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16.06.2021 | Automobilwirtschaft | Interview | Online-Artikel

"Mittendrin in der Transformation zum klimaneutralen Stahl"

verfasst von: Dieter Beste

6 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Dr. Arnd Köfler

ist Chief Technology Officer bei Thyssen-Krupp Steel Europe

Allein Thyssen-Krupp Steel Europe benötigt im Jahr 2050 etwa 700.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr, sagt Vorstandsmitglied Arnd Köfler im Interview. Wichtig sei daher, die Wasserstoffwirtschaft jetzt schnell anzutreiben und zu skalieren.

Springer Professional: Deutschland soll bereits 2045 klimaneutral sein. Die Stahlindustrie steht vor einem zeitlich herausfordernden, komplexen Transformationsprozess: weg vom klassischen Hochofenprozess, hin zu einer Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff – hin zu "grünem" Stahl. Ist der Startschuss bei Thyssen-Krupp gefallen? 

Dr. Arnd Köfler: Das kann man wohl sagen: Wir sind mittendrin in der Transformation zum klimaneutralen Stahl. Thyssen-Krupp hat sich klare Ziele für den Klimaschutz gesetzt. Als Stahlsparte kommt uns dabei große Bedeutung zu, denn wir sind für den Löwenanteil der direkten CO2-Emissionen des Konzerns verantwortlich. Dieser Verantwortung wollen wir uns stellen: Wir werden unsere Produktion in den nächsten Jahren und Jahrzehnten schrittweise umstellen. Die Aufgabe ist dabei im Kern, die kohlebasierte Hochofenroute durch klimaneutrale Produktionsverfahren zu ersetzen. 

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Wie wird der Transformationsprozess bei Thyssen-Krupp technisch umgesetzt? 

Wir setzen bei der Transformation zum klimaneutralen Stahl auf zwei Pfade: den Einsatz von Wasserstoff zur direkten Vermeidung von CO2-Emissionen und die Nutzung verbleibender CO2-Emissionen. Den Startpunkt der Stahlherstellung bildet heute der Hochofen, in dem Eisenerz mithilfe von Kohle reduziert und eingeschmolzen wird. Dabei entsteht unweigerlich CO2 – und das in großen Mengen: rund 20 Millionen Tonnen im Jahr allein bei uns in Duisburg. Wasserstoff kann die Rolle der Kohle als Reduktionsmittel übernehmen. Dann entsteht statt CO2 einfach nur Wasser bzw. Wasserdampf. Zum Teil kann das auch schon im Hochofen gelingen, eine entsprechende Technologie erproben wir bereits. Aber um wirklich klimaneutral zu werden, müssen wir die Hochofenroute verlassen. Wir werden daher schrittweise neue Direktreduktionsanlagen einsetzen. Die werden mit Gas betrieben, und wenn dabei Wasserstoff zum Einsatz kommt, arbeiten die Anlagen emissionsfrei. Unser Etappenziel für 2030 ist dabei eine Reduzierung unseres CO2-Ausstoßes von 30 Prozent. Spätestens 2050 wollen wir vollständig klimaneutral produzieren. 

Also ersetzen Sie einfach die Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen?

Ganz so einfach ist es leider nicht. Die Direktreduktion ist grundsätzlich eine erprobte Technologie, auch wenn die heutigen Anlagen aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen noch mit Erdgas laufen. Der große Unterschied zum Hochofen ist das entstehende Produkt: Während der Hochofen flüssiges Roheisen produziert, entsteht beim Prozess der Direktreduktion ein fester Stoff, sogenannter Eisenschwamm, auch Direct Reduced Iron (DRI) genannt. Weil unsere Stahlwerke für die Weiterverarbeitung aber ein flüssiges Produkt benötigen, müssen wir also noch einen Zwischenschritt einbauen: Daher entwickeln wir gemeinsam mit Anlagenbauern ein innovatives Einschmelzaggregat, das wir mit der Direktreduktionsanlage verbinden. Dieses schmilzt den Eisenschwamm mit grünem Strom ein, sodass beide Anlagen zusammen einen Hochofen nahtlos ersetzen können. 

Wie herausfordernd ist es, Wasserstoff einzusetzen? Was bedeutet das für die Stahlqualität?

Grundsätzlich haben wir bei unserem Konzept den großen Vorteil, dass wir nur in der Flüssigphase größere Änderungen in Technik und Anlagen vornehmen. Die entscheidende Größe bei der Qualität des Stahls und den verfügbaren Güten ist das Stahlwerk – und hier ändert sich durch die Transformation nichts. Das letztendliche Produkt des Stahls und seine Eigenschaften bleiben also unverändert. Das ist im Übrigen ein ganz wichtiges Signal an unsere Kunden: Wir können alle Güten, auch die technologisch komplexen High-End-Güten, in gleicher Qualität produzieren. 

Was den Einsatz von Wasserstoff in der Direktreduktionsanlage anbelangt, sind wir zuversichtlich. Das heute in den Anlagen eingesetzte Erdgas enthält bereits in weiten Teilen Wasserstoff. Insofern betreten wir mit einer rein wasserstoffbasierten Produktion zwar Neuland, aber in überschaubarem Maße. Erste Erfahrungen mit Wasserstoff werden wir zudem vorab schon in unserem Hochofen sammeln können. Das Gleiche gilt für das Einschmelzaggregat: Dabei handelt es sich in der Eisen- und Stahlerzeugung um ein Novum. Erste Studien, bei denen uns auch externe Wissenschaftler das Konzept bestätigt haben, stimmen uns aber optimistisch. Insofern kann man sagen: Die Technik ist bereit für die Transformation.

Das klingt, als gibt es ein "Aber"…

Die Transformation ist und bleibt eine große Aufgabe für unsere Industrie. Wir stehen vor nichts anderem als einem Technologiewandel. Die Technik ist dabei aber nur die eine Herausforderung. Die andere sind die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Die Umstellung wird viel Geld kosten: zunächst bei den Investitionen in neue Anlagen – unsere erste Direktreduktionsanlage mit Einschmelzer erfordert Investitionen von etwa 1 Mrd. Euro – aber auch bei den Betriebskosten: Klimaneutraler Wasserstoff wird auf absehbare Zeit teurer sein als Kohle. Diese Aufwendungen wird kein Stahlunternehmen allein stemmen können, wir werden Förderung benötigen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass die grünen, teureren Produkte auch Abnehmer finden. Wir müssen Anreize schaffen, um Märkte für grünen Stahl zu etablieren. Nicht zuletzt werden wir große Mengen Wasserstoff benötigen und Stand heute ist klimaneutraler Wasserstoff ein rares Gut. 

Wie will Thyssen-Krupp diesen Bedarf nach Wasserstoff decken? Gibt es eigene Projekte?

Wir sind in der Tat mit einigen Partnern in gemeinsame Projekte eingebunden. Beispielsweise prüfen wir mit RWE den Aufbau einer 100-MW-Elektrolyse zur Belieferung unseres Stahlwerks – mit Steag und Thyssen-Krupp Uhde Chlorine Engineers den Aufbau einer 500-MW-Elektrolyse in unmittelbarer Nähe zu unserem Werk in Duisburg. Ferner schauen wir uns auch die Möglichkeit an, vorübergehend blauen Wasserstoff zu nutzen – also solchen, der aus Erdgas gewonnen wird, wobei das entstehende CO2 abgeschieden und gespeichert wird. Langfristig wollen wir aber ausschließlich grünen Wasserstoff einsetzen, also jenen aus Erneuerbaren Energien mittels Elektrolyse gewonnenen Wasserstoff. Ein Vorteil: Unser Schwesterunternehmen Thyssen-Krupp Uhde Chlorine Engineers verfügt über die notwendige Elektrolysetechnologie und die Fähigkeit, diese im großen Maßstab zu produzieren.

Ihre Kunden etwa in der Automobilindustrie möchten "grünen" Stahl lieber heute als morgen kaufen. Welche Mengen an Wasserstoff benötigt Thyssen-Krupp? Was muss geschehen, "grünen" Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung zu haben? 

Wir werden im Jahr 2050 etwa 700.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr benötigen. Das ist für heutige Maßstäbe eine riesige Menge. Alleine für den Strom, der zur Herstellung des Wasserstoffs benötigt würde, wären etwa 3.800 Windräder nötig. Und wir brauchen bereits ab Mitte der 2020er Jahre erste größere Mengen. Wichtig wird daher sein, die Wasserstoffwirtschaft jetzt schnell anzutreiben und zu skalieren. Die Wasserstoffstrategien des Bundes, des Landes NRW und der EU haben das erkannt – das ist ein gutes Zeichen. Mit unserer Transformation lösen wir zudem das Henne-Ei-Problem: Wir schaffen einfach eine große Nachfrage und können große Mengen des perspektivisch verfügbaren Angebots abnehmen. Dabei haben wir einen großen Vorteil: Solange es nicht ausreichend Wasserstoff gibt, können wir in den neuen Anlagen Erdgas einsetzen und den Wasserstoffanteil dann stufenweise erhöhen. Erdgas spart gegenüber der Kohleroute bereits deutlich CO2-Emissionen ein. Das ist aber kein Grund, es einfach beim Einsatz von Erdgas zu belassen. Im Gegenteil: Wenn wir es ernst meinen mit den Klimazielen, dann müssen wir Tempo machen beim grünen Wasserstoff.
 

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