Sitech oder Future Mobility würden mit "sehr ernsthaften Schwierigkeiten" konfrontiert sein.
Anbieter kämpfen mit Kapitalmangel und Qualitätsproblemen
Wie Zuerl erklärt, würden viele Anbieter neben einem enormen Kapitalmangel mit Qualitätsproblemen sowie Schwierigkeiten bei der Anpassung an steigende Verbraucheransprüche in Bezug auf Komfort kämpfen. "Der Umstieg von Kleinstfahrzeugen in Prototypqualität auf hochwertige E-Autos, wie sie die Kundschaft verlangt, fällt vielen chinesischen Herstellern äußerst schwer", so Zuerl. Viele Firmen wie Hozon oder Future Mobility könnten daher nur einige wenige Hundert Fahrzeuge pro Jahr absetzen. Das sei viel zu wenig, um sich auf Dauer am Markt zu halten.
Auch der ADAC-Autotest hat offenbart, dass chinesische Fahrzeuge in puncto Bedienung und Assistenzsysteme ausbaufähig sind. Ein wiederkehrendes Manko sah der Mobilitätsclub bei den Assistenzsystemen. Verkehrszeichenerkennung, Spurhalte- und Abstandssysteme funktionierten oftmals nur unzuverlässig. Hier würden europäische Hersteller von ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit diesen in der Abstimmung sehr komplexen Systemen profitieren. Allerdings sehe man auch, so der ADAC, wie schnell chinesische Hersteller auf Kritik reagierten: In neueren Modellen etwa von Nio sollen sich die Systeme schon deutlich verbessert zeigen.
Auch bei der Bedienung laufe dem ADAC zufolge nicht immer alles reibungslos. Das liege insbesondere an der starken Fokussierung auf Touchscreens. "Komplexe Menüstrukturen in Kombination mit teils träge reagierenden Displays, Softwarefehlern und falschen Übersetzungen sorgen immer wieder für Probleme bei der Steuerung von Klimaanlage, Navigation oder Entertainment", schreibt der Automobilclub.
Keine "Überschwemmung des europäischen Marktes"
Ein großer Vorteil der chinesischen Modelle bleibt aber: Preislich unterbieten sie europäische Hersteller beinahe immer, oft um mehrere tausend Euro, wie der ADAC erklärt. Allerdings könnte sich ein Auto mit günstigem Anschaffungspreis später doch als teurer herausstellen, etwa durch unerwartet hohen Wertverlust oder Reparaturkosten. Außerdem sei das Händlernetz teilweise noch nicht so dicht wie bei der etablierten Konkurrenz. "Während BYD, Maxus und MG breit aufgestellt sind, ist es z.B. bei Aiways aktuell unklar, wie ein Neufahrzeug ausgeliefert wird", so der Automobilclub. Für Wartungen und Reparaturen würden die chinesischen Hersteller häufig mit Anbietern wie ATU und Euromaster kooperieren. Einen eigenen Weg gehe hier Nio, die wie Tesla auf mobile Servicepartner setzen.
Der ADAC schätzt die Lage letztendlich nüchtern ein: So widerspricht Florian Hördegen, Leiter Fahrzeugtechnik im ADAC-Technikzentrum Landsberg, dem medial oft vermittelten Bild von einer "Überschwemmung des europäischen Marktes". Er betont: "Gemessen an den gesamten Verkäufen machen chinesische Pkw in Deutschland aktuell noch weniger als zwei Prozent aus." Allerdings sei die Grenze zwischen europäischen und chinesischen Herstellern ohnehin nicht mehr so eindeutig wie noch vor einigen Jahrzehnten. BMW und Citroën etwa ließen manche ihrer Modelle komplett in China fertigen und die Marke Smart sei in einem Joint Venture von Mercedes-Benz und Geely neu aufgegangen.
Tesla ist Hauptwettbewerber
Auch Asien-Experte Karlheinz Zuerl schlussfolgert: "Die deutsche Autoindustrie hat bessere Chancen auf dem Weltmarkt für E-Mobility als ihr häufig zugeschrieben wird. Als Hauptwettbewerber sollten die deutschen Hersteller vor allem Tesla aufgrund seiner Innovationsstärke begreifen, weniger die zahlreichen Anbieter aus China, die zuhauf wieder vom Markt verschwinden werden."
Nach Einschätzung des GTEC-CEO hinke die Innovationskraft der chinesischen Industrie weit hinter den USA zurück, und das gelte auch für den Automobilsektor. Daran würden auch einzelne fortschrittliche Konzepte wie etwa das Tausch-Akku-Konzept von Nio nichts ändern. "Der chinesische Markt bietet ein ganzes Füllhorn enormer Chancen für die deutsche Wirtschaft", erklärt Zuerl, "aber von einer chinesischen Übermacht ist auf den meistern Feldern moderner Technologie dennoch wenig zu spüren. So kann sich die deutsche Autoindustrie von Tesla sicherlich mehr abgucken als von China-Autos, wenn es um die Zukunft ihrer Branche geht."